Mercedes Formel 1 Chef Toto Wolff
©IMAGO IMAGES/HOCHZWEIMercedes-Formel-1-Chef TOTO WOLFF nimmt Anlauf auf seinen neunten Konstrukteurstitel. Im Exklusivinterview spricht er über den Wechsel von Lewis Hamilton zu Ferrari und sein Verhältnis zu Red Bull.
Am 2. März 2024 ist die Formel 1 mit dem Rennen in Bahrain in die neue Rennsaison gestartet. Für den Österreicher Toto Wolff ist es bereits die zwölfte Saison als Mercedes-Formel-1-Teamchef und gleichzeitig eine der spannendsten. Nach acht Titeln, die der deutsche Rennstall unter der Führung des 52-Jährigen geholt hat, blieben die letzten zwei Jahre die großen Erfolge aus. Die "Bullen", allen voran Max Verstappen, fuhren den "Silberpfeilen" regelrecht um die Ohren.
Heuer soll sich das Blatt mit dem neuen Boliden W15 aber wieder zugunsten von Mercedes wenden. "Wir haben so viel am Auto verändert, dass wir einige der Probleme ausgemerzt haben", glaubt Wolff. In der letzten Saison bei Mercedes würde er seinem Topstar Lewis Hamilton jedenfalls wieder Siege gönnen.
Ob der Sprung nach vorne groß genug ist, wird sich in wenigen Tagen zeigen. Als Investor ist der Mercedes-F1-Chef aber jedenfalls ein Gewinner. Der Wert seiner Beteiligung hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. "Forbes" hat sein Vermögen zuletzt auf 1,6 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Nicht gerade eine ruhige Zeit für Sie, so kurz vor Start der F1-Saison, oder?
Nein, aber in dieser Zeit, in der alles drunter und drüber geht, macht mir der Job am meisten Spaß. Das ist meine Komfortzone. Ich laufe eher Gefahr, ein Bore-out als ein Burn-out zu bekommen.
Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die neue Saison?
Gespannt, sprich: mit einer Prise Neugier. Wir haben so viel am Auto verändert, dass wir einige der Probleme ausgemerzt haben. Und jetzt bin ich gespannt, ob das ausreicht, um mit Red Bull mitzuhalten oder auf Augenhöhe mit McLaren oder Ferrari zu sein. Unsere Vorgabe war es, gewisse Dinge zu verstehen und umzusetzen. Dabei haben wir, glaube ich, einen guten Schritt gemacht. Aber am Ende zählt nur die Stoppuhr, nicht das, was ich glaube.
Was am Auto wurde denn verändert?
Das Reglement, das vor zwei Jahren eingeführt wurde, verfolgt ja ein völlig neues aerodynamisches Konzept, in dem der Front-und der Heckflügel nur noch eine sekundäre Rolle spielen. Entscheidend für die Aerodynamik ist der Unterboden. Wer das Auto so tief wie möglich bekommt, erzeugt den größten Anpressdruck. Das haben wir aber nicht geschafft. Das haben andere Teams wie Red Bull besser verstanden. Das ist auch nicht messbar. Ich hoffe, dass das diese Saison deutlich besser läuft.
Heißt das, man wird Mercedes wieder siegen sehen?
Das sind wir jedenfalls unserer Marke und unseren eigenen Ansprüchen schuldig. Wir sind motiviert, haben die nötige Energie, haben das richtige Equipment, eine gute Mannschaft - nach der Papierform müssten wir also gewinnen können.
Die Siegesserie von Mercedes ist nach 2021 ja abrupt gerissen. Wie geht man damit um?
Man durchlebt da mehrere Stufen: von Unglauben, dass wir es verhaut haben, bis zur Realisierung, dass man ein Problem hat, dieses aber nicht wahrhaben will. Es war eine Hochschaubahn der Gefühle. Es war schwer zu glauben, dass dieses beste Team, das wir hier bei Mercedes haben, es manchmal nicht versteht, was das Auto auf der Strecke tut. Das war für mich eine völlig neue Erfahrung, weil die Daten etwas anderes gesagt haben.
Welche Rolle spielte bei diesem Absturz die Tatsache, dass Ihnen immer wieder Leute abgeworben wurden?
Keine besonders große. Natürlich haben wir den einen oder anderen Mann an Red Bull und Ferrari verloren, aber die Mitarbeiterfluktuation hat sich in Grenzen gehalten. Wir haben einfach auf die falsche Version eines Autos gesetzt. Das wieder wettzumachen, dauert gute sechs, sieben Monate.
Sie mussten ja knapp vor der Saison mit dem angekündigten Wechsel von Lewis Hamilton einen ziemlichen Tiefschlag hinnehmen. Wie sehen Sie das jetzt?
