ANDREAS NEMETH - CEO von Uniqa Ventures.
©trend / Mag. Sebastian ReichANDREAS NEMETH, CEO von Uniqa Ventures, dem größten Corporate-Venture-Capital-Fonds des Landes, über das herausfordernde Marktumfeld und warum es für eine echte Trendumkehr noch zu früh ist.
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Sie haben in den vergangenen Wochen Start-ups und Investoren in Paris, Prag und Helsinki besucht. Welchen Eindruck der Stimmungslage in der europäischen Start-up-und Venture- Capital-Szene haben Sie aus den Gesprächen gewonnen?
Die Stimmung ist schlechter als die objektive Lage, und am Horizont ist ein Silberstreif zu verzeichnen. Für Tech-Start-ups ist es zweifelsohne härter geworden. Viele haben Mitarbeiter abgebaut. Die Verbleibenden müssen die Ärmel aufkrempeln und sich doppelt anstrengen. Aktuell trennt sich die Spreu vom Weizen. Investoren und Gründer sind gleichermaßen damit beschäftigt, ihre Hausaufgaben und ihre Arbeit noch besser zu machen als zuvor. Insgesamt gibt es keinen Grund zur Euphorie, aber auch keinen Grund für Weltuntergangsstimmung. Die langfristigen Trends wie die Digitalisierung der Wirtschaft, Industrie 4.0, Nachhaltigkeit und Klimawende sind ungebrochen und verlangen nach innovativen Start-ups und Lösungen. Aus der Perspektive eines Venture-Capital-Investors, der auf der Suche nach neue Investments ist, kann man sogar sagen: Es war lange Zeit nicht mehr so attraktiv wie heute, in Start-ups zu investieren.
Der Wagniskapitalgeber Atomico hat eine Studie vorgelegt, aus der hervorgeht, dass europäische Start-ups heuer nur noch halb so viel Geld wie im Rekordjahr 2021 erhalten. Hat Sie der Rückgang überrascht?
Nein, ganz und gar nicht. Die Notwendigkeit einer Konsolidierungsphase haben wir bereits Ende 2021 vorhergesagt. Wenn Sie sich die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre ansehen, wurde nur in zwei Jahren mehr investiert als heute. Und das waren 2021 und 2022, die ohne Zweifel absolute Ausreißerjahre waren. Mit rund 45 Milliarden Euro, die für 2023 prognostiziert werden, liegen wir deutlich über 2020 mit 38 Milliarden Euro und absolut im langfristigen Trend. Und ich wage auch die Prognose für 2024, dass wir dieses Niveau halten werden. Seit wir 2015 mit Uniqa Ventures gestartet sind, hat sich das Volumen bis heute verdreifacht.
Von einer Start-up-Krise würden Sie also nicht sprechen?
Was wir aktuell sehen, ist keine Start-up-Krise, sondern nur die Rückkehr zur Normalität und langfristigen Durchschnitten. Dort, wo ich die eigentliche Herausforderung orte, ist, wie sich die Stimmung auf die Haltung gegenüber Start-ups und Tech-Unternehmen generell verändert.
Der Krieg in der Ukraine und darauf resultierende geopolitische und makroökonomische Verwerfungen haben in der gesamten Wirtschaft strukturelle Schwachstellen aufgedeckt und in Folge zu einem hohen Maß an Unsicherheit und Risikoscheue geführt. Leider werden Start-ups und Venture Capital immer noch von vielen Menschen als hochriskante Investments und nicht als Chancen- und Wachstumskapital gesehen. Was wir in der heutigen wirtschaftlichen Situation brauchen, ist ein Umdenken und ein Mindset-Shift.
Was genau meinen Sie mit Mindset-Shift?
