Trend Logo

Schichtwechsel bei Magna - Ist der Standort Graz in Gefahr?

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
9 min
Mercedes-G-Serie: in Grazer Vorzeigemodell

Mercedes-G-Serie: in Grazer Vorzeigemodell

©APA/picturedek.com/Harald Scnneider
  1. home
  2. Aktuell
  3. Unternehmen

Mit dem neuen Europa-Chef Uwe Geissinger fällt der letzte Österreich-Bonus im kanadischen Konzern weg. Das kommt dem ohnehin vulnerablen Standort des Autobauers in Graz nicht unbedingt entgegen.

von

Geräuschlos wie ein Elektroauto. So verlief der Wechsel von Uwe Geissinger ans Lenkrad der Europa-Tochter von Magna International, einem der größten Autozulieferer weltweit. Vorgänger Günther Apfalter hatte seine Agenden vorzeitig bereits im Juni übergeben – still und leise. Eigentlich geht er gemeinsam mit Anton Mayer, dem zweiten Österreicher im bisherigen Führungsteam von Magna, offiziell erst zum Jahresende in Pension. trend berichtete darüber.

Was jetzt folgt, könnte in Österreich mehr Aufsehen verursachen. Denn in Graz befindet sich mit Magna Steyr ein besonders vulnerabler Standort des Konzerns. In der Branche werden durch die Transformation vom Verbrenner hin zu Elektrotechnologien gerade die Karten neu gemischt. Es wäre kein Nachteil, hatte man da noch Fürsprecher mit Lokalbezug in der Magna-Zentrale in Aurora, Kanada. So wie es Apfalter und Mayer noch lange Zeit nach dem Rückzug von Gründer Frank Stronach im Jahr 2010 waren. Doch nun nimmt die Angst zu, man könnte im internen Standortwettkampf unter die Räder zu kommen.

Blurred image background

Der Deutschkanadier Uwe Geissinger, seit Juni Präsident von Magna Europe, will chinesische Autos in Europa bauen. Eigentlich eine gute Nachricht für Magna-Steyr in Graz – hätte er nicht gleichzeitig ein neues werk außerhalb Österreichs ins Spiel gebracht.

 © Magna

Auslaufmodelle

Ganz unberechtigt ist das nicht. Die Grazer sind eine Besonderheit in der Magna-Gruppe, weil sie nicht nur Autoteile, sondern ganze Fahrzeuge bauen – im Auftrag von Markenherstellern wie BMW. 3,7 Millionen Stück waren es in den vergangenen 50 Jahren. Von den 37,8 Milliarden Dollar des globalen Magna-Umsatzes 2022 stammen 5,2 aus der Produktion kompletter Autos, davon 4,8 Milliarden aus Graz.

Doch jetzt stockt das Werkl. Wichtige Modellreihen laufen bald aus, etwa der BMW5. Prestigeproduktionen wie die von Jaguar I-Pace und E-Pace gehen 2024/25 zu Ende. Im Frühjahr wurden bereits Schichten reduziert und Appelle zum Urlaubsabbau verschickt, 1.800 der rund 9.000 Mitarbeiter waren betroffen.

Zwei, drei Jahre, so sagte der lokale Magna-Steyr-Chef Roland Prettner in Interviews, könne die Durststrecke dauern. Sein Hinweis: Die Autoproduktion in Europa ist von jährlich 22 Millionen Stück auf ein Niveau von 16 Millionen geschrumpft, die etablierten Autobauer haben selbst Produktionskapazitäten frei und lagern weniger an Fremdfertiger wie Magna Steyr aus.

