Hartwig Löger - CEO VIG
©trend / Lukas IlgnerHARTWIG LÖGER, CEO der Vienna Insurance Group (VIG), über das neue Projekt CO³, den Weg zum Erfolg in Osteuropa und wie verschiedene Zusatznutzen Versicherungen attraktiver machen.
Sie sind vor einem halben Jahr als CEO der VIG gestartet. Wie haben sich diese sechs Monate für Sie und die VIG entwickelt?
Die VIG entwickelt sich auch in besonders herausfordernden geopolitischen und ökonomischen Zeiten derzeit sehr gut. Die Gründe dafür sehe ich unter anderem in unserer ausgezeichneten Kapitalstärke, einem strategisch zukunftsorientierten Agieren und in unserer stark regional ausgeprägten Geschäftsphilosophie, die rasches und lokales Handeln ermöglicht. Die ausgeprägte Vielfalt unserer Gruppe an Innovationen und Ideen wollen wir stärken und die Zusammenarbeit der Gesellschaften intensivieren. Wir haben dazu mit CO3 einen neuen Bereich etabliert, der die Interaktion zwischen den Gruppengesellschaften vertiefen soll.
Die VIG ist eine Gruppe mit mehr als 50 Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen in 30 Ländern. Wie kann man eine derartig vielschichtige Gruppe führen?
Wir agieren als Gruppe bewusst dezentral im Vergleich zu vielen zentral gesteuerten Konzernen. Ich sehe uns als eine Schiffsflotte mit lokalen Kapitänen, die selbst am besten wissen, wie sie ihr Schiff durch die ihnen vertrauten Landesgewässer navigieren. Die Holding gibt dazu die Strategie vor, koordiniert und sorgt dafür, dass die Schiffe auf Kurs bleiben. Sie nimmt somit eine stark koordinierende und moderierende Rolle ein. Eine Strategie, die sich seit Jahren erfolgreich bewährt.
Wie wollen Sie mit dem Projekt CO³ das Know-how, die Erfahrung aller Mitarbeiter für die gesamte Wachstumsstrategie der Gruppe nutzen?
CO³ fasst die Begriffe Communication, Collaboration und Cooperation zusammen und steht für eine noch stärkere Zusammenarbeit innerhalb unserer Gruppe. Die rund 29.000 Mitarbeiter in allen Gesellschaften bringen tiefe Expertise aus ihren jeweiligen Bereichen in die Gruppe ein. Diesen Erfahrungsschatz nutzen wir jetzt noch gezielter, indem wir alle Bereiche unserer Gesellschaften miteinander vernetzen -Stichwort Collaboration. Mit Cooperation intensivieren wir die Zusammenarbeit zwischen den Gesellschaften im selben Land. Communication bildet die Klammer, macht alle Aktivitäten sichtbar und erleichtert damit das Teilen von Best und Worst Practices. Aus der gezielten Bündelung dieser Aktivitäten ergibt sich enormes Potenzial, das u. a. auch unsere Wachstumsstrategie stützt.
Haben Sie konkrete Ziele für das Projekt CO3 und können Sie Beispiele neuer Formate der Zusammenarbeit nennen?
Ich sehe CO3 weniger als Projekt, sondern vielmehr als strategischen Ansatz, der die Zusammenarbeitsmodelle unserer Gruppe schärft. Wir haben alle drei "COs" mit qualitativen und quantitativen Zielen sowie Messkriterien hinterlegt. Die Zusammenarbeitsformate sind breit gestreut. Sie reichen von persönlichen gruppenweiten Meetings über die Etablierung von Group-Competence- Centern bis hin zu digitalen Collaboration-Tools. Wesentlich dabei ist, dass der Anstoß zur Zusammenarbeit nicht ausschließlich über die Holding erfolgt, sondern jeder Einzelne eingeladen ist, Collaboration aus seiner Funktion und Rolle heraus zu stärken.
Sie sind auch in der Ukraine aktiv. Wie ist die Lage der VIG-Gesellschaften dort?