Wir dürfen die Erforschung neuer Technologien nicht den anderen überlassen. Die wirtschaftliche und in weiterer Folge auch die politische Souveränität zu verlieren, ist die größte Gefahr, der wir uns insgesamt in Europa stellen müssen. Ein Investment in ein junges Start-up, das sich mit der Erforschung und Entwicklung neuer innovativer Lösungen beschäftigt, ist ein Investment in unsere Zukunft: in neue Arbeitsplätze, in wirtschaftliche Entwicklung, in Wachstum und letztendlich ein Investment in die Sicherung unseres eigenen Wohlstands in Europa. Venture Capital ist bitte schön kein Risiko. Es nicht zur Verfügung zu stellen, es nicht zu wagen, sondern zu unterlassen und es zu scheuen - das ist die große Gefahr, der wir uns aussetzen.
Viele US-Fonds wenden sich wieder von Europa ab, weniger Risikokapital fließt hierher. Was bedeutet das für die europäische Start-up-Szene?
Amerikanische Fonds waren gerade dort, wo Finanzierungsrunden über 100 Millionen Euro abgeschlossen wurden, tonangebend. Und so wie Europa insgesamt in puncto Wachstumskapital aufgestellt ist, kann diese Lücke auch kurzfristig nicht geschlossen werden. Zwar gibt es auf europäischer Ebene zum Beispiel mit der European Tech Champions Initiative (ETCI) Bestrebungen, europäische Venture-Capital-Fonds entstehen zu lassen, die groß genug sind, um auf Augenhöhe mit den US-Fonds zu agieren und selbst in der Lage zu sein, 50-oder 100-Millionen-Euro-Tickets für einzelne Start-ups zu zeichnen. Doch bis so große Fonds - hoffentlich auch in Österreich - entstehen und dann auch hierzulande investieren, wird noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen und einige Zeit vergehen.
Uniqa Ventures als größter Corporate- Venture-Capital-Fonds des Landes besteht seit neun Jahren. Gab es in dieser Zeit schon mal ein Marktumfeld, das ähnlich herausfordernd war wie 2023?
Zugebenermaßen waren wir in den ersten Jahren - insbesondere in der Phase 2018 bis 2021 - verwöhnt und mit viel Rückenwind unterwegs.
Doch es sind die herausfordernden Zeiten, in denen sich die Spreu vom Weizen trennt und die handwerklichen Fähigkeiten, das vorhandene Talent und eigener Einsatz bzw. Fleiß entscheidend sind.
Viel mehr als 2023 würde ich die Jahre 2020 und 2021 als toxisch belastet sehen. Damals wurden viele der langläufig geltenden Grundsätze guten und nachhaltigen Investierens aus den Angeln gehoben. Wir haben im Markt viel Übertreibung und irrationales Handeln gesehen. In dieser Phase seinen eigenen Grundsetzen treu zu bleiben und zusehen zu müssen, wie Deals verloren gegangen sind, weil andere bereit waren, mehr zu zahlen, war auch nicht immer einfach. Letztendlich hat sich diese Disziplin aber als richtig herausgestellt.
2023 gelten die meisten Naturgesetze wieder, und an die Stelle so mancher Absurdität wie negativer Einlagezinsen ist wieder Normalität getreten.
Inwiefern haben Sie Ihre Strategie anpasst?
So wie die meisten Investoren haben auch wir unser Investitionstempo reduziert und in erster Linie einmal dafür gesorgt, das bestehende Portfolio gut für die aktuellen Marktlage zu wappnen. Da der Zugang zu frischem Kapital aktuell eingeschränkt ist, war es wichtig, die Start-ups so aufzustellen, dass sie auf absehbare Zeit von externer Finanzierung unabhängig sind.
Wir legen großes Augenmerk auf Profitabilität und haben die Wachstums- und Expansionsgeschwindigkeit da und dort angepasst.
Wo notwendig, wurden auch Bewertungen korrigiert oder Überbrückungsfinanzierungen gewährt, um den Zeitraum bis zum Erreichen der Profitabilität auszufinanzieren und somit abzusichern.
