Die Unternehmer und IV-Präsidenten Stefan Pierer (li) und Karl Ochsner kritisieren die mangelnde Leistungsbereitschaft in Österreich und Europa.
©trend/Lukas IlgnerDie Industriellen-Präsidenten Ober- und Niederösterreichs, STEFAN PIERER und KARL OCHSNER, beklagen im trend. Gespräch die auf breiter Ebene gesunkene Leistungsmoral. Ein Gespräch über Männer in Teilzeit, den Niedergang Europas und politische Wunschkoalitionen.
Herr Pierer, Herr Ochsner, Sie wollen über "Leistung" sprechen. Teilen Sie den Eindruck mancher Unternehmer und Unternehmerinnen, dass sich einige unter dem Titel Work-Life-Balance vor der Arbeit drücken wollen?
Work-Life-Balance ist ein Dachbegriff, unter dem sich vieles verbirgt. Ich kritisiere weniger die Jungen als die Eltern, die verabsäumt haben, ihre Kinder in die richtige Spur zu bringen. Ich bin davon überzeugt, dass viele Elternhäuser ein falsches Vorbild waren und sind. Wenn dort nicht Leistung gelebt wird, ja wo denn sonst?
Wenn ich höre, dass die Teilzeitquote von Männern ohne Kinderbetreuungspflichten gestiegen ist, macht mir das Sorgen. Wenn jemand zehn Stunden pro Woche weniger arbeitet und also weniger ins Pensionssystem einzahlt, dann muss er eben auch mit den Konsequenzen leben: weniger Pension, keine staatliche Abfederung der Lücken. Es gibt betriebs- und volkswirtschaftliche Grundregeln. Die wundersame Brotvermehrung gibt es nur in der Bibel.
Work-Life-Balance ist ein Männerthema?
Es ist vor allem ein Angestelltenthema. Meine Arbeiter am Montageband oder im Kundendienst geben Gas. Aber von Angestellten gibt es immer wieder Anfragen, ob sie in den nächsten zwei Jahren etwa auf 25 Stunden pro Woche reduzieren können, weil sie ja Haus bauen wollen. Für zwei Jahre! Bei den Mitarbeitern ohne Kinder sind es vor allem die Männer, die auf dieser Schiene fahren.
Das ist auch bei mir so. Das sind White-Collar-Leute, in erster Linie gut ausgebildete Mitarbeiter. Besonders die Bildungskarenz wird für diese Zwecke missbraucht.
Die Grundidee der Bildungskarenz ist ja nicht schlecht. Die Frage ist, wie sie gelebt wird.
Wenn sich Männer und Frauen die Arbeit zuhause stärker teilen sollen, ist es ja logisch, dass beide nur je 30 Stunden arbeiten. In der Generation davor gab es in der Regel einen Vielarbeiter und eine Partnerin, die zuhause geblieben ist. Wollen Sie das zurückdrehen?
Wir brauchen am Arbeitsmarkt Männer und Frauen. Aber natürlich ist eine Vollzeitkraft am Ende effektiver, weil sie in ihrem Bereich mehr weiterbringt. Sobald du Teilzeit hast, erhöhst du die Komplexität. Es ist für ein Unternehmen einfacher zu steuern, wenn jemand 50 Stunden arbeitet. Homeoffice hat das Ganze zusätzlich verkompliziert: Wir leben schon jetzt in einem Land, in dem wir fünf oder sechs Wochen Urlaub haben, und dann der Freitag noch im Homeoffice? Das hat kein Land der Welt! Deshalb muss sich einer hinstellen und den Leuten ganz einfach sagen: Wir arbeiten immer kürzer und werden immer älter - das kann sich nicht ausgehen
Was häufig vergessen wird: Wir müssen jetzt das, was der Staat in der Covid-Zeit und in der Energiekrise an Hilfen gezahlt hat, wieder zurückverdienen und zurückzahlen.
