Marcel Haraszti, CEO von REWE International (BILLA, BILLA PLUS, BIPA, ADEG, PENNY), über den Streit mit Lieferanten, die Rückkehr der Rabattschlachten und unaufhaltsam steigende Supermarktpreise.
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Österreichs größte Unternehmen: REWE International AG
Der Handelsriese REWE International gehört mit seinen verschiedenen Marken zu den Top 3 im heimischen Lebensmittelhandel und ist zudem auch im Drogerie- und Tourismusgeschäft tätig. Im Trend TOP 500 Ranking liegt das Unternehmen auf Rang 4.
FACTS: REWE International AG
Gegründet: 1927 / 1953
Firmensitz: 2355 Wiener Neudorf, IZ NÖ-Süd Straße 3/Obj. 16
MitarbeiterInnen: 89.223
Tätigkeiten: Lebensmittel- und Drogeriefachhandel, Touristik
Umsatz (2021): 15,96 Mrd. €
Eigentümer: REWE International Beteiligungs GmbH (DE) 100%
Management: Marcel Haraszti (BILLA, BILLA PLUS, BIPA, ADEG), Michael Jäger (PENNY), Espen Berge Larsen (Vollsortiment-Geschäft in Zenral- und Osteuropa), Christoph Georg Matschke (Controlling, HR, IT-Management, Logistik)
Aufsichtsrat: Lionel Souque (Vorsitz), Christian Mielsch, Sven Spork, Jan Kunath
Website: rewe-group.at
ZUM FIRMENPORTRÄT: REWE International AG
REWE International CEO Marcel Haraszti im Interview
trend: Herr Haraszti, Sie wollen Rewe wieder zur Nummer eins machen, zumindest in der Kundenwahrnehmung. Das wird schwer, wenn der wöchentliche Einkauf im Supermarkt derzeit um 16,1 Prozent teurer als im Vorjahr ist. Die Wahrnehmung ist doch eher, der Lebensmittelhandel verdient sich da eine goldene Nase.
Marcel Haraszti: Wir jedenfalls nicht. Im Gegenteil, wir haben das intern analysiert, und bei uns im Rewe-Konzern beträgt die kumulierte Preissteigerung übers Jahr und über alle Produktgruppen hinweg aktuell nur etwas über sieben Prozent, also weit unter der genannten Inflationsrate. Wir haben auch in den ersten Monaten des Jahres versucht, die meisten Preisforderungen der Lieferanten abzublocken, ganz speziell jene der internationalen Lieferanten. Und wenn man sich die Quartalsberichte von Mars, Kellogg's & Co. anschaut, dann sieht man ja, dass wir richtig handeln.
Inwiefern?
Wir können erstens ungerechtfertigte Preiserhöhungen nicht akzeptieren. Und dass sie das sind, können wir gut nachvollziehen, schließlich haben wir unsere Eigenmarken und wissen, was wie viel kostet. Außerdem glauben wir, dass auch unsere Lieferanten einen Beitrag leisten müssen, insbesondere wenn sie zweistellige Gewinnmargen haben. Wir haben unsere Mehrkosten, die dieses Jahr etwa bei Energie angefallen sind, jedenfalls nicht in die Preise eingerechnet.
Dafür hat der Lebensmittelhandel im Vorjahr dank Schließungen in der Gastronomie und Hamsterkäufen aber Rekordgewinne gemacht, die Hersteller saßen im Lockdown.
Wir sind auch bereit, einen Teil der Mehrkosten zu tragen. Aber darüber hinaus sind wir ein Schutzschild für Kunden. Hätten wir alle gewünschten Preiserhöhungen unserer Lieferanten durchgewinkt, hätten wir tatsächlich schon eine zweistellige Inflation. Wir werden das auch weiterhin verhandeln und sind bereit, auf Konfrontation zu gehen, wenn es sein muss. Und einige der Lieferanten stellen unsere Belieferung dann auch ein, wie man sieht.
Aber Ihre Lager sind noch gut mit Mars-Riegeln gefüllt.
