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Gründer:innen: Sehr jung, sehr unternehmerisch, sehr anders

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Junge Unternehmer:innen: LUIS KALCKSTEIN, BANAN SAKBANI, LINA GALLEI, THOMAS NYER, LILIA GERBER, ANNA GREIL (von links)

©LUKAS ILGNER
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Noch nie wurden in Österreich so viele Unternehmen von Menschen unter 20 Jahren gegründet wie 2023. Viele Gründer:innen sind geprägt von der Hilflosigkeit der Corona-Jahre, Flucht, Klimaängsten. Ihr Potenzial zu heben, ist volkswirtschaftlich ein Muss.

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Ihre Eltern, eine Psychotherapeutin und ein Sozialarbeiter, fragen sie zwischendurch immer wieder besorgt: „Arbeitest du eh nicht zu viel?“ Doch 100-Stunden-Wochen sind für Lina Gallei, die Ende April ihren 20. Geburtstag gefeiert hat, völlig normal – 40 Stunden für die Schule mit eingerechnet. Anfang Mai hat die Wienerin ihre schriftliche Matura gemacht, kurz davor hat sie für ihre Lernplattform AHA Lernen die erste Mitarbeiterin angestellt. Der Firma gilt in nächster Zukunft ihr Hauptaugenmerk. Ihren 15-Stunden-Job in einer Softwarebude behält sie allerdings, nicht nur aus Absicherungsgründen: „Ich liebe Arbeiten.“

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Lina Gallei, Gründerin von AHA-Lernen

© trend / Lukas Ilgner

Entgegen der von Wirtschaftsvertretern der älteren Generation zuletzt häufig getrommelten Phrase, die Jugend gebe sich der Illusion leistungslosen Wohlstands hin, gibt es in der heimischen Gründerszene gerade unter den Jüngsten erstaunliche Entwicklungen. 2,5 Prozent der Unternehmensgründungen erfolgten 2023 laut Daten der Wirtschaftskammer durch unter 20-Jährige, der Anteil hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Auch die absolute Zahl der Firmengründungen hat in diesem Segment zugelegt. In einem zwar kleinen, aber für die Zukunft entscheidenden Teil der Bevölkerung wächst die Bereitschaft, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

Sichtbar wird das etwa im . Die Non-Profit-Organisation hat ein Jahr lang 45 Cs – der Buchstabe "C" steht für so genannte Changemaker – unter 24 in Österreich, in der Schweiz und in Liechtenstein begleitet. Das Ziel ist, sich besser zu organisieren und Ideen auch zur Umsetzung zu verhelfen

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2023 wurden in Österreich 837 Unternehmen von Menschen unter 20 Jahren gegründet,

© trend

Neben Lina Gallei gehört etwa auch Thomas Nayer, ebenfalls gerade 20 geworden, zu diesen Cs. Er ist seit jeher auf den Rollstuhl angewiesen, Diagnose Zerebralparese. Die Erfahrungen allzu vieler Barrieren in seinem Alltag haben ihn dazu veranlasst, eine eigene App zu launchen, die es Leuten wie ihm leichter machen soll: do-gether bringt hilfsbereite Menschen und solche, die Hilfe benötigen zusammen. Für ihre Unterstützung erhalten die Helfer dabei ein Honorar.

„Die Politik ist dafür zu langsam“, sagt er mit dem Brustton der Überzeugung. Seine Probleme lassen sich auf unternehmerische Art und Weise rascher und treffsicherer lösen, glaubt er.

Der Wunsch nach Verbesserung der eigenen Welt ist dabei kompatibel mit dem Wunsch nach einem stabilen, gerne auch hohen Einkommen. „Natürlich will ich auch Geld verdienen“, sagt Nayer, der bereits eine GmbH für die Entfaltung kommerzieller Aktivitäten gegründet hat. Sein großes Vorbild ist Apple-Gründer Steve Jobs.

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Als 19-Jähriger hat er die do-gether Services GmbH gegründet. Deren erstes Produkt, eine App, wurde am 26. Juni gelauncht.