Immer mehr Leute können sich aufgrund der Wohlstandsentwicklung der letzten Jahrzehnte leisten, weniger zu arbeiten. Viele erben Immobilien und kalkulieren, wie viel sie noch dazu verdienen müssen.
Da ist kein Anreiz, sich selbst einen Wohlstand aufzubauen.
Wenn ich eine Immobilie geerbt habe, warum will ich mir dann nicht auch noch eine Wohnung am Meer aufbauen? Den Wohlstand, den wir jetzt haben, haben die Generationen vor uns hart erarbeitet. Daraus leitet sich die Verpflichtung ab, dass wir ihn für die nächste Generation weiterentwickeln. Schauen Sie Inder, Chinesen, aber auch Amerikaner an - die ticken da ganz anders.
Oder Japan als Beispiel, trotz einer fortgeschrittenen Alterspyramide und keiner Einwanderung. Die Japaner arbeiten so lange, wie es geht.
Der demografische Wandel wird uns die Misere vor Augen führen. Es gibt Regionen in Österreich, da werden schon in einigen Jahren gleich viele Menschen in Beschäftigung sein wie in Pension. Das wird sich nicht ausgehen. Wir werden nicht darum herum kommen, die Wahrheit zu sagen - dass wir drei bis fünf Jahre länger arbeiten müssen. Natürlich müssen wir das entsprechend honorieren. Aber klar ist: Wir brauchen die Leute länger im Arbeitsleben. Und damit meine ich nicht die Verschubmitarbeiter bei der Bahn.
Es gibt genügend Leute, die nach einem langen Arbeitsleben endlich die Früchte des Freizeitlebens genießen wollen. Wie wollen Sie die motivieren?
Mein Vater ist 78. Wenn er eine Woche Urlaub im Jahr hat, ist es viel.
Ja, Sie sind beide Unternehmer und identifizieren sich in hohem Grad mit Ihrem Unternehmen. Das ist nicht bei allen Mitarbeitern der Fall.
Unternehmertum hat in Österreich ein geringes Ansehen. In der k.-u.-k.-Zeit lagen die industriellen Zentren in den Kronländern Schlesien, Böhmen und Mähren. Diese Gebiete wurden nach dem ersten Weltkrieg selbstständig. Die k.-u.-k.-Bürokratie ist uns geblieben. Nach dem zweiten Weltkrieg lag der Schwerpunkt auf verstaatlichter Industrie.
Unternehmer müssten eigentlich einer Erbschaftssteuer etwas abgewinnen können. Steuerfreies Erben ist doch auch leistungsfeindlich, oder?
Nein. Der Vererber hat doch längst versteuert, mit Lohnnebenkosten, mit Gewinnsteuern, mit Mehrwertsteuern.
Nicht jedoch derjenige, der erbt, der dann mit mehr starten kann als die meisten anderen. Ist das fair?
Sollen die Kinder, für die man etwas geschaffen hat, noch einmal zur Kasse gebeten werden?
In den 90er-Jahren gab es noch erfahrene und gebildete Sozialdemokraten in der Regierung wie zum Beispiel Ferdinand Lacina als Finanzminister, der die Abschaffung der Vermögens- und Erbschaftssteuern initiierte. Derzeit erleben wir eine Sozialdemokratie mit einer Themenverfehlung - 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.
Das Kommunistische Manifest ist ein wunderschönes Fabelwerk, aber eben nicht mehr. Wir haben Kostensteigerungen beim Personal von fast 20 Prozent binnen zwei Jahren. Wie willst du das auffangen? Durch Verlagerungen oder durch Abbau, Automatisierung und Restrukturierung. Nur wenn wir dann auch noch Erbschafts- und Vermögenssteuern haben, schrecken wir zusätzlich Leistungsträger ab.
Sie haben beide eben Vorschläge zur Reparatur des Standortes gemacht. Was ist noch im Lauf dieses Wahljahres umsetzbar?