Der Geschäftsbetrieb läuft unter den gegebenen Umständen weitgehend normal, das Geschäftsaufkommen ist erwartungsgemäß rückgängig, vor allem im Lebensversicherungsgeschäft. Es geht uns nach wie vor in erster Linie darum, unsere Gesellschaften und unsere Mitarbeitenden zu unterstützen und den Menschen im Land zu helfen. Wir verfolgen in allen unseren Märkten eine Langzeitstrategie, somit auch in der Ukraine. Wir glauben an die Menschen und an das große Potenzial des Landes.
Die Wirtschaftslage in CEE ist überraschend gut. Spiegelt sich das auch in Ihren Geschäftsergebnissen wider?
Die Region wächst weiterhin über dem EU-Schnitt. Wir können mit unserer Geschäftsentwicklung sehr zufrieden sein. Wir konnten heuer in jedem Quartal ein zweistelliges Prämienwachstum verzeichnen. Nach den ersten neun Monaten liegen wir bei 10,6 Milliarden Euro. Die Solvenzquote liegt bei ausgezeichneten 303,8 Prozent. Das zeigt, dass wir operativ und kapitalmäßig sehr gut aufgestellt sind.
Der langwierige Prozess der Übernahme des Ungarn-Geschäfts der Aegon-Versicherung ist nun abgeschlossen. Können Sie sich weitere Übernahmen im CEE-Raum vorstellen?
Wir sind immer offen für interessante Akquisitionen, wenn sie in unser Portfolio passen und eine profitable Perspektive bieten. Zurzeit arbeiten wir intensiv an der Integration der übernommenen Aegon-Gesellschaften. In Ungarn und in der Türkei ist dieser Prozess bereits erfolgreich vollzogen, in Polen und Rumänien sind wir gerade mittendrin.
Die VIG hat durch das Gallup Institut die Risikokompetenz in CEE-Ländern erheben lassen. Gibt es da länderspezifische Unterschiede? Und wie sieht es im Vergleich mit Österreich aus?
Im Prinzip gilt über alle neun untersuchten Länder, dass sich zwei Drittel der Befragten der Risiken in wichtigen Lebensbereichen wenig bis gar nicht bewusst sind. Nur in Rumänien ist ein stärkeres Risikobewusstsein in all den genannten Bereichen zu erkennen. In Österreich herrscht eine besonders hohe Erwartung, dass der Staat für finanzielle Verluste bei Gesundheitsrisiken und bei Verlust der Arbeitskraft aufkommt. Interessant ist auch, dass sich die Österreicher über Risiken anscheinend besser informiert fühlen als der CEE-Durchschnitt, aber jeder zweite dennoch Informationsbedarf hat. Für uns ein klares Zeichen, dass Maßnahmen zur Steigerung der Risikokompetenz notwendig sind und wir uns dieses Themas aktiv annehmen.
Ihre Vorgängerin Elisabeth Stadler hat die Digitalisierung bereits stark vorangetrieben. Worauf legen Sie jetzt den Schwerpunkt?
Der weitere Ausbau digitaler Serviceleistungen ist und bleibt ein zentrales Thema. Wer in diesem Bereich nicht gut aufgestellt ist, wird künftig nicht wettbewerbsfähig sein. Die digitale Präsenz trägt auch wesentlich zur Erhöhung der Kundenbetreuung und letztlich Kundenbindung bei. Der Kunde wünscht mehrere Kontaktmöglichkeiten und nutzt sowohl die persönliche als auch die digitale Betreuung und Servicierung.
Wenn man den Grad der Digitalisierung der Tochterunternehmen der VIG in CEE mit jenem der Unternehmen in Österreich vergleicht, aber auch die digitale Affinität der Kunden in den einzelnen Ländern, wo liegen da die Unterschiede?
Der Grad der Digitalisierung ist innerhalb der Gruppe generell hoch, und unsere österreichischen Gesellschaften gehören zu den Vorreitern digitaler Angebote. In den östlichen CEE-Ländern bemerken wir eine besonders starke Offenheit für die Inanspruchnahme digitaler Angebote, das wirkt sich auch auf den Versicherungsbereich aus. Vor diesem Hintergrund haben wir Digitalisierungshubs in Polen und der Tschechischen Republik etabliert.