Die TOP TEN österreichischer Automobilzulieferer 2022

Name

Umsatz in Mrd. €

Änderung zum Vorjahr in %

Magna Steyr

4,8

-4,7

BMW Österreich

3,6

8,7

Pierer Industrie

3,3

19,6

AVL List

1,9

18,0

Bosch Österreich

1,4

1,0

ZKW Group

1,4

27,1

Kromberg & Schubert

1,3

22,0

BRP-Rotax

1,3

27,9

Miba

1,1

14,7

Rosenbauer

0,9

-0,3

Quelle: Industriemagazin

Gedämpfte Hoffnung

Jetzt dämpfen auch noch die neuen Hoffnungsträger der E-Mobility die Erwartungen. Das US-Start-up Fisker etwa hatte sich Magna Steyr eigentlich als Fertigungspartner für den Geländewagen Ocean ausgesucht, in Zukunft auch mit Elektroantrieb. Doch die Zahlen werden sukzessive hinuntergeschraubt. Von 150.000 Autos pro Jahr sackte der Zielwert im Frühjahr auf 42.000 ab. Mittlerweile geht es nur mehr um 20.000 bis 30.000, wenn überhaupt. Viel mehr als 1.000 Stück wird man heuer nicht schaffen. Dabei ist Magna doppelt ins Risiko gegangen und hat sich mit sechs Prozent an Fisker beteiligt.

Diese Erfahrung zeigt wohl auch die Gefahren für Magna bei anderen Newcomern wie etwa Ineos, die Elektroauto-Tochter des gleichnamigen britischen Chemieriesen. 2026 will Ineos die ersten Grenadier-Geländewagen mit Elektroantrieb bei Magna produzieren lassen. Ob der sprunghafte Ineos-Eigentümer und Milliardär Jim Ratcliffe, der vom Formel-1-Team bis zum Fußballklub so einiges zusammensammelt, tatsächlich daran festhält, steht noch in den Sternen.

Immerhin: Das jüngst medial hochgepushte angebliche Aus für die Fertigung der Mercedes-G-Reihe in Graz entpuppte sich letztlich als simpler Modellwechsel, sogar inklusive einer Vertragsverlängerung.

Zu Jahresmitte 2023 wurden in Summe rund 60.000 Autos von Magna Steyr in Graz produziert, wie es am Jahresende aussieht, will derzeit niemand prognostizieren. Von den vor wenigen Jahren noch angepeilten Ziel von bis zu 200.000 Stück ist man meilenweit entfernt.

Magna international: Produktion kompletter Autos in Stück pro Jahr

Blurred image background
Magna international: Produktion kompletter Autos in Stück pro Jahr

Rückgang. Noch ist offen, ob das zweite Halbjahr 2023 den Rückgang in der Fertigung ganzer Fahrzeuge – zuständig dafür ist hauptsächlich Magna Steyr in Graz stoppen kann. Alte Ziele von bis zu 200.000 Stück sind außer Reichweite.

 © Magna, Jahresberichte

Werkbank Chinas?

Ob der neue Europa-Chef Geissinger den Österreichern in dieser Situation nun zu neuen Aufträgen verhilft, scheint fraglich. Er hat viel Bezug zu Technik und Effizienzmaßnahmen, aber wenig zu standortpolitischen Empfindlichkeiten. Auf trend-Anfrage wollte er nach anfänglicher Zusage dann doch keine Statements zu seinen Plänen abgeben. Auf der internationalen Automesse in München Mitte September überraschte er mit der Idee, angesichts offener Produktionskapazitäten chinesische Autos in Europa zu bauen. Um gleich darauf einzuschränken, dass dabei nicht unbedingt Graz gemeint sei, sondern durchaus auch andere Länder als neuer Standort für Magna in Frage kämen.

Denn mittlerweile sind die Rahmenbedingungen für Magna in Österreich nicht besonders gut, zeigt die Bilanz. Im Vorjahr etwa sank der Umsatz, während andere Zulieferer noch Zuwächse verzeichneten. Im ersten Halbjahr 2023 stieg er dann wieder, dafür sank der Ertrag um fast 25 Prozent.

Es geht um Energie, Inflation und Umweltauflagen, die Kosten dafür schlagen überproportional belastend durch. Die laufenden Kollektivvertragsverhandlungen mit Arbeitnehmerforderungen in zweistelliger Prozenthöhe werden den Standort konzernintern wohl nicht stärken.