Mehrarbeit honorieren. Zehn oder 20 Stunden steuerfrei zu machen, verlangt keine Gegenfinanzierung. Das gilt auch für Pensionisten, die in die Regelpension kommen - die sollen bis zur Höchstbemessungsgrundlage steuerfrei dazu verdienen dürfen. Und natürlich der Vollzeitbonus.
Ein großes Thema sind die Lohnnebenkosten. Wo würden Sie da ansetzen?
Aus Arbeitgebersicht: Wohnbauförderung und FLAF. In Summe sind es jedenfalls zu hohe Lohnnebenkosten.
Für uns als Mittelständler ist das wenige Netto vom Brutto ein echter Standortnachteil, wenn es darum geht, internationale Manager nach Haag zu holen. Es ist aber gut, dass die Kanzlerpartei ÖVP das Thema Leistung und Wettbewerbsfähigkeit erkannt hat.
Was ich bei Nehammers Rede in Wels nicht gehört habe, ist das Thema Pensionsreform. Das ist fahrlässig. Klar, das ist die größte Wählergruppe.
Die kumulierte Deckungslücke bei den Pensionen wird bis 2050 laut einer Economica-Studie auf eine Billion Euro steigen. Eine Billion! Auch da gilt: Das geht sich nicht mehr aus.
Der Arbeitsmarkt scheint jetzt zu drehen. Können Sie sich nicht ohnehin schon wieder Mitarbeiter aussuchen, die bereit sind, Vollzeit zu arbeiten?
Wir kriegen jetzt wieder extrem gute Bewerbungen, das stimmt. Meiner Meinung nach ist die Knappheit vorbei.
Ich habe 60 Prozent Nichtösterreicher am Band. Deshalb ist dieser "Festung Österreich"-Ansatz der FPÖ ja ein Unsinn. Wenn wir den Leuten signalisieren, dass wir sie nicht haben wollen, ist das schlecht.
Die Rot-Weiß-Rot-Card wurde erheblich besser. Wir haben bei KTM bereits eine zweistellige Anzahl von Leuten insbesondere aus Indien und anderen Ländern. Das Land Oberösterreich hat mit den Philippinen ein Arbeitskräfteabkommen, wo neben den Frauen im Gesundheitsbereich auch Männer in den metallischen Bereichen einwandern können. Das sind gute Ansätze.
Sind fehlende Leistungsbereitschaft und sich verschlechternde Standortfaktoren mehr ein österreichisches oder ein europäisches Thema?
Ich war letzte Woche in China. Wenn man realisiert, wie sich die verschiedenen Industrien und Fertigungskapazitäten entwickelt haben, dann erkennt man, welche Herausforderungen auf Europa zukommen. Wenn man sich als global tätiges europäisches Unternehmen nicht mit China strategisch vernetzt, verliert man an Wettbewerbsfähigkeit. Wir in Zentraleuropa hingegen glauben an einen leistungslosen Wohlstand. Osteuropa ist hier eine Ausnahme, auch noch die Schweiz. Aus Deutschland findet derzeit eine merkbare Kapitalflucht von deutschen Unternehmen in Ländern wie die Schweiz statt, die dafür auch eine Wegzugsbesteuerung in Kauf nehmen. Das ist ein Alarmsignal.
Aus Österreich auch?
Noch nicht. Aber die alten österreichischen Industriedynastien hatten zwischen den Weltkriegen immer ein Standbein außerhalb von Österreich.
Das Kapital fließt dorthin, wohin es will. Du kannst es nicht aufhalten.
Was sind die Ursachen für die Misere in Deutschland?
Die deutsche Regierung ist ein Beleg dafür, dass Dreierkoalitionen nicht funktionieren, weil sie nicht kommunizieren können. Dort herrscht jetzt Stillstand. Unternehmen werden an den Rand getrieben.
In Österreich werden nach den Nationalratswahlen nicht viele Zweierkoalitionen möglich sein. Sind Sie eher für ÖVP-SPÖ oder ÖVP-FPÖ?
Die FPÖ ist ja nicht die AfD. Wenn du pragmatische Köpfe vorne hast, geht es. Wir haben in Oberösterreich eine funktionierende ÖVP-FPÖ-Koalition.
