Spar Ischgl, Mixed-Use-Gebäude
©SparHohe Lebensmittelpreise können Supermarktriesen Spar nicht bremsen. Mit neuem Marktanteilsrekord setzt man den Eroberungsfeldzug im österreichischen Lebensmittelhandel unbeirrt fort.
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"Irrsinnnig" ist eines jener Wörter, die Spar-Vizechef Hans Reisch im Gespräch (siehe Interview "Spar: Wir stehen zu Unrecht am Pranger") derzeit ganz gern verwendet. Und tatsächlich war die Aufholjagd atemberaubend, mit der Österreichs Supermarktriese unter Langzeitchef Gerhard Drexel vor zwei Jahren dem ewigen Rivalen Rewe die Marktführung abgejagt hat. Dann Corona und jetzt das andauernde Preishoch, das ist nichts für Handelsmanager mit schwachen Nerven.
Doch wer geglaubt hat, Spar werde nun eine gewisse Konsolidierung einplanen, liegt falsch. Im Gegenteil: Die nach dem Rückzug Drexels neu geordnete und verjüngte Führungsriege will mit gleichem Tempo weitermachen. Der Tiroler Reisch hat als Finanzvorstand dabei interimistisch so etwas wie die Führungsfunktion übernommen, seit der eigentlich neue Vorstandssprecher Fritz Poppmeier krankheitsbedingt nun schon seit fast einem Jahr ausfällt. Reisch will weitere "weiße Flächen" auf der Landkarte erobern, Supermarktdichte hin, Rabattschlacht her: "Schon seit unserer Gründerzeit lautete das Motto: Eigenkonkurrenz vor Fremdkonkurrenz, schließlich können wir uns damit die Mitbewerber vom Leibe halten."
Hauptsache Umsatz
Tatsächlich ist die Umsatzausweitung das erklärte Hauptziel von Spar, um die Marktposition abzusichern. Dort, wo es noch geht, sollen durchaus neue Flächen besetzt werden, etwa in Wien, wo man noch lange nicht den Marktanteil erreicht hat wie im Westen Österreichs - in Tirol wurde eben der dortige Platzhirsch M-Preis auf Platz zwei verwiesen (siehe auch "Tiroler Befreiungskampf"). Gemeint ist aber auch die Verlegung und Optimierung von Standorten, etwa durch ein Upgrade auf das jeweils nächstgrößere Format des dreistufig aufgebauten Vertriebssystems, von Spar auf Eurospar oder von Eurospar auf Interspar, den Verbrauchermarkt mit weit über 20.000 Artikeln im Sortiment. "Und dann explodieren die Umsätze", erklärt Reisch den Mechanismus, den seit Kurzem auch Mitbewerber Rewe kopiert, indem man Merkur als Billa Plus unter ein gemeinsames Markendach mit Billa geholt hat.
Bei Spar jedenfalls funktioniert das alles ausnehmend gut. Der Umsatz in Österreich wird heuer wohl die 10 Milliarden Euro-Grenze überschreiten (2022: 9,05 Milliarden Euro, Gesamtkonzern 18,63 Milliarden Euro). Im August lag der Marktanteil des Supermarktriesen im Zeichen der Tanne schon bei 37,3 Prozent, wieder ein Prozentpunkt mehr als im Halbjahr zuvor und umso bemerkenswerter, als die Branche normalerweise um Zehntelprozente feilscht. Der Abstand zu den Verfolgern Rewe und Hofer vergrößert sich zwei Jahre nach der Übernahme der Poleposition immer noch.
Der Höhenflug des Marktführers
Digitale (Laden)transformation
Weil aber das mit dem Flächenwachstum dank Umweltauflagen auch bei Spar immer komplizierter wird (2022 stieg die Verkaufsfläche nur von 1,23 auf 1,24 Millionen Quadratmeter), schärft man nun bei weiteren Handelsinstrumenten nach. Reisch und seine Kollegen werfen dabei unternehmenstypische Marotten über Bord, darunter etwa die lange gehegte Skepsis gegenüber digitalen Transformationen.
Seit wenigen Wochen etwa hat Spar die analogen Rabattmarkerl ins elektronische Zeitalter der Handy-Apps überführt. Damit erreicht man nun auf niederschwelligem Niveau auch jüngere Zielgruppen - auch das fällt unter qualitative Expansionspolitik. Anders als die Mitbewerber will man aus der neuen Spar-App allerdings keinen Kundenklub formen, sagt Reisch: "Wir haben uns das sehr genau angeschaut, denn wir wollen vieles nicht, was andere so treiben, wie etwa die Weitergabe von Kundendaten. Um zu wissen, wo meine Renner- und Penner-Produkte sind, reichen meine Scannerkassen. Aber wir wollen einen tollen Kundennutzen stiften, und das ist uns echt gut gelungen." Nach wenigen Wochen zählt man bereits 1,5 Millionen User, gut das Doppelte des Erwarteten, aber erst ein Drittel dessen, was Rewe mit seinem Mehrpartner-jö-Bonusclub erreicht.