Das ist für mich kein Problem. Nach zwei Minuten, in denen ich mich gewundert habe, habe ich den Wechsel sehr pragmatisch gesehen. Wir haben mit Lewis einen Zweijahresvertrag für 2024/25 geschlossen mit Ausstiegsoptionen nach dem ersten Jahr. Wir wollten uns offen lassen, wer 2026 in unserem Auto sitzt. Ich hatte es auf der Rechnung, dass Lewis geht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er zu Ferrari geht, sondern eher, dass er aufhört. Überrascht hat mich der Zeitpunkt der Bekanntgabe.
Könnte es sein, dass er kein Vertrauen in das neue Auto hat?
Das Auto ist ja noch keinen Meter gefahren. Die Performance des Autos ist noch nicht absehbar. Er hat sich mit dem Wechsel zu Ferrari noch einmal einen Kindheitstraum erfüllt. Welches Kind will nicht einmal in einem Ferrari fahren?
War der Vertrag im Nachhinein gesehen vielleicht doch ein Fehler?
Nein. Im nächsten Jahr wird es mehrere gute Optionen geben, da wird der gesamte Fahrermarkt interessant. Ich wollte mich deshalb nicht länger binden.
Tendieren Sie eher zu einem ganz jungen Nachfolger oder einem etwas erfahreneren?
Es sind beide Varianten möglich.
Also hat Fernando Alonso mit seinen 42 Jahren auch noch Chancen?
Absolut.
Wie wird sich der Wechsel von Hamilton auf die kommende Saison auswirken? Wird das Team George Russell bevorzugen?
Nein. Wir haben uns ja immer fair und transparent gezeigt. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass Lewis weggeht. Ein erfolgreiches Jahr für Lewis wäre ein schönes Abschiedsgeschenk für uns alle. Und natürlich ist uns die Konstrukteurs-WM auch wichtig, also müssen beide Autos punkten. Das Jahr wird aber sicher nicht einfacher als die Jahre davor, eher schwieriger.
Ihr Vertrag wurde kürzlich bis 2026 verlängert. In der Vergangenheit hat es nicht immer so ausgesehen, als würden Sie so lange in der Formel 1 bleiben wollen.
Ich hatte tatsächlich vor einigen Jahren einen Durchhänger. Da habe ich mir überlegt, ob ich weiter mit Rennautos spielen will oder in die Finanzwelt zurückkehre. Ich bin aber dann zum Schluss gekommen, dass mir die Formel 1 noch immer Spaß macht. Diese Melange aus Finanzen und Rennsport ist einfach meine Nische. Also war es klar für mich, den Vertrag zu verlängern. So lange ich etwas beitragen kann, so lange bleibe ich dabei.
Es gab ja vor einiger Zeit von der FIA Ermittlungen gegen Sie und Ihre Frau wegen Geheimnisverrats, die wieder eingestellt wurden. Wie denken Sie jetzt darüber?
Wenn man so exponiert ist wie ich, dann beinhaltet das auch, dass man manchmal Ziel von Angriffen wird. Diese Untersuchung kann man aber bestenfalls als Komödie bezeichnen. Die FIA hat alles nach 48 Stunden widerrufen. Ich habe ja eine dicke Haut, aber meine Frau hineinzuziehen, um mir eins auszuwischen, da hört sich der Spaß auf. Deshalb ist das auch noch lange nicht ausgestanden. Wir wollen der Sache auf den Grund gehen, wer das den Medien gegeben hat.
Man hat den Eindruck, die Formel 1 ist eine riesige Schlangengrube.
Das sind höchstens kleine Schlangen, die nicht wirklich gefährlich sind, aber ein Ärgernis darstellen. Die meisten Menschen leben ja nur in dem Mikrokosmos Formel 1, und deswegen wird alles so groß aufgebauscht. Deshalb versuche ich, ein wenig Abstand zu halten.
Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Red Bull verändert seit dem Ableben von Didi Mateschitz?
Mein Verhältnis zu Mateschitz war ein ambivalentes, das von beiderseitigem Respekt geprägt war, aber auch einige Zerwürfnisse mit sich brachte. Wir waren nie eng miteinander, aber korrekt. Mit seinem Sohn Mark Mateschitz habe ich ein freundschaftliches Verhältnis, wir sind auf der gleichen Wellenlänge. Dass mein Verhältnis zu den Red-Bull-Managern in der Formel 1 kein gutes ist, steht auf einem anderen Blatt.
Würden Sie einen Abgang von Christian Horner begrüßen?
Es ist kein Geheimnis, dass wir auf einer persönlichen Ebene überhaupt nicht miteinander zurechtkommen. Er hat Werte, die ich mit meinen nicht vereinbaren kann.
Der Formel-1-Eigentümer, das US-Unternehmen Liberty Media, hat in den letzten Jahren viel für die Attraktivität des Rennsports gemacht. Wie zufrieden sind Sie mit Veränderungen wie Sprintrennen?