Mein Kriterium wird sein, ob eine neue Regierung unsere Standortthemen aufgreift. In den letzten 15 Jahren habe ich die Industrie noch nie so laut sagen gehört, dass es nicht mehr geht. Wer uns hört, bekommt meine Stimme.
Es wird viel von schleichender Deindustrialisierung gesprochen. Sie, Herr Pierer, werden in Zukunft mehr Motorräder in Indien und China produzieren das war ohnehin erwartet worden. Aber sonst scheint sich die Abwanderungsbereitschaft in Grenzen zu halten.
Ich habe das auch kommuniziert, weil ich als IV-Präsident in Oberösterreich die Stimme für die Mitgliedsbetriebe bin. Viele reden nicht darüber. Große deutsche Konzerne investieren derzeit massiv außerhalb von Europa, vor allem in den USA, statt in Deutschland. Wir werden in Europa dieses Jahr übrigens eine Rezession sehen, und zwar eine ordentliche. Wir regulieren uns zum Stillstand: ESG, Lieferkettengesetz, Taxonomie usw.
Die Abwanderung passiert laufend. Ochsner hat einen Standort in Polen, in den wir eben in Zukunft mehr investieren werden. In Österreich müsste einmal erkannt werden, dass wir auf Export angewiesen sind. Wir könnten unsere Mitarbeiter hier nicht ernähren, wenn wir nicht am Weltmarkt erfolgreich wären. So viele Motorräder und Wärmepumpen braucht es hier nicht, unsere Produkte gehen zu über 80 Prozent ins Ausland.
Sie haben den Green Deal kritisiert, Herr Pierer, das Leitprojekt von Noch-EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Chancen, dass sie verlängert wird, sind ja nicht schlecht.
Die Entindustrialisierung ist eine Folge des unintelligent gestalteten Green Deals. Das ist kein Business-Case, er ist ein Cost-Case. Hoffentlich wird die EU-Kommissionspräsidentschaft in dieser Konstellation nicht wiedergewählt. Ein besonders schlechtes Beispiel ist das Lieferkettengesetz. Das muss gestoppt werden.
Der Green Deal ist auch eine Chance für Europa. Aber man sollte den Leuten auch sagen, dass der Wasserstoff nicht aus Europa kommen wird, und bis er da ist, können wir den Betrieben nicht einfach Öl und Gas verbieten.
Bei so viel Gemeinsamkeit: Werden die IV Oberösterreich und Niederösterreich jetzt ihre Kräfte bündeln?
Ich bin sehr motiviert, dass Kari Ochsner in Niederösterreich die Präsidentschaft inne hat. Wir haben vor, einiges bei diesen Themen gemeinsam zu machen. Wir wollen unsere Stimmen wechselseitig verstärken - das ist nicht nur eine Stimme für die Großen, sondern auch für die KMU. Denn diese Unternehmen sind ganz besonders unter Druck.
Zur Person
Steckbrief
Stefan Pierer
Stefan Pierer, geb. 1956, ist Vorstandschef der Pierer Mobility AG. Zu der auf die Herstellung motorisierter Zweiräder spezialisierten Dachgesellschaft gehören unter anderem die Motorrad-Marken KTM, GASGAS, Husqvarna und MV Agusta Motorcycles.
Steckbrief
Karl Ochsner
Karl Ochsner, geb. 1974, hat im Jahr 2008 die Leitung des Familienunternehmens Ochsner-Wärmepumpen übernommen, das er nun in 5. Generation leitet. Seit November 2023 ist Ochsner Präsident der Industriellenvereinigung Niederösterreich. Ochsner ist zudem Mitglied des Aufsichtsrats der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG. Vor seinem Einstieg in das Familienunternehmen arbeitete Ochsner mehrere Jahre beim US-IT-Konzern Xerox.
Das Interview ist der trend.PREMIUM Ausgabe vom 9. Februar 2024 entnommen.
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