Unsere Lager sind gut gefüllt, ja. Aber es gibt aktuell durchaus noch andere Lieferanten, wo wir uns nicht einig sind, Haribo etwa oder Kellogg's. Und prinzipiell kann es schon sein, dass das eine oder andere Produkt ausfällt. Das wiederum ist für die Markenartikelindustrie nicht sehr hilfreich, weil die Kunden dann zum Substitut greifen, sei es clever oder Billa immer gut, und sehen, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis bei unseren Eigenmarken besser ist.
Klingt so, als säßen Sie in dem Disput zwischen Lieferanten und Handel doch irgendwie auf dem längeren Ast.
Nein, es ist schon so, dass uns ein Lieferboykott bei dem einen oder anderen Kunden Umsatz kostet. Aber das wirkliche Problem ist doch, dass die Gewinnmargen im Lebensmittelhandel in Österreich zwischen ein und zwei Prozent liegen und große internationale Markenartikelhersteller nicht bereit sind, von ihrer weit höheren Gewinnmarge einen Beitrag abzugeben. Und wir reden dabei nicht von österreichischen Lieferanten. Bei denen einigen wir uns meist relativ rasch. Wir haben von der Milchindustrie etwa schon drei, vier Preiserhöhungen akzeptiert.
Sieht man die Aufwärtsentwicklung auf den agrarischen Rohstoffmärkten an, werden die Preissteigerungen für verarbeitete Lebensmittel noch weitergehen.
Ja, wir gehen davon aus, dass es weitere Preisanpassungen gibt.
Die Wettbewerbsbehörde ist auch misstrauisch und gerade dabei, die Lieferketten genauer zu analysieren.
Das begrüßen wir sehr, man muss das ganze System transparent machen. Wir können nachweisen, auf diesen höheren Kosten sitzen zu bleiben. Das werden wir dieses Jahr auch im Bilanzergebnis sehen.
In welcher Höhe?
Alleine die Energiekosten machen einen hohen zweistelligen Millionenbetrag aus, dazu kommen höhere Dieselkosten und Papierkosten.
Dann schmilzt Ihre Marge also tatsächlich?
Ja. Dazu kommt der Wettbewerb am Markt. Eigentlich wollten wir unsere Preisstrategie eher auf niedrigere Kurantpreise (Statt-Preise, Anm.) konzentrieren und die viel kritisierten Aktionen und Rabatte zurückfahren. Aber wir sehen jetzt, dass die Kunden wieder verstärkt attraktivere Rabatte und mehr Preisnachlässe sehen wollen. Daher werden wir wieder verstärkt in unsere Minus-25-Prozent-Warengruppen-Aktionen oder den Rabattsammler investieren.
Das heißt, das Einkaufsverhalten der Kunden ändert sich?
Ja. Der Griff in Richtung Preiseinstieg wird häufiger, darum haben wir auch die Anzahl unserer Eigenmarke clever auf über 700 Artikel erhöht. Wir sehen hier auch prozentuell zweistellige Wachstumsraten.
Zu dieser Entwicklung zählt wohl auch, dass ausgerechnet Ihre Diskontschiene Penny nach dem Einbruch während Corona wieder Fuß gefasst hat.
Ja, jetzt ist die Zeit des Discounts, die holen einiges auf. Und Penny entwickelt sich über dem Schnitt der Branche. Man hat hier eine gute Sortimentspolitik gemacht, stark an Eigenmarken gearbeitet und mit dem Fleischhauer in der Filiale ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sie sich sehr gut profilieren können.
Geht der Diskont-Boom auf Kosten der hochpreisigen Segmente?
Nein, es gibt nicht nur einen Trend. Wir haben weiterhin sehr gute Wachstumsraten bei den teureren Regionalprodukten oder bei dem Vegan-Sortiment. Unser neu eröffneter Plant-based Store Billa Pflanzilla etwa entwickelt sich mehr als erfreulich. Ursprünglich wollten wir dort nur unsere veganen Produkte testen, 2.000 sind es schon und jeden Tag kommen neue dazu. Aber jetzt wird dieser Markt extrem gut angenommen. Kunden wollen sich auch weiterhin gesund ernähren. Das gilt auch für Bioware, die wir mit der neuen Eigenmarke Billa Bio perfekt bedienen können.