Uniqa Ventures verfolgt gleichzeitig aber auch die Strategie, sich bietende Chancen und Opportunitäten zu nutzen. Kapital ist ein knappes Gut, und wer im aktuellen Umfeld bereit ist, zu investieren, dem bieten sich auch ausgezeichnete Chancen. Deutlich niedrigere Einstiegsbewertungen als noch vor ein paar Jahren lassen deutlich bessere Renditen erwarten.
Welche Rolle spielen Unicorns wie Bitpanda und Soonicorns in einem Portfolio wie dem von Uniqa Ventures?
Anders als bei klassischen Aktienfonds, die breit gestreut in den Aktienmarkt investieren, ist die Rendite eines Venture-Capital-Fonds immer im hohen Maß von einzelnen Investments abhängig. Zugespitzt kann man sagen, dass ein Topinvestment ausreichen muss, um alle anderen Investments aufzuwiegen und den gesamten Fonds zurückzuspielen.
Nun sind wir in der glücklichen Lage, dass wir neben Bitpanda mit Start-ups wie Wayflyer, Moove.io, omnius, Impress und Yokoy weitere absolute Stars im Portfolio und mit einigen Exits wie bei Kompany, Read2order, Telemedi.co schon gutes Geld verdient haben.
Wie aktiv sind Sie im aktuellen Umfeld als Investor?
Wir sind international viel unterwegs und weiterhin auf der Suche nach spannenden Ideen und nachhaltigen Geschäftsmodellen. Ende 2023 haben wir mehr als 45 aktive Portfolio-Unternehmen und im abgelaufenen Jahr rund 15 Transaktionen abgewickelt. Für das Jahr 2024 planen wir, dieses Niveau zu halten, und erwarten neben einigen Exits auch einen leichten Anstieg der Neuinvestitionen. Zu den "heißen" Themen zählen weiterhin künstliche Intelligenz, Automatisierung, ESG- und Klima-relevante Start-ups und Technologien.
Regional halten wir CEE für einen der spannendsten Start-up- Märkte, der sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt hat und fundamental mit gut ausgebildeten Fachkräften, einer Reihe international sehr erfolgreicher Start-ups und wachsender Kapitalbasis gute Voraussetzungen für eine weiterhin dynamische Entwicklung ausweist.
In Ihrem Portfolio sind auch einige österreichische Beteiligungen. Ist es im aktuellen Marktumfeld eher ein Vorteil oder ein Nachteil für Gründer, in Österreich beheimatet zu sein?
Für Start-ups ist Österreich keine Insel der Seligen. Und war es auch nie. Österreichische Start-ups stehen genauso wie ihre internationalen Kollegen im harten Wettbewerb um Kunden, profitables Wachstum und Kapital.
Während in der Phase der Unternehmensgründung noch allerlei Unterstützung gegeben wird und noch etwas bessere Rahmenbedingungen herrschen, ist es für reife Start-ups bzw. Scale-ups besonders schwer. Einerseits müssen sie gute Leute nach Österreich holen, was nicht immer ganz einfach ist. Und in puncto Zugang zu Wachstumskapital sind sie im Vergleich zu deutschen, französischen oder auch estnischen Start-ups ganz klar im Nachteil.
Was müsste hierzulande auf politischer Ebene passieren, um Österreich als Start-up-Hub weiter nach vorne zu bringen?
Kurz gesagt: noch sehr viel. Eine neue Rechtsform für Kapitalgesellschaften und eine längst überfällige Gesetzgebung zur Mitarbeiterbeteiligung allein bringen die österreichische Startup-Szene nicht weiter. Geschweige denn, dass sie die Rahmenbedingungen wesentlich verändern.
Was international erfolgreiche Start-up-Hubs wie London, Berlin, Stockholm oder Tel Aviv uns voraus haben, sind mehrere Generationen erfolgreicher Start-up-Gründer. Diese haben selbst durch Exits gut verdient, investieren ihr erworbenes Kapital aber wieder in neue Gründer.
