Post-CEO Georg Pölzl
©LUKAS ILGNERNach 15 Jahren als Post-Boss tritt Georg Pölzl Ende September ab. Nach anfänglichem Kulturschock hat er den Konzern in dieser Zeit erfolgreich umgekrempelt. Nun will er sich Alternativenergie-Projekten widmen, freut sich auf ausgedehnte Segeltörns – und übt harsche Kritik an den politischen Zuständen.
Freuen Sie sich, dass Sie in ein paar Wochen frei über Ihre Zeit verfügen können, oder ist schon auch Wehmut mit dabei?
Natürlich ist auch Wehmut dabei. Es ist schon eine dramatische Veränderung meines Lebens, die viele positive Elemente mit sich bringt, aber auch viel mit Loslassen und Abschied zu tun hat.
Wenn ich richtig informiert bin, beginnt das Loslassen schon im August, wenn der erste längere Törn im neuen, größeren Segelboot auf dem Programm steht.
In Wahrheit habe ich schon vor zwei Jahren mit der Entscheidung, es nach 15 Jahren Post gut sein zu lassen, damit begonnen. Ich habe zwar ein bisschen ein Problem mit dem Begriff „in Pension gehen“, weil ich mich so nicht sehe. Aber es ist auf jeden Fall ein deutliches Zurücknehmen.
Wie gewöhnungsbedürftig ist es, wenn man, statt Kapitän eines Konzerns zu sein, dann auf dem Meer ziemlich auf sich allein gestellt ist?
Das bin ich ja nicht. Meine Frau ist mit an Bord und immer wieder auch andere Familienmitglieder oder Freunde. In den Gewässern, die wir uns jetzt vorgenommen haben – Nordatlantik, Biscaya –, müssen kompetente Segler dabei sein. Wetter und Strömungen sind dort ständige Herausforderungen. Und seit neuestem auch die Orcas, die sich an der Westküste Spaniens, Portugals bis runter nach Gibraltar herumtreiben. Die rammen immer wieder Segelboote und beißen das Ruderblatt ab.
Was ist der wichtigste Grund, warum die Post heute ein anderes Unternehmen ist als bei Ihrem Start vor 15 Jahren?
Die Menschen im Unternehmen, die gesamte Organisationsentwicklung, die Veränderung in der Unternehmenskultur. Das fängt immer bei der Spitze an und muss alle erfassen bis hin zu den Menschen an der Kundenfront und in der Zustellung. Das Mindset einer damals sehr formalen, behördenähnlichen Organisation hat sich sehr gut in Richtung eines innovationsfreudigen Serviceunternehmens entwickelt.
Waren Sie auf die Unternehmenskultur vorbereitet oder eher geschockt?
Ich war schon überrascht, weil ich noch kein Unternehmen mit so einer Tradition erlebt hatte. Am ehesten noch in meiner Tätigkeit für die Deutsche Telekom. Aber die Aufgabe hat mir immer viel Freude gemacht, auch wenn sie am Anfang sicherlich ein bisschen gewöhnungsbedürftig war.
Wurde der Umbau ohne Murren von der Belegschaft mitgetragen?
Ohne Murren kann man nicht sagen. Zu Beginn gab es natürlich Richtungsstreits. Sowohl Teile des Vorstands als auch die Belegschaftsvertretung hatten unterschiedliche Vorstellungen. Es gibt ja heute noch Menschen, die sagen, die Privatisierung der Post war ein Fehler. Was völliger Unsinn ist, wie man am Zustand vieler anderer europäischer Postgesellschaften sieht. Die Österreichische Post zählt seit Jahren immer zu den top drei der Welt.
Sie lagen öfter im Clinch mit Gewerkschaft. Haben Sie sich inzwischen versöhnt?
Das Verhältnis hat sich im Laufe der Zeit deutlich verbessert. Und es ist dem Management und der Postgewerkschaft auch immer gelungen, unsere unterschiedlichen Ansichten ohne Streik und ohne große Außenwirksamkeit auszugleichen.
War der Staat als Mehrheitseigentümer hilfreich dabei oder gab es zuweilen behindernde politische Begehrlichkeiten?
Das Verhältnis war und ist sehr gut. Meine ersten Jahre waren geprägt durch die ÖIAG, die sehr politikfern agiert hat. Das hat sich auch nicht geändert, obwohl die Politik jetzt in der ÖBAG wesentlich mehr Möglichkeiten hätte, Einfluss zu nehmen. Ich hoffe, dass auch unter neuen Regierungskonstellationen die große Linie beibehalten wird und man der ÖBAG weiterhin erlaubt, professionell ihre Beteiligungen zu führen. Ich habe nie eine politische Intervention erlebt, die in eine Corporate-Governance-Problematik geführt hätte.