Das sind also Segmente, die sich trotz der Preisexplosion ihre Fans erhalten haben?
Es ist mehr, denn Plant-based Produkte sind mittlerweile kein Nischenthema mehr, auch kein kurzfristiger Trend, sondern ein etablierter Teil der Gesellschaft. Genauso wie regionale Produkte, wo wir als einzige österreichische Handelsfirma etwa zu 100 Prozent Frischfleisch aus Österreich anbieten können, auch Geflügel und Pute, und das hat kein anderer. Und das gilt auch für Bio, wo wir unsere Eigenmarke Billa Bio noch weiter ausbauen werden.
Geht Billa Bio auf Kosten der traditionellen Biomarke Ja! Natürlich oder erreichen Sie damit neue Kundenschichten?
Da gibt es eine gute Koexistenz. Mit Ja! Natürlich haben wir den Goldstandard, dessen Produktionskriterien weit über dem EU-Standard liegen, das ist einmalig. Es ist die einzige Eigenmarke, die komplett auf Palmöl verzichtet und Tierwohlstandards etabliert hat, als die meisten nicht einmal wussten, was das ist. Und mit Billa Bio haben wir ein sehr innovatives Sortiment für kostenbewusste Käufer. Wir haben Bio dadurch demokratisiert.
Eine der riskantesten Maßnahmen, um die verloren gegangene Poleposition am Markt wieder aufzuholen, war die Eingliederung von Merkur in das Markendach von Billa. Gibt es da schon eine Zwischenbilanz?
Die Umstellung hat sich gelohnt, von den Marktanteilen her, auch wenn man diese Maßzahl immer relativieren muss. Wir konnten schon im Vorjahr den Rückgang nicht nur stabilisieren, sondern sogar leicht dazugewinnen. Und wenn wir uns die letzten drei Monate anschauen, dann ist Billa Plus sogar zu unserem Zugpferd geworden, das den restlichen Wettbewerb outperformt, das freut uns wahnsinnig. Wir haben jetzt ein schönes Zusammenspiel zwischen Billa und Billa Plus gefunden, sprechen alle Kunden mit ihren unterschiedlichen Shoppingmissionen an, egal, ob sie unter der Woche schnell zu Billa gehen oder den großen Wochenendeinkauf mit Familie bei Billa Plus machen.
Können Sie die Steigerung durch Billa Plus irgendwie beziffern?
Einerseits haben wir nach der Umstellung deutlich mehr Umsatz gemacht als in unseren Business-Cases geplant. Aber wir bewerten vor allem die Markenführung. Es war in der Vergangenheit extrem schwierig, zu kommunizieren, zwei Marken sind ein ökonomischer Nonsens, absolut unvorteilhaft. Jetzt können wir unsere Nachhaltigkeitsstrategie oder unser Eigenmarkenportfolio sehr gut über einen einzigen Brand spielen. Wir haben die Verwaltung zusammengeführt, was zu Kosteneinsparungen führte. Wir konnten unser Marktgebiet in sieben Regionen aufteilen, was viele der folgenden Maßnahmen erst möglich gemacht hat.
Eine dieser Maßnahmen war etwa ein eigenes Billa-Franchisesystem. Sie übergeben - ähnlich wie bei Spar - einzelne Standorte an eigenständige Kaufleute.
Ja, wir haben den ersten Billa-Kaufmann bereits ins Rennen geschickt und eröffnen heuer noch zwei weitere in Wien. Bis Ende 2026 sollten es mindestens 100 werden, eher mehr, denn wir sehen es bei unserer deutschen Muttergesellschaft: Wenn wir die richtigen Kaufleute haben, holen die selbstständigen Kaufleute einfach mehr Umsatz aus einem Markt heraus. Wir sind dann mehr der Großhändler, der die Kaufleute beliefert und an der Großhandelsspanne verdient. Wir haben wirklich super Marktmanager, aber die müssen natürlich im Korsett eines Filialsystems agieren.