Und was noch viel wichtiger ist: Sie geben ihr Start-up-Know-how, ihren Elan und ihren Unternehmergeist an die nächste Gründergeneration weiter.
Woran die Start-up Szene also selbst arbeiten muss, ist, genau dieses Entrepreneurship-Gen - die Chance zu sehen, nicht das Risiko - weiter zu stärken.
Wer Erfolg hat, soll sich dafür in Österreich nicht genieren oder verstecken müssen, und die Neider sollen es lieber selbst einmal versuchen, ein Start-up zu gründen.
Aber darüber hinaus braucht es in Österreich doch auch mehr Wachstumskapital?
Das ist der zweite wichtige Punkt. Und ich rede hier nicht von 500.000 oder einer Million Euro, die vielleicht für die Gründungsphase ausreichen.
Sondern ich rede von zehn, 25, 50 und bei ein bis zwei Transaktionen auch von 100 Millionen Euro pro Jahr, die von Investoren - vorzugsweise heimischen und nicht nur US-Fonds - in Start-ups investiert werden.
Um dorthin zu kommen, braucht es mehr private Kapitalgeber wie Uniqa Ventures und einen Schulterschluss mit den staatlichen Akteuren.
Welche Erwartungen haben Sie für 2024?
Für eine echte Trendumkehr ist es meiner Meinung nach noch zu früh. Zumal für das eine oder andere Start-up der Zeitpunkt der Offenbarung noch vor ihm liegt. Die Zeit des billigen Geldes - das bei so manchem Investor locker saß - ist auf längere Zeit vorbei. Deshalb würde ich auch nicht von einer Durststrecke, sondern von einem Anpassungsprozess zurück zur Normalität sprechen. Der Erfolg der Tech-Szene im Allgemeinen und jedes einzelnen Start-ups wird immer maßgeblich vom Zugang zu Wachstumskapital abhängig sein.
Das zentrale Kriterium, um heute weiteres Wachstumskapital zu erhalten, ist, ein profitables Geschäftsmodell oder zumindest einen baldigen Break-even-Point vorweisen zu können. Wachstum ist weiterhin wichtig, aber kann nicht der alleinige Firmenzweck sein.
Welche Themen werden die Start-up-Szene im nächsten Jahr prägen?
Wie es in der Start-up-Szene weitergeht, wird nach wie vor von Makroeinflüssen bestimmt sein. Eine der großen Fragen für 2024 ist die weitere Zinsentwicklung. Einige Marktbeobachter erwarten, dass es in der zweiten Jahreshälfte zu Zinssenkungen kommen wird. Allerdings nur dann, wenn auch die Inflation weiter sinkt und es zu einer gesamtwirtschaftlichen Abschwächung kommt.
Inhaltlich erwarte ich eine Fortsetzung der Diskussion um die Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz, und wir werden sehen, welchen Einfluss die europäische Regulierung auf diesen Teilsektor hat. Genauso werden Diversity, ESG und Nachhaltigkeit weiter ganz oben auf der Agenda bleiben. Auch für die Krypto-Industrie könnte es ein spannendes Jahr werden. Einerseits, weil mittelfristig mit einer weiteren Regulierung der Branche - vor allem auch in den USA - zu rechnen ist. Und schon früher, im April 2024, steht das nächste Bitcoin-Halving an. Ein weiterer Termin, der mit Spannung erwartet wird und bereits jetzt -gemeinsam mit der möglichen Zulassung erster ETFs auf Kryptowährungen - für eine Rally gesorgt hat.
Zur Person
ANDREAS NEMETH [geb.1978 ] ist CEO von Uniqa Ventures, dem mit 150 Millionen Euro dotierten Risikokapitalfonds der gleichnamigen börsennotierten Versicherungsgruppe in Wien.
Das Portfolio umfasst aktuell mehr als 45 Beteiligungen in Österreich und CEE.
Das Interview ist aus trend. edition+ vom Dezember 2023.
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