Sie haben zu Ihrem Amtsantritt betont, dass die Optimierung der Geschäftsabläufe eine Seite der Medaille ist, dass Sie aber auch durch die Erschließung von Ökosystemen außerhalb des klassischen Versicherungsgeschäfts Wachstum generieren wollen. Gibt es dafür schon ein konkretes Beispiel?
Wir haben konkrete Beispiele in den Ökosystemen Gesundheit, Wohnen und Auto. Zuletzt haben wir ein Telematik-Angebot im Ökosystem Auto eingeführt. Der Kunde kann durch Tracking seines Fahrverhaltens und verantwortungsvolles Fahrverhalten einen Teil seiner Prämien gutgeschrieben bekommen. Wir verwenden dazu eine App, es wird kein Messgerät im Auto eingebaut und die Nutzung der App erfolgt freiwillig durch den Kunden. Wir wollen den Kunden wertvollen Zusatznutzen bieten, der nicht ursächlich dem Versicherungsgedanken, sprich dem Absichern von Risiken, zuzuordnen ist. Es ist wichtig, beim Kunden ständig präsent zu sein, nicht nur im Schadensfall oder im Falle der Auszahlung seiner Versicherungsleistung.
Umweltrisiken nehmen immer stärker zu. Gerade Osteuropa ist davon oft besonders betroffen. Wie wirkt sich das auf Ihre Schadensbilanz aus?
Es ist offensichtlich, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels auch durch eine steigende Frequenz an Unwettern und Naturkatastrophen bemerkbar machen. Ich würde hier aber keine geografischen Unterschiede zwischen Ost-und Westeuropa treffen. Wir sind europaweit von Stürmen, Hochwassern, Waldbränden und Dürre betroffen. Wir verzeichneten in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 unwetterbedingte Schäden von rund 460 Millionen Euro brutto. Das ist ein Anstieg zum Vorjahr von mehr als 40 Prozent. Wir rechnen mit einer weiteren Verschärfung in den kommenden Jahren.
Swiss-Re-CEO Christian Mumenthaler hat im Sommer gemeint, dass bei dieser Entwicklung einige Versicherer sogar ganz aus der Sparte aussteigen könnten. Was hätte das für Konsequenzen?
Es wird für global agierende Rückversicherer immer schwieriger, Entwicklungen von Naturkatastrophen für die Risikoübernahme richtig zu bewerten. Wenn sich einige Rückversicherer bei der Deckung derartiger Risiken tatsächlich aus dem Markt zurückziehen, würde dies zu steigenden Preisen und Kapazitätsengpässen führen. Die Versicherungen selbst können die zunehmenden Schäden nicht decken, deshalb plädiert die österreichische Versicherungswirtschaft seit Langem für eine Kooperation mit dem Staat. Es gibt dafür Konzepte, wozu es einer Anpassung des österreichischen Versicherungsvertragsgesetzes bedarf. Bis dato gab es viele - leider aber ergebnislose -Gespräche mit Vertretern der zuständigen Ministerien.
Zur Person
HARTWIG LÖGER ist seit 1. Juli 2023 Vorstandsvorsitzender der Vienna Insurance Group. Anfang 2021 wurde er Mitglied im Vorstand der VIG.
Von Dezember 2017 bis 2019 war Löger Finanzminister der Republik Österreich. Ab 22. Mai 2019 amtierte Löger für wenige Tage als Bundeskanzler. Danach wurde er Berater, sein erster Großkunde wurde die Vienna Insurance Group. Vom Aufsichtsrat unter Aufsichtsratschef Günter Geyer wurde er ab Jänner 2021 zum Mitglied des VIG-Vorstands bestellt. Im November 2022 wurde er vom Aufsichtsrat zum Nachfolger von Elisabeth Stadler als Vorstandsvorsitzender der VIG ab 1. Juli 2023 bestellt.
Vor dem Start seiner politischen Karriere war Löger Vorstandsvorsitzender der Uniqa Österreich AG.
Das Interview ist aus trend. edition+ vom Dezember 2023.
Zur Magazin-Vorschau: Die aktuelle trend. Ausgabe
Zum trend. Abo-Shop