Thomas Krenn, Geschäftsführer des Mobilitätsclusters AC Styria, sagt, ohne Magna konkret zu erwähnen: Überproportionale Lohnerhöhungen „könnten die finanzielle Belastung für unsere Partnerunternehmen erheblich steigern. Dies kommt zu einer Zeit, in der die Automobilindustrie bereits mit der Notwendigkeit konfrontiert ist, in innovative Technologien und umweltfreundliche Lösungen zu investieren, um den Wandel in der Branche zu bewältigen”.

Die Autohersteller wissen derzeit selber nicht, wie schnell oder langsam sich die Transformation zur E-Mobility durchsetzen wird. Die Unsicherheiten betreffen nicht nur Motoren, sondern auch Karosserie und Fahrwerk, da plötzlich andere Schwerpunkte gesetzt bzw. neue Materialkobinationen aus Alu, Karbon und Kunststoffen gefunden und verarbeitet werden müssen.

Man ist vorsichtig mit der Vorausproduktion, und dementsprechend wissen auch die Zulieferer nicht, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln sollen, ergab jüngst eine weltweite Studie vom Unternehmenberater Strategy&. Österreich-Partner Johannes Schneider: "Die hiesigen Zulieferer investieren aktuell so viel wie noch nie in Forschung und Entwicklung. Damit diese Investitionen auch Früchte tragen, sollten sie ihre Technologieentwicklung allerdings noch stärker auf den Marktbedarf sowie die Situation im Wettbewerb ausrichten, statt längst gesetzten Trends wie dem Batteriegeschäft hinterherzulaufen."

Die Automobilindustrie ist mit der Notwendigkeit konfrontiert, in innovative Technologien und umweltfreundliche Lösungen zu investieren, um den Wandel in der Branche zu bewältigen.

Thomas KrennGeschäftsführer des Mobilitätsclusters AC Styria

Konkurrenz für Graz

Und so droht Graz, innerhalb des Magna-Konzerns den Anschluss zu verlieren. Schon jetzt laufen viele Entwicklungen dort vorbei: Ein neues großes Werk für Elektromotoren etwa baut Magna gemeinsam mit LG in Ungarn. Für den Elektro-Pickup von Ford investiert man in Tennessee, USA, 790 Millionen Dollar in eine neue Fertigungsanlage.

Auch bei der Montage kompletter Fahrzeuge bekommen die Österreicher zunehmend Konkurrenz. Newcomer Fisker etwa wird auch in Ohio fertigen. Und die seit Längerem bestehende Magna-Kooperation „Blue Sky”) mit dem chinesischen Industriekonzern BAIC in Zhenjiang ist ebenfalls auf das Geschäftsmodell der Grazer spezialisiert. Mit dem Elektroauto Arcfox trägt es erste Früchte.

Überhaupt könnte Asien zum neuen Aufmarschgebiet für Magna werden, eine Entwicklung, die durch die aktuelle Abschottungspolitik der EU-Kommission gegenüber China beschleunigt wird. Neue Lieferkettengesetze, die beginnende Einführung von CO2-Zöllen an den EU-Grenzen oder die wettbewerbsrechtlichen Drohung der Kommission angesichts großzügiger Subventionen an chinesische E-Auto-Hersteller sind durchaus geeignet, Magna zu veranlassen, mehr direkt in China zu machen.

Österreich (und damit Magna Steyr) hätte das Nachsehen, fürchtet der Geschäftsführer der Arge Zulieferindustrie der Wirtschaftskammer, Clemens Zinkl: „Mit diesen Maßnahmen schießen wir uns in beide Knie. Denn die Chinesen werden sich revanchieren – und dieses Match können wir auf lange Sicht nur verlieren.”

Magna schenkt dem chinesischen jedenfalls schon verstärkte standortpolitische Aufmerksamkeit. Der auch Asien umfassende Verantwortungsbereich des früheren Europa-Chefs Apfalter wurde für Uwe Geissinger deutlich reduziert. Stattdessen wurde die chinesische Rechtsexpertin Zhen Wu in China als Magna- Repräsentantin eingesetzt.

Der Artikel ist in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 29.9.2023 erschienen.

Über die Autoren

Logo
Jetzt trend. ab € 14,60 im Monat abonnieren!
Ähnliche Artikel