Kurze Zwischenfrage: Sie haben Erdölwissenschaften studiert. Strebten Sie nie eine Karriere bei der teilstaatlichen OMV an?
Als junger Akademiker empfand ich die damalige ÖMV als nicht sehr sexy und bin lieber ins Ausland gegangen. Später bekam ich nie die Gelegenheit, dort tätig zu werden. Vielleicht hätte ich es gemacht.
Wie geht die Transformation abseits von Führung und Organisation im Geschäft der Post weiter?
Die 2009 entwickelte Strategie ist im Grunde immer gleich geblieben: das schrumpfende Briefgeschäft profitabel zu halten und durch neue Geschäftsfelder zu kompensieren. Das war zum Beispiel so ein Punkt, wo am Anfang keine Einigkeit herrschte. Die Gewerkschaft hat den Rückgang des Briefumsatzes als Behauptung des Managements abgetan, um Personal abbauen zu dürfen. Aber natürlich war er absehbar – genauso wie das Wachstum beim Paket, wo eine internationale Konsolidierungswelle stattfand. Wir hatten als relativ kleines Unternehmen unsere liebe Not, da mitzumachen und nicht selbst geschnupft zu werden. Deswegen haben wir uns auf die südosteuropäischen Märkte und dann auf die Türkei konzentriert. Das Wachstumssegment ist weiterhin das Paket, allerdings unter extrem schwierigen und wettbewerbsintensiven Bedingungen. Unsere Marktführerschaft und Profitabilität trotzdem aufrechtzuerhalten, ist der wichtigste Punkt der Strategie. Der Brief ist noch immer ein sehr starker Ergebnisbringer, und wir versuchen, ihn relevant zu halten – auch wenn er weiter schrumpft.
Wird der Paketbereich auch durch weitere Zukäufe wie dem von Aras Kargo in der Türkei expandieren?
Möglich, denn das Netzwerkelement ist schon ein wichtiges. Dieses Geschäft ist längst nicht mehr national. 80 Prozent der Pakete, die wir in Österreich zustellen, kommen aus dem Ausland. Amazon hat hier in kurzer Zeit 20 Prozent Marktanteil erreicht. Und in der Türkei oder in Südosteuropa nimmt der Wettbewerb mit neuen Spielern rapide zu – im Moment etwa auch aus China. Wir müssen mit sehr guter Qualität, Kosteneffizienz und kurzen Lieferzeiten reagieren – was wir in Österreich bislang sehr gut hinbekommen haben. Unsere großen Kunden verlangen, dass wir mindestens 98 Prozent der Pakete am nächsten Tag ausliefern. Beim Brief tritt das hingegen immer mehr in den Hintergrund, weil niemand ein Strafmandat innerhalb eines Tages braucht.
Mitentscheidend ist auch die Digitalisierung. Wie viel Technologiekonzern steckt denn schon in der Post?
Sehr viel. Wir haben im Konzern in Summe ca. 1.000 IT-Leute. In Griechenland haben wir den IT-Anbieter Agile Actors zugekauft, in der Türkei mit Aras Digital ein IT-Unternehmen aufgebaut. In Graz sind wir an ACL beteiligt, einem IT-Solution-Provider für Logistik. Die Digitalisierung ist einerseits ein Feind des Briefgeschäfts, andererseits ein Treiber für interne Effizienzsteigerung, für unser Wachstumsfeld Paket und auch für andere Geschäftsmodelle, die wir laufend entwickeln.
Sind das digitale Modelle?
Ja, wir sind zum Beispiel in der digitalen Werbung tätig. Wir haben die größte Transaktionsdruckerei Österreichs, wo Verträge, Kontoauszüge usw. ausgedruckt werden. Und mit Business Solutions können sich unseren Kunden physisch eingelangte Post bei uns scannen und elektronisch zustellen lassen. Wir bauen rund um die Kerndienstleistungen Brief und Paket im Sinne eines Ökosystems Servicegeschäfte auf. Mit shöpping haben wir sogar einen eigenen Marktplatz für den österreichischen Handel.
Trägt shöpping zwischenzeitlich auch zum Ergebnis bei?