Der aktuelle Boom der Formel 1 lässt sich auf viele Faktoren zurückführen: Wirklich gutes Racing -denken Sie an den Kampf Verstappen gegen Hamilton in der Saison 2021 -, dann die Liveberichte junger Fahrer auf Social Media, was davor nicht erlaubt war, die Netflix-Doku "Drive to Survive" hat sicher auch viel dazu beigetragen und einige neue spektakuläre Rennen in Miami oder Las Vegas. All das hat dazu beigetragen, dass sich der Sport so positiv entwickelt hat. Liberty Media haben bewiesen, dass sie verstanden haben, wie das Business funktioniert.
Braucht es mehr solche Spektakel wie in Las Vegas?
Es sollte ein richtiger Mix sein zwischen traditionellen Strecken wie Monza und neuen, spektakulären Rennen wie in Las Vegas. Viele Leute, die zu den Rennen kommen, erwarten sich ein Event mit gutem Essen, Entertainment, Netzwerken etc. ähnlich der Superbowl.
Aber Europa ist nicht so vom Formel-1-Fieber erfasst.
Eigentlich ist nur in Deutschland kein Boom spürbar. Das könnte daran liegen, dass Pay TV nicht angenommen wird. Vielleicht ist nach den langen Schumacher- und Vettel-Jahren auch ein Kater spürbar.
Der F1-Boom hat auch den angenehmen Nebeneffekt, dass Ihre Beteiligung an Mercedes mehr wert wurde.
Die Beteiligung hat sich sehr positiv entwickelt. Das liegt einerseits am Erfolg in den USA und den dort höheren Einnahmen und andererseits an dem Kostendeckel. Ferrari, Red Bull und Mercedes haben sich ja früher immer finanziell gematcht. Das geht seit einigen Jahren jetzt nicht mehr, die großen Teams mussten ihre Kosten nahezu halbieren.
Sie werden also an dieser Beteiligung festhalten?
Ja, ich sehe das nicht als Investment mit einem Exit, sondern als echtes Geschäft mit gutem Return on Investment.
Wie entwickeln sich Ihre anderen Beteiligungen?
Da entwickeln sich manche wie Instahelp (psychologische Onlineberatung) und Nuki (smarte Türschlösser) sehr gut, was meinem Geschäftspartner René Berger zu verdanken ist. Ohne ihn könnte ich nicht den Frontman in der Formel 1 spielen.
Apropos psychologische Hilfe: Sie gehen ganz offen damit um, dass Sie in Therapie gehen. Warum?
Ich hatte in meinem Leben einige schwere Phasen zu bewältigen. Anfang 2000 war ich auf einem F1-Event mit all den lustigen, erfolgreichen Menschen. Und ich dachte mir, um auf dem Niveau zu performen wie diese Menschen, kann man sich keine psychologischen Krisen leisten, wie ich sie habe. 20 Jahre später bin ich einer von diesen erfolgreichen Formel-1-Menschen, und ich stelle mir vor, jemand, dem es nicht gut geht, sieht mich mit meinem sportlichen und wirtschaftlichen Erfolgen. Heute weiß ich, das muss einen nicht runterziehen, denn wenn jemand mentale Probleme hat, dann ist das so etwas wie eine "Superpower". Man denkt dann feiner und nimmt Schwingungen besser auf. Jedenfalls bin ich ein gutes Beispiel dafür, dass man auch mit mentalen Problemen alles schaffen kann. Niemand von außen merkt, dass ich auch dunkle Momente hatte und habe. Aber ich fühle mich deswegen nicht schwach. Und ich will allen, denen es ähnlich geht, Mut machen. Deswegen ist mir auch Instahelp so wichtig.
Sie sind ja seit letztem Jahr Milliardär. Manche Millionäre in Österreich oder Deutschland wollen ja besteuert werden. Sie auch?
Diese Vermögenszahlen sind ja nur irgendwelche Hochrechnungen, rein theoretische Werte. Ich fühle mich auch nicht als Milliardär. Ich glaube aber, dass die Einkommenskluft immer größer wird und langfristig nicht tragbar ist. Manche wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen, andere wieder wissen nicht, wohin mit ihrem Geld. Das kann langfristig nicht gutgehen, und es ist unsensibel, das zur Schau zu stellen.
Braucht es also Steuern, um diese Kluft zu verringern?
Als jemand, der in Monaco und in England, aber nicht in Österreich lebt, finde ich, dass ich kein Recht habe, hier von außen Ratschläge, welcher Art auch immer, zu geben.
Sie haben sich in einem Interview einmal sehr positiv über Ex-Kanzler Sebastian Kurz geäußert. Haben Sie Ihre Meinung mittlerweile revidiert?
Nein, ich glaube schon, dass er einiges weitergebracht hat. Er wurde auch lange Zeit im Ausland sehr positiv wahrgenommen. Man hat an seinem Beispiel gesehen, dass man in der Politik noch viel exponierter ist als in der Formel 1.
Wie wird Österreich jetzt im Ausland wahrgenommen?
Nach wie vor positiv. Viele empfinden uns als Land der Skilehrer mit der Disziplin der Deutschen und dem Charme der Italiener.
Das Interview ist aus trend.PREMIUM vom 23. Februar 2024.
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