Strategische und nachhaltige Preisgestaltung statt überzogener Forderungen: Im B2B-Vertrieb ist langfristiges Denken gefragt.
©Getty Images/iStockphotoSoll eine Vertriebsstrategie darauf abzielen, möglichst hohe Preise und Gewinnmargen zu erzielen oder eher darauf, die Beziehung zu Bestandskunden und dem Kundenstamm auszubauen? Vertriebsberater Peter Schreiber mahnt zu zweiterem.
„Wir haben in einer schwierigen Zeit unseren Umsatz und Ertrag gesteigert.“ Diese frohe Botschaft verkündeten in den zurückliegenden zwei Jahren nicht wenige börsennotierte Unternehmen auf ihren Jahreshauptversammlungen oder beim Veröffentlichen ihrer Quartalsberichte. Nicht selten lautete ihre Botschaft sogar: „Wir haben trotz eines gesunkenen Umsatzes unseren Gewinn im zweistelligen Bereich erhöht.“
Aktionäre freuen solche Nachrichten selbstverständlich. Doch ihre Kunden, speziell aus dem B2B-Bereich, kommen dabei ins Grübeln. Schließlich können diese auch rechnen und es ist ihnen klar, dass ein solches Ergebnis bei einem kaum gestiegenen oder gar gesunkenen Umsatz nur durch Preiserhöhungen erzielt werden kann.
Entsprechend wurden die guten Ergebnisse, denn auch meist begründet: „Unserem Unternehmen gelang es, höhere Preise am Markt durchzusetzen und höhere Gewinnmargen erzielen.“
Die Beziehung zu Stammkunden nicht gefährden
Im Konsumgüter-Bereich mag das unproblematisch sein; anders sieht es im B2B-Bereich aus, in dem viele Anbieter weitgehend von ihrer guten, über viele Jahre gewachsenen Beziehung zu einer oft relativ kleinen Zahl von Kunden leben.
Bei ihnen konterkarieren solche Erfolgsmeldungen nicht selten das Gejammer, das nicht wenige Verkäufer ihrer Lieferanten in der Zeit seit Ausbruch der Corona-Pandemie regelmäßig in den Verhandlungen anstimmten, mit Aussagen wie: „Auch wir haben wie Sie enorme Lieferketten- und Beschaffungsprobleme. Außerdem sind unsere Kosten explodiert – nicht nur für den Transport und die Energie, sondern auch für die benötigten Rohstoffe und Vorprodukte. Deshalb müssen wir unsere Preise um xx Prozent erhöhen.“
Verkündet ein Unternehmen kurze Zeit nach einer so begründeten Preisanpassung „Wir haben trotz Umsatzeinbußen ein Rekordergebnis erzielt“, dann fragen sich seine Kunden zu Recht:
„Ist die Beziehung zu unserem Lieferanten wirklich so partnerschaftlich wie in den Vertragsverhandlungen stets betont?“ Und:
„Nutzt dieser Lieferant unsere aktuelle Notlage im Beschaffungsbereich nicht schamlos aus, um seine Gewinnmarge und Rendite zu erhöhen?“
Nicht selten gelangen sie zum Schluss: Letzteres ist der Fall.
Deshalb klagen zurzeit auch nicht wenige Einkäufer, ein Teil ihrer Lieferanten, von denen sie zur Aufrechterhaltung ihrer Produktions- und Lieferfähigkeit abhängig seien, habe jegliches Maß verloren. Hätten sie ihr Unternehmen nach Ausbruch der Corona-Pandemie noch mit „Preiserhöhungen im einstelligen Bereich“ konfrontiert, so würden sie spätestens seit Ausbruch des Ukraine-Krieges regelmäßig bei ihnen mit Preissteigerungen im höheren zweistelligen Bereich vorstellig – „und zwar gefühlt im Wochenrhythmus“.
Preiserhöhungen fundiert begründen
Das belastet die Beziehung der Kunden zu ihren Lieferanten. Entsprechend sauber sollten, nein müssen Preiserhöhungen mit Zahlen, Daten und Fakten belegt werden – zumindest wenn der Lieferant die partnerschaftliche Beziehung zu seinem Kunden nicht gefährden möchte.
In der Praxis ist das leider oft nicht der Fall. Deshalb schlucken viele Unternehmen zwar aktuell die in ihren Augen überzogenen Forderungen ihrer Lieferanten – mangels Alternative. Damit einher geht jedoch ein Bröckeln der Vertrauensbasis, die die Einkäufer und ihre Vorgesetzten darüber nachdenken lässt: Wie können wir unsere Abhängigkeit von unserem Lieferanten, wenn nicht lösen, so doch verringern – zum Beispiel, indem wir
weitere Lieferanten ins Boot holen oder
gewisse Vorprodukte wieder selbst produzieren oder
auf andere Fertigungs-/Produktionsverfahren ausweichen oder
andere Alternativen suchen.
Dass bei den Bestandskunden ein solcher Denkprozess in Gang kommt, kann nicht im Interesse eines Lieferanten liegen. Entsprechend maßvoll sollten sie insbesondere bei ihren Schlüsselkunden mit ihren „Preisanpassungen“ sein.
Kundenbeziehungen und den Kundenstamm ausbauen
Lieferanten sollten verstärkt darüber nachdenken, wie sie die Marktsituation nutzen können.
Zum Ausbau ihrer Beziehung zu ihren Bestandskunden und
zum Anbahnen neuer Geschäftsbeziehungen zu Unternehmen, die das Potenzial haben, mittel- und langfristig Schlüsselkunden zu werden.