Auch in den Filialen selber hat man lange auf elektronische Hilfsmittel verzichtet. Jetzt allerdings führt man die digitale Preisauszeichnung ein, ferngesteuerte LED-Displays statt der üblichen Preiszettel. Eine scheinbare Kleinigkeit, aber einen Quantensprung im Category Management, kann man doch so im Minutentakt auf Preisänderungen reagieren. Anders als Early Adopter der Technologie wird Spar farbige Displays nutzen und in die Regalrahmen integrieren - Ladendesign als Erfolgsfaktor.
Reisch schraubt für die Optimierung sogar am konzernintern nicht ganz unkomplizierten Verhältnis zu den eigenständigen Spar-Kaufleuten, die auf eigene Rechnung arbeiten. Sie sollen näher an den Konzern angebunden werden, der bislang getrennt abgewickelte Vertrieb wird zusammengeführt, eine neu geschaffene Konzernstelle wird sich darum kümmern, dass auch andere Verbesserungsmaßnahmen der Zentrale in Salzburg in beiden Welten gleich schnell umgesetzt werden können.
Etwa erfolgreiche Eigenmarkenpolitik. Schon 40 Prozent des Sortiments von Spar bestehen aus Artikeln eigener und eigens beauftragter Produktion - hier kontrolliert man die Lieferkette und kann im Preisschatten der Markenartikelhersteller ähnlich gelagerte Produkte günstiger präsentieren. Speziell das Billiglabel S-Budget mit seinen rund 800 Produkten des Grundbedarfs sorgt für Schnäppchenjagdfieber bei den Konsumenten und hielt die Diskonter bisher erfolgreich auf Distanz: Der Umsatzwachstum von S-Budget heuer beträgt bereits 24 Prozent.
Macht oder Missbrauch
Nicht bei allen kommt die steigende Marktmacht des Konzerns gut an, der nebenbei auch größter Shoppingcenterbetreiber in Österreich ist (SES) und fest im derzeit unter Druck stehendem Sport-(Hervis, 100 Prozent) und Drogeriehandel (dm, 32 Prozent) mitmischt. Unter Klimaschützern etwa löst jede neue Filiale Bedenken wegen Bodenversiegelung aus. Völlig übertrieben, sagt Reisch: "Diese Darstellungen sind reiner Populismus, der uns irrsinnig stört, das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun."
Und er verweist auf eine Studie des Handelsverbands, die jüngst den Anteil des Lebensmittelhandels an den versiegelten Flächen Österreichs mit gerade einmal 0,25 Prozent beziffert. Ganz zu schweigen von einer lange Liste an Nachhaltigkeitsprojekten von der Umstellung der Lkw-Flotte auf Biosprit (minus 90 Prozent CO2) bis hin zu PV-Dächern (minus 40 Prozent Stromverbrauch).
Und nicht zuletzt steht Spar im Rahmen aktueller Untersuchungen zum Lebensmittelhandel derzeit auch unter spezieller Beobachtung der Wettbewerbsbehörde, die eben mit Natalie Harsdorf-Borsch eine ambitionierte neue Leiterin bekam. "Ein Unternehmen mit 30 oder 40 Prozent Marktanteil ist natürlich relevanter als eines mit fünf", lässt ihr Büro ausrichten. Acht große "Auskunftsverlangen" musste Spar über sich ergehen lassen. In der Vergangenheit war das Verhältnis zur BWB nicht ganz friktionsfrei, 2015 bekam der Konzern insgesamt 40 Millionen Euro Strafe aufgebrummt, weil die üblichen mit Lieferanten akkordierten Preisaktionen damals als unzulässige "vertikale" Preisabsprache qualifiziert wurden.
Die Ergebnisse der jetzigen Untersuchungen sind noch nicht bekannt. Doch eines weiß man ganz sicher bei Spar: Die europaweit einzigartige Dichte an Supermärkten in Österreich kann nicht schuld sein an den hohen Preisen. Im Gegenteil, sagt Reisch. "Jeder Kunde kann ganz einfach aus einem Supermarkt raus und in den anderen hinein, das hält die Preise nieder. Aktuelles Beispiel sind die Inserate von Lidl, wo er die Mehrwertsteuer weitergibt, da mussten die anderen Händler sofort dagegenhalten." Mal sehen, ob die BWB das genauso sieht.
Artikel aus trend. PREMIUM vom 27.10.2023