Mission possible

Die Gründer:innen der neuesten Zeit haben meist eine Mission: Idealerweise wird ein konkretes Problem im Nahbereich gelöst und gleichzeitig eine Formel für die Weltverbesserung entwickelt. Nachschub gibt es in diesem Segment genug. Als in einem Panel des 4Gamechangers Festivals Mitte Mai die Diskussion auf die nachlassende Gründungsdynamik in Österreich kam, bestätigte Speedinvest-Gründer Oliver Holle, der trend-Mann des Jahres 2023, den Durchhänger, beruhigte aber: „Wir sehen derzeit eine riesige Welle an Mission-Driven Founders.“

Im Teenageralter rein kommerzielle Unternehmen zu starten und zu schuften, um eine Organisation so schnell wie möglich profitabel und expansionsfähig zu machen, ist inzwischen eher die Ausnahme – mit den Jüngstgründern Moritz Lechner von NewFluence und Viktoria Izdebska von Salesy gibt es aber auch für diese klassische Disziplin Aushängeschilder (siehe auch "").

„Monetäre Motive spielen nach wie vor eine Rolle“, beobachtet Michael Doberer, der als Co-Gründer der Tarifvergleichsplattform durchblicker.at selbst einen erfolgreichen Exit hingelegt hat. Doch die Entrepeneurial Youngsters der 2020er-Jahre sind in der Tendenz merklich anders als jene der 2010er, die ganz im Stil von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg häufig ebenso reich wie einflussreich werden wollten, und das bitte möglichst schnell.

„Die Metathemen haben sich verändert, von Klima bis zu Krieg, daher ändern sich auch die Gründungsthemen“, analysiert Doberer. Neu sei vor allem, „dass viele die Welt unternehmerisch besser machen wollen“. Früher waren eher Graswurzel-Initiativen, Vereine oder NGOs die logischen Erstanlaufstellen.

Zum Werte- und Methodenwandel passt auch, was die Gründerin der Kleidertausch-Plattform uptraded, Anna Greil, sagt. Natürlich wolle sie ihr Risiko als Gründerin abgegolten haben, so die Tirolerin. Aber: „Ich bin privilegiert aufgewachsen und brauche keinen schnellen Exit.“ Die 24-Jährige, die in Innsbruck Business Management studiert hat, will uptraded und die damit zusammen hängende Öko-Idee lieber durch internationale Kooperationen noch populärer machen, als Millionen scheffeln.

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Anna Greil, Gründerin von "uptraded"

© trend / Lukas Ilgner

Gründen zum Überleben

Ideen werden oft wie Versuchsballons in die Welt gesetzt, von denen manche eben platzen, einige aber auch fliegen können. Die beiden Schüler Luis Kalckstein und Lilia Gerber, ebenfalls Maturajahr 2024, haben an einer Wiener HTL schon einige Softwareprojekte ausgeheckt, von denen eines jetzt als Open Source freigegeben wurde: eine KI-gestützte Auswertung von Satellitendaten zur Beobachtung von Bodenversiegelung weltweit, ein nützliches Tool für Politiker ebenso wie für Bodenschutzinteressierte.

Bevor es ans Gründen geht, zieht es beide noch ins Ausland: Kalckstein zum KI-Studium nach Madrid, Gerber für drei Monate zum Unterrichten in einer Computerschule in Tansania.

Große Sprüche zu klopfen und unbedingt Stärke zu zeigen, ist vielen dieser jungen Gründer:innen fremd. Die Coronapandemie hat sie mitten im Schulleben getroffen, die Erfahrung von Krieg am Rand Europas hat sie zusätzlich verunsichert. Psychische Gesundheit steht bei ihnen auf der Prioritätenskala ganz oben. Zuzugeben, dass man verletzlich ist, ist normal.

Die Gründungsaktivität wird sogar zur Überlebenshilfe. Sich mit der Umsetzung ihrer Ideen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, statt Trübsal zu blasen, treibt viele an. Seit sie ihre Software-Ideen auch in die Tat umsetzt und die potenzielle Wirkung erkennen kann, sagt Gerber, „sind plötzlich Hilflosigkeit und Machtlosigkeit weg. Das fühlt sich gut an.“ Nur mit dem, was sie in der Schule gelernt hat, könnte sie diesen entscheidenden Schritt ins unternehmerische Vorwärts aber nicht gehen: „Bei uns lernt man gut, Probleme zu erkennen, aber nicht, wie man sie löst.“

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Luis Kalckstein und Lilia Gerber haben eine KI-gestützte Auswertung von Satellitendaten zur Beobachtung von Bodenversiegelung entwickelt.