Denn wenn sich Rahmenbedingungen ihres Handels fundamental ändern, dann überdenken Unternehmen ihre bisherigen Handlungsstrategien – auch im Beschaffungsbereich. Sie sind dann auch offen für neue Problemlösungen.
Lieferanten sollten deshalb ernsthaft prüfen, ob es nicht zielführender wäre, kurzfristig auf einige Euro Gewinn zu verzichten, um die Marktposition ihres Unternehmens zu stärken und dieses mittel- und langfristig noch erfolgreicher zu machen.
In der Praxis geschieht das selten, auch weil in den letzten Jahren nicht wenige Vertriebsmannschaften – oft unter dem Label einer falsch verstandenen Mehrwert- bzw. Added-Value-Strategie – darauf getrimmt wurden, eine möglichst hohe Gewinnmarge zu erzielen. Im Bereich langfristiges strategisches Denken wurden sie hingegen kaum geschult. Dabei ist dieses gerade im B2B-Bereich sowie im Projektgeschäft, in dem es oft Jahre dauert, Neukunden für sich gewinnen, unverzichtbar.
Langfristig denken, strategisch handeln
Gefördert wird das auf eine kurzfristige Gewinnmaximierung abzielende Denken vieler Verkäufer auch dadurch, dass sich ihre Entlohnung noch weitgehend am generierten Auftragsvolumen bzw. Umsatz und den erzielten Gewinnmargen orientiert. Eher selten fließen in sie in einem relevanten Umfang auch solche Ziele bzw. Fragen ein wie:
Mit wie viel Unternehmen, die das Potenzial zum Schlüsselkunden haben, wurden Erstaufträge erzielt?
Wie oft wurde unsere neue Problemlösung xy, die mittelfristig eine Cash-Cow von uns werden soll, verkauft?
Um wie viel Prozent wurde der Lieferumfang bei den Schlüsselkunden x und y erhöht?
Bei wie vielen Kunden gelang es uns vom Second-Tier zum First-Tier aufzusteigen, also dessen wichtigster Lieferant zu werden?
Mit welchen und wie vielen Kunden konnten wir in diesem Jahr längerfristige (Liefer-)Vereinbarungen abschließen?
Deshalb werden solche „strategischen Ziele“, deren Erreichen meist echte Knochenarbeit ist und viel „Gehirnschmalz“ erfordert, von vielen B2B-Verkäufern in ihrem Arbeitsalltag, sofern sie überhaupt formuliert und vereinbart wurden, vernachlässigt.
Dabei sind die Rahmenbedingungen für das Erreichen solcher Ziele in einer Zeit in der viele Unternehmen
ihre bisherigen Handlungs- und Einkaufsstrategien sowie Problemlösungen ohnehin überdenken und
bei ihren Einkaufsentscheidungen außer den unmittelbaren Produktvorteilen und dem Preis auch zunehmend solche Faktoren wie Lieferfähigkeit und -sicherheit, Planbarkeit und Nachhaltigkeit beachten,
nahezu ideal.
Im Team neue Vertriebskonzepte entwickeln
Für Industrielieferanten und -dienstleister empfiehlt es sich daher, zum Beispiel Klausurtagungen mit ihrem Vertrieb durchführen, an denen auch Vertreter ihres Einkaufs teilnehmen.
Darin sollten die Vertriebsmitarbeiter zunächst darauf eingestimmt werden, inwieweit sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und somit auch Zielsetzungen im Vertrieb gewandelt haben, weshalb auch ein teils anderes Verkäuferverhalten gefragt ist.
Im zweiten Schritt sollten die Teilnehmer dann gemeinsam definieren, welche realistischen Leistungsversprechen das Unternehmen seinen verschiedenen Kundengruppen aktuell geben kann – zum Beispiel aufgrund seiner eigenen Beschaffungs- und Produktionssituation. Hierauf aufbauend sollten dann grundsätzliche Konzepte entwickelt werden, mit denen
zum einen den Kunden beispielsweise die gewünschte Versorgungssicherheit und relative Budget-Planbarkeit gewährleistet werden kann und
zum anderen das Unternehmen seine strategischen Ziele erreicht.
Ein solches Konzept kann beispielsweise beinhalten, dass die Verkäufer und Vertriebsteams in den Verhandlungen längerfristige Beauftragungen wie etwa Abrufaufträge anstreben, die
dem Kunden jedoch eine gewisse Flexibilität zum Beispiel durch ein Wandlungsrecht bieten und
die Preise an einen fairen Index koppeln.
Diese Konzepte gilt es anschließend in bereichsübergreifenden interdisziplinären Teams – beispielsweise bestehend aus Vertretern des Einkaufs und Vertriebs, der Finanz- und Rechtsabteilung sowie Produktion – auszuarbeiten.
Entsprechende Konzepte sollten auch für potenzielle Neukunden entwickelt werden, die ein hohes Umsatzpotenzial haben, weshalb sich ein verstärktes Engagement bei ihnen lohnt. Welche dies sind sollte ebenfalls definiert und in den Zielvereinbarungen mit den Verkäufern und Vertriebsteams fixiert werden.
Verkäufer für die modifizierten Vertriebsziele motivieren
Verkäufer für die modifizierten Vertriebsziele motivieren
Auf alle Fälle sollten die neu ausgerichteten Ziele sich auch im Entlohnungssystem widerspiegeln. Denn die in ihm enthaltenen Kriterien, nach denen die Verkäufer eine Provision erhalten, spiegeln – nicht nur aus Verkäufersicht – letztlich das wider, was dem Unternehmen wirklich wichtig ist.