Der Großhandel scheint bei Rewe immer wichtiger zu werden, immerhin haben Sie im Sommer ein neues Vorstandsressort geschaffen und sowohl das Tankstellengeschäft als auch die Belieferung der Billa-und Adeg-Kaufleute eingegliedert.
Wir können hier viele neue Aktivitäten bündeln, etwa den Relaunch des Tankstellengeschäfts bei BP unter dem Namen Billa Now - womit wir die Markenwelt Billa wiederum erweitern. Oder auch die Belieferung der OMV-Tankstellen, die unter dem Label Viva Billa laufen. Und wir werden unser Onlinegeschäft erweitern und ein zweites Auslieferungslager im Norden Wiens in Betrieb nehmen. Wir sehen großes Potenzial, erweitern das Sortiment mit Eigenmarken und regionalen Produkten.
Ihr Schwerpunkt scheint darauf zu liegen, substanzielles Wachstum zu erreichen.
Für Flächenausweitungen wird es in Österreich auch nicht mehr viele Möglichkeiten geben. Die Standorte sind dicht besetzt und weitere Bodenversiegelung ist auch kein Thema. Ich verstehe, dass wir nicht mehr so bauen können wie in den 1980er-Jahren. Wir schauen, dass wir intelligentere Lösungen finden, mit begrünten Parkplätzen und Green Buildings wie unser neuer Billa Plus in Baden, ein total nachhaltiger Markt. In Wien etwa überlegen wir uns, ob wir nicht die Fläche an bestehenden Standorten besser ausnutzen können. Wir sind in engem Austausch mit der Stadt Wien, wie man über den Filialen Wohnraum schaffen kann, und haben das auch schon bei diversen Projekten gemacht.
Das heißt, Sie ziehen das Investitionsprogramm trotz oder wegen der Preissteigerungen jetzt durch?
Wir halten Kurs, trotz Krise und Kostensteigerungen. In Summe werden es heuer 400 Millionen Euro in Österreich werden, nächstes Jahr sogar 460 Millionen.
Und mit der Politik haben Sie Ihren Frieden gemacht? Das auch von Ihnen ursprünglich heftig bekämpfte Plastikpfand von Klimaministerin Leonore Gewessler wird jetzt widerspruchslos eingeführt.
Am Anfang sind wir davon ausgegangen, dass man die Recyclingziele der EU auch ohne Pfand erreichen kann. Dann haben wir mit dem Umweltministerium konstruktive Gespräche geführt und gesehen, dass wir zusammen ein gutes Alternativkonzept entwickeln können. So haben wir uns dann doch zum Plastikpfand bekannt, trotz Kritik unserer Mitbewerber. Wir sind mitten in den Vorbereitungen, damit das 2025 möglichst kundenfreundlich ablaufen kann. Es geht um hohe Investitionen in Automaten und den logistischen Prozess.
Urteilen Sie über andere politische Streitthemen im Handel ebenso milde, von den Covid-Lockdown-Verordnungen angefangen bis zu den angekündigten Energiekostenzuschüssen für Unternehmen?
Es gibt andere Dinge, die uns mehr stören, wie etwa die angesprochenen Energiekostenzuschüsse, wo eine Woche vor Inkrafttreten der Antragsfristen noch keine finale Richtlinie veröffentlicht ist. Und inhaltlich ist das maßgeschneidert für die Industrie, als wäre Österreich nur ein Industrieland. Als man uns während der Pandemie brauchte, standen wir Gewehr bei Fuß. Aber wenn es umgekehrt um Unterstützung für uns geht, vergisst man den Handel schnell. Wir sind für die Politik ein bisschen wie das Proletariat der Wirtschaft. Ganz generell: Viel hat man für den Handel nie getan.
Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 10. November 2022 entnommen.