© trend / Lukas Ilgner

Zart versus hart

Das Potenzial der Altersgruppe ist riesig, die Absturzgefahr ebenso. 90 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren haben laut Ashoka Ideen, wie sich die Welt zum Positiven verändern lässt, und sie schauen dabei stark auf Gleichberechtigung, Klimaschutz und Bildung. 45 Prozent geben an, dass sie auch damit angefangen hätten, ihre Ideen umzusetzen.

Wie viele es dabei aber nicht ins Ziel schaffen, lässt sich nicht eruieren. Es ist zu befürchten, dass es zu viele sind. Genau hier setzen Programme wie jenes von Ashoka an, die einen Austausch über die Alters-, Landes- und Bereichsgrenzen fördern.

„Wir sehen, dass es für immer mehr Schulabgänger eine ernsthafte Option ist, selbstständig zu werden“, sagt Edeltraud Stiftinger, Co-Geschäftsführerin der Wirtschaftsagentur Austria Wirtschaftsservice (aws), „doch wir laufen Gefahr, dass diese Gründungsbereitschaft in einer frühen Phase abgetötet wird.“ aws hat deshalb Programme wie aws First Incubator entwickelt, um den Jüngst- und Erstgründern entgegenzukommen.

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Banan Sakbani, Gründerin von "WeStitch"

© trend / Lukas Ilgner

Start-up-Profi Doberer glaubt, dass der Bedarf nach Kapital und nach speziellem Mentoring bei Menschen unter 20, die in der Regel nur wenig Joberfahrung in den Knochen haben, noch größer ist. Mangelndes Selbstbewusstsein sei in späteren Phasen hingegen in der Regel kein Engpass mehr, „denn da ist bei vielen die Erkenntnis gereift, dass im Grunde alle nur mit Wasser kochen“.

Extrem jung zu gründen, heißt auch, oft intuitiv Weichen für spätere Lebensphasen zu stellen. Welche Idee aus dem Projektbauchladen dann dominant wird, lässt sich meistens noch nicht abschätzen. Einfach tun – das ist womöglich aber auch ein Startvorteil für jene, die – noch – nicht viel zu verlieren haben.

Die in Damaskus geborene, erst in die Türkei und dann nach Österreich geflüchtete Banan Sakbani treibt dieser unbedingte Umsetzungswille an. Ihre Mutter hat durch die Flucht einen qualifizierten Job verloren. Deshalb hat die Tochter, die für ihre Familie ab 13 Dolmetscherin und Guide durch den österreichischen Behördendschungel war, für die Zielgruppe von älteren Frauen mit Migrationshintergrund ein niedrigschwelliges Angebot entwickelt, mit dem sie sich vernetzen und austauschen, Produkte schaffen und vielleicht eines Tages auch vermarkten können.

Noch ist nicht entschieden, ob daraus ein echter Produktionsbetrieb wird oder doch eher ein Verein, sagt Sakbani, die forsch darauf verweist, dass sie nicht aus der Business-Community kommt: „Ich kann mir nicht täglich am Golfplatz überlegen, welche Firma ich als nächste gründen könnte.“ Vorbild für viele Gründungswillige mit Migrationswurzeln kann Sakbani allemal sein, ihr Potenzial zu heben, ist auch volkswirtschaftlich ein Muss.

Ist der Business Case definiert und der Weg zum Profiunternehmertum mit eigenem Personal vorgezeichnet, will die Generation Zerbrechlichkeit im Übrigen auch in der Mitarbeiterführung Maßstäbe setzen.

Mit Parolen, man müsse 40 Stunden oder mehr arbeiten, funktioniere es nicht mehr, ist AHA-Lernen-Gründerin Lina Gallei sicher. Ihre eigene XXXL-Einsatzbereitschaft will sie deshalb nicht auf andere projizieren: „Lieber habe ich eine Arbeitskraft, die 30 Stunden mit Begeisterung arbeitet, als eine, die 50 Stunden unmotiviert herumsteht.“

Der Artikel ist der PREMIUM Ausgabe vom 24. Mai 2024 entnommen.

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