Noch nicht. Aber ich halte das trotzdem für eine wichtige Serviceleistung für den unsere Händler. shöpping ist unser Beitrag für ein nationales E-Commerce-Geschäft. Zugegeben ist das wesentlich schwieriger als anfangs gedacht.
Ihr Nachfolger Walter Oblin setzt stark auf Digitalisierung. Er kommt wie Sie von McKinsey. Sind Berater die besseren Manager?
Nein, aber die Beratung, speziell auch bei McKinsey, ist grundsätzlich ein sehr gutes Lernfeld für junge, ambitionierte Menschen, weil du da halt in kurzer Zeit wesentlich mehr lernst als im Betriebswirtschaftsstudium. Aus meiner Sicht sind zum Beispiel Naturwissenschaftler gute Manager. Bei McKinsey hatten wir damals über 50 Prozent promovierte Physiker.
Ein Meilenstein Ihrer Ära war die Gründung der bank99. Der Beginn gestaltete sich sehr holprig. War es betriebswirtschaftlich trotzdem die richtige Entscheidung?
Ich bin überzeugt davon, obwohl es eine durchaus umstrittene Entscheidung war. Nachdem die BAWAG die Kooperation mit uns beendet hatte, standen wir vor der Option, entweder keine Bankdienstleistungen mehr anzubieten oder einen eigenen Weg zu finden. Dass sich dieser Weg dann ein bisschen anders entwickelt hat als vorgesehen, habe ich nie verhehlt. Der Start mitten in den ersten Lockdown hinein war wenig hilfreich. Aber wir haben heute 290.000 Kunden und eine Bilanzsumme von über 3,5 Milliarden Euro. Wir haben das Privatkundengeschäft der ING zugekauft und wachsen weiter. Wenn wir hoffentlich bis zum Jahresende die IT-Migration aller ING-Kunden bewältigt haben, wird die bank99 erst richtig in Fahrt kommen. Ich bin guten Mutes, dass sie der Österreichischen Post auf Sicht sehr positive Ergebnisse bringen wird.
Hätten Sie anderenfalls das Filialnetz weiter reduzieren müssen?
Ja, es hätte noch einmal eine deutliche Ausdünnung bedeutet. Durch die Bankdienstleistungen können wir ein größeres Netz aufrechterhalten. Das heißt aber nicht, dass wir uns als reine Filialbank verstehen. Selbstverständlich wollen wir auch im digitalen Banking State of the Art sein.
Kommen wir noch zu den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Österreich und Europa. Sie haben oft den Regulierungswahn angeprangert. Das tun andere auch, aber es nützt genau nichts, oder?
Ich bin grundsätzlich Optimist und sehe sogar bei den ganzen Corporate-Social-Responsibility-Themen Licht am Horizont. Frau von der Leyen hat versprochen, sie will 25 bis 30 Prozent dieser Regelungen wieder zurückdrehen. Aus Sicht der Post kann ich nur sagen: Wir sind ein Vorzeigunternehmen. Wir wissen ganz genau, wie wir bis 2040 als gesamtes Unternehmen weitgehend CO2-frei agieren werden. Wir haben dafür eine Roadmap, die wir konsequent verfolgen. Und mit der Überzeugung des Vorzeigeunternehmens behaupte ich, dass alle Vorschriften, die uns die Bürokratie auferlegt, in keiner Weise fördern, was wir sowieso tun. Wenn ich jetzt quartalsmäßig 1.100 CSR-Berichtspunkte ausfüllen muss, und zwar nicht nur von Österreich, sondern auch aus der Türkei und Südosteuropa, kann ich darin nur einen ganz seltsamen Hang zu Vorschriften erkennen, der sich in Europa offensichtlich entwickelt hat. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass dieser Wahnsinn eingedämmt wird.
Ein anderes politisch heißes Thema ist die Debatte um Arbeitszeiten und generell die abnehmende Leistungsbereitschaft.
Die Wettbewerbsnachteile gegenüber aufstrebenden Nationen wie Indien und vor allem China auszugleichen, ist eh schon nicht mehr realistisch. Aber das Problem mit einer 32-Stunden-Woche lösen zu wollen, ist einfach nur absurd. Bis auf einige wenige glaubt das in Österreich allerdings ohnehin niemand, nicht einmal in der SPÖ. Es gibt jedoch den bedenklichen Trend, den Menschen ihre Eigenverantwortung abzunehmen. Der Staat soll alles richten. Mehr Leistung ist als Rezept nicht gefragt. Ich höre immer nur: mehr Sozialleistung. Bis hin zur Forderung eines Essenzuschusses für einkommensschwache Schichten, um der Fettleibigkeit zu begegnen.
