Eine schwierige Zeit durchleben derzeit die heimischen Start-ups. Investoren waren 2023 auf der Bremse gestanden. Und das Jahr 2024 wird wohl kaum besser werden.
©iStockphotoSTART-UPS leiden aktuell unter Kapitalnot. Strategisches Geschick und Führungsstärke entscheiden, wer sein Unternehmen durch die Wüste bringt.
Elf Millionen Euro für die Webdatenanalysten Jentis aus Wien. Ebenfalls knapp über elf Millionen Euro für die Innsbrucker Datenbrillenspezialisten Hololight. Stolze 54 Millionen Euro für die Gebrauchtgeräteplattform refurbed. Und ins Depot von Storebox legten Investoren noch einmal 15,5 Millionen Euro.
In den vergangenen Wochen konnten Start-up-Branchenmedien über etliche erfolgreiche Finanzierungsrunden berichten. Das war zuletzt selten geworden. Für Start-ups war es heuer so schwierig wie nie zuvor, an Wachstumskapital zu kommen.
Bereits zur Jahresmitte konstatierte das Start-up-Barometer des Beratungsunternehmens EY ein Minus von 60 Prozent. Waren in der ersten Hälfte des Vorjahres 884 Millionen Euro investiert worden, flossen im Jahresvergleich nur noch 356 Millionen (siehe Grafik unten). Hauptgrund für den Extremeinbruch war das Fehlen von Megarunden, wie sie GoStudent und TTTech letztes Jahr hatten. Obwohl die Anzahl der Runden heuer sogar höher war, blieben die jeweiligen Summen bedeutend kleiner. Jeder zweite Deal im ersten Halbjahr lag unter einer Million.
Der Finanzmarkt ist ausgetrocknet, die Gründe offensichtlich: Zinswende und der Rückzug ausländischer Investoren bringen junge Unternehmen in Schieflage. Österreichs erfolgreichster Start-upInvestor Hansi Hansmann identifiziert weitere Ursachen: "B2C ist schwieriger geworden. Inflation und Zurückhaltung bei den Verbrauchern sind in vielen Bereichen spürbar. B2B ist aus anderen Gründen mühsam. Die Saleszyklen sind enorm schwierig geworden, weil die Unternehmen gerade selbst aufs Geld schauen müssen. Was früher sechs Monate gebraucht hat, dauert jetzt mindestens neun bis zwölf Monate" (siehe auch Interview).
Die Zeitspannen bis zum Geschäftsabschluss werden länger. Auf der anderen Seite haben Gründer nervöse Investoren im Rücken, die rascher als früher bessere Zahlen sehen wollen. Geld wird nur nachgeschossen, wenn diese Ziele erreicht werden. Gründer müssen Geschäftspläne neu rechnen, Sparkurse umsetzen, Mitarbeitende entlassen, und noch mehr Extrameilen gehen, um ihre Projekte zu retten.
Diese Erfahrung hat auch ready2order-Mitgründer Markus Bernhart gemacht: "Wir haben schon Sommer 2022 mit einem M&A-Consulter begonnen, zu evaluieren, welche Finanzierungsoptionen wir haben. Der Markt hat sich unfassbar gedreht. Bei den VCs zählt nicht mehr Wachstum um jeden Preis, sondern Profitabilität." Das 2015 am A1 Startup Campus gegründete Unternehmen für cloudbasierte Bezahlsysteme fand im heurigen Sommer mit der Zucchetti Group schließlich einen strategischen Partner.
Im Auge hatten die Italiener ready2order zwar schon früher, erst mussten die Österreicher das Unternehmen aber profitabel machen. 2020 hatte Zucchetti auch schon das Tiroler Start-up RateBoard übernommen, das sich auf Revenue-Management für Hotels spezialisiert hatte. Bernhart ist froh für sein 80-köpfiges Team: "Wir führen ready2order eigenständig weiter, und das Zucchetti-Netzwerk im Hintergrund macht für uns jetzt vieles einfacher."