Auch die selbst ernannte Wirtschaftspartei ÖVP bedient durchaus solches Anspruchsdenken.
Trotzdem glaube ich, dass die Leute nicht so naiv sind, zu glauben, die gebratenen Tauben fliegen von selbst daher. Ich vertraue auf ihre Vernunft. Sie werden erkennen, dass sich das irgendwann einfach nicht mehr ausgeht – auch nicht mit Erbschafts- oder Vermögensteuern. Wenn wir diesen Weg weiterverfolgen, dann endet das sowohl in einer wirtschaftlichen als auch in einer sozialpolitischen Katastrophe. Und zwar EU-weit, denn das ist ja kein rein österreichisches Problem. Die Konsequenz wäre dann ein rigoroser Verzicht. Deswegen glaube ich daran, dass sich das dreht.
Welche Punkte sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten, die auf der Agenda der kommenden Bundesregierung stehen müssten?
Wir brauchen eine glaubhafte Strategie im Kampf gegen den Klimawandel, aber gepaart mit dem Bewusstsein, dass wir es allein aus Europa nicht schaffen werden: Das erfordert eine Politik mit mehr Hausverstand. Den zweiten Punkt, Bürokratieabbau, haben wir besprochen. Des Weiteren gilt es, beim Thema Integration zu einem viel konsequenteren Vorgehen zu kommen. Da braucht man einerseits Antworten, um den Migrationsdruck einzudämmen, aber andererseits mehr Unterstützung bei der Integration jener, die schon da sind. Das muss konsequent passieren und nicht so lauwarm, wie wir das derzeit in Österreich tun, weil wir so richtig eh niemandem etwas vorschreiben dürfen.
Und wirtschaftspolitisch muss was passieren?
Da geht es vorrangig um die Bewusstseinsbildung, dass auf Dauer nur ein gesunder Wirtschaftsstandort Sozialleistungen bieten kann. Unser Wettbewerbsvorteil, den wir einmal hatten in Österreich, der ist ja lange weg. Wir sind in Europa eher auf der Verliererstraße – und tun nichts, um den Trend umzukehren. Vielleicht glaubt jetzt noch eine Mehrheit, dass alles gut ist. Aber dieser Glaube wird bald einmal erlöschen, und wir werden uns daran erinnern müssen, was wir in der Menschheitsgeschichte gelernt haben: Damit es dir gut geht, strengst du dich an. Und am Ende des Tages geht es den Tüchtigen halt ein bisschen besser als den weniger Tüchtigen. Das heißt keineswegs, den Sozialstaat in Frage zu stellen. Ganz im Gegenteil: Wir sollten ihn nicht mit Gewalt umbringen.
Und Sie glauben nach der Wahl im Herbst an eine Konstellation, wo es in diese Richtung geht?
Auch da bin ich Optimist. Ich hoffe, dass sich das Blatt zum Besseren wendet.
Mit Herbert Kickl oder Andreas Babler als mögliche Kanzler? Beide wären nicht unbedingt ein Turbo für den Standort.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Kickl oder Babler Kanzler werden. Ein Babler würde keine Mehrheiten finden für seine kommunistischen Standpunkte.
Was werden Sie selbst denn ab Oktober machen? Sie ließen einmal anklingen, sich etwas in Richtung grüne Technologien oder Recycling vorstellen zu können?
Ich habe schon jetzt die eine oder andere Aktivität in Richtung alternativer Energien. Ich bin etwa an einem Unternehmen für Biomasseverbrennung beteiligt. Und mein erster Job als Vorstand war bei der Binder+Co AG, damals Weltmarktführer im Altglasrecycling. Solche Themen interessiert mich. Auch unsere Kinder sind in diesen Bereichen tätig, unsere Tochter beschäftigt sich mit Energieeffizienz, und ich coache sie auch ein bisschen. Niemand muss sich sorgen, dass mir langweilig wird.
Behalten Sie ihr Post-Aktienpaket, oder machen Sie jetzt Tabula Rasa?
Das Paket wird behalten, weil ich überzeugt bin, dass eine sehr gute Nachfolgemannschaft am Werk ist. Ich vertraue absolut auf die Post-Aktie, sie ist in meinem überschaubaren Portfolio natürlich der größte Titel. Das wird auch so bleiben.
Das Interview mit Post-Chef Georg Pölzl ist der trend. Edition+ vom August 2024 entnommen.
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