Von der krachenden Insolvenz zum Übernahmekandidaten
Mit Schrammen, am Ende aber doch noch die Kurve gekratzt hat das Grazer Start-up App Radar. Nachdem die Gründer im Sommer Insolvenz anmelden mussten, schafften sie nach einem Sanierungsverfahren kürzlich den Verkauf an das US-Unternehmen SplitMetrics um einen "siebenstelligen Betrag", wie es heißt. Die KI-Werkzeuge von App Radar ergänzen das Angebot der US-Firma komplementär, 20 Arbeitsplätze, die Hälfte davon in Graz, sollen erhalten bleiben, so Mitgründer Thomas Kriebernegg.
Extra hart getroffen wurden im laufenden Jahr die Krypto-Start-ups. Die junge Branche laboriert noch immer an den Auswirkungen des Crashs der FTX- Börse vor einem Jahr, spürbar natürlich auch in Österreich: Das 2019 gegründete Wiener Start-up Coinpanion hatte sich auf ETF-ähnliche Kryptomodelle spezialisiert, konnte sich soeben mit Südafrikas führender Kryptoplattform Revix und BitFund zusammentun und firmiert nun unter Altify. "Der Zusammenschluss ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten", sagt Alexander Valtingojer. "Die Coinpanion-Kunden profitieren von deutlich geringeren Gebühren, mehr Investitionsmöglichkeiten und einer besseren User Experience."
Aktiv von der Marktbereinigung profitierten der Linzer Kryptosteuer-Spezialist Blockpit, der nach der Übernahme des deutschen Mitbewerbers Kryptotax (2020) kürzlich auch die Schweizer Konkurrenz Accointing in ihr Boot holen konnten.
Am Zeitgeist
Bei aller finanziellen Zurückhaltung gibt es aber doch Geschäftsmodelle, die sich leichter bei der Finanzierung tun. Das sind vor allem jene, die den Nerv der Zeit treffen. Vorzeigebeispiel ist refurbed, das mit wiederaufbereiteten Produkten das Thema Nachhaltigkeit perfekt adressiert. Solche Investitionen stiegen im Jahresvergleich gleich von zwei auf 16 Prozent (EY).
Einen guten Stand haben aber auch Konzepte aus dem Gesundheitsbereich, dessen Digitalisierung durch die Pandemie befeuert wurde. Lucanus Polagnoli von Calm/Storm investiert mit dem mittlerweile zweiten Fonds ausschließlich in dem Bereich und hält 70 Beteiligungen in Europa und Nordamerika. "Die besten unserer Startups im Portfolio bekommen sogar mehr Geld als früher. Das Geld ist da, es wird allerdings viel selektiver eingesetzt." Allein drei der Calm/Storm-Portfolio-Unternehmen schafften heuer Runden mit 15 Millionen Euro und mehr, investiert in Kinderwunschmodelle ebenso wie Finanzlösungen für Arztpraxen.
Anschubhilfe vom Staat
Auf einen Risikokapitalgeber ist aber auch in Krisenzeiten Verlass: Der Staat hilft mit Millionen, vor allem in den frühen Phasen. Auf den aws-Gründerfonds folgte heuer ein zweiter: der aws-Gründungsfonds II, der mit 72 Millionen Euro ausgestattet ist. "Die Nachfrage ist sehr groß", sagt Christoph Haimberger, Managing Director des aws Gründungsfonds, "über 260 Projekte sind bereits eingegangen." Gemeinsam mit Co-Investoren wurden 6,7 Millionen Euro an drei Startups vergeben: Optimuse, Dekarbonisierungsspezialisten für Immobilien, die auf kardiologische Krankheiten spezialisierte Screeningplattform heartbeat.bio und der recht erfolgreiche E-Commerce-Optimierer für KMU Shopstory.ai.
Voraussichtlich zum 1. Jänner 2024 wird zudem ein neues Start-up-Förderungsgesetz in Kraft treten. Damit wird zum einen das Stammkapital auf 10.000 Euro herabsetzt und andererseits die Möglichkeit für Mitarbeiterbeteiligung erheblich verbessert - lange geforderte Maßnahmen, von denen sich die Branche neuen Schwung erwartet.
Der Artikel ist aus trend. PREMIUM vom 7.12.2023.