Herbert Eibensteiner, CEO voestalpine
©trend / Wolfgang Wolakvoestalpine-CEO HERBERT EIBENSTEINER kritisiert das Zögern der Regierung bei Förderungen für die Industrie, skizziert die Wasserstoffzukunft des Stahl-und Technologiekonzerns - und kommentiert den Metaller-Lohnabschluss.
Sie nennen Ihren Transformationsplan greentec steel "das größte Klimaschutzprogramm Österreichs". Er ist auch der größte Umbau der heimischen Industriegeschichte, oder?
Der Plan reicht bis 2050, er muss in einzelnen, verdaubaren Schritten abgearbeitet werden. In einem ersten Schritt wollen wir ja ab 2027 30 Prozent unserer Emissionen einsparen. Wir tauschen zwei Hochöfen gegen Elektrolichtbogenöfen und investieren 1,5 Milliarden Euro. Wir gehen davon aus, dass bis 2027 ein relevanter Markt für CO2-reduzierten Stahl vorhanden sein wird, und wir wollen unseren Kunden dann entsprechende Produkte anbieten können. In den Jahren danach rechne ich mit einer Phase hoher Nachfrage, in der es zu wenig Produktionskapazitäten gibt. Das sollte uns nützen. Aber klar: Transformationen bieten immer Unsicherheiten.
Am Ende steht ja kein neues Produkt, sondern derselbe Stahl, der anders hergestellt wird. Die verwendete Technologie ist im Grunde 100 Jahre alt. Kann man für so ein Projekt Enthusiasmus entwickeln?
Einerseits müssen wir einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten. Wir denken andererseits aber auch an neue Märkte und die Möglichkeiten, die sich für uns ergeben. Und Innovation passiert permanent.
Für Ihren Standort in Donawitz haben Sie bereits einen E-Ofen bestellt, für Linz noch nicht. Hängt das mit der Rechtsunsicherheit wegen der 220-kV-Leitung für den Zentralraum Oberösterreich zusammen?
Ja, wir warten da auf den Verwaltungsgerichtshof. Ob es dieses Jahr noch mit einer Entscheidung funktioniert, können wir nicht abschätzen. Die Austrian Power Grid (APG) rechnet damit bis Ende März, dann würde es keine Verzögerung des Projekts geben. Sollte es sich jedoch weiter spießen, würde sich auch der Zeitplan von greentec steel verzögern. Dies wäre klarerweise weder für das Klima noch für uns hilfreich.
Dann müssten Sie dem Aufsichtsrat und der Öffentlichkeit erklären, dass es doch länger dauern wird?
Die Voraussetzungen sind gut, dass die 220-kV-Leitung bis Ende 2026 gelingt.
Ihr Plan orientiert sich an den Pariser Klimazielen von 2015. Seitdem gab es Corona, Krieg, Energiekostenexplosion. Werden Sie den greentec-steel-Plan noch einmal anpassen müssen?
Der gesetzliche Rahmen ist festgelegt. Was wir brauchen, ist ausreichend erneuerbare Energie zu wirtschaftlichen Preisen. Den bereits existierenden Transformationsfonds in Höhe von drei Milliarden Euro sollte man weiterentwickeln, um auch eine Produktionskostenunterstützung möglich zu machen. Bisher ist nur die Förderung von Investitionskosten möglich. Dann geht's natürlich um den Netzausbau. Und wir brauchen Rahmenbedingungen, damit gegenüber anderen Märkten keine Nachteile entstehen.
Sie meinen die Strompreiskompensation?
Ja, wir fordern eine Verlängerung. 14 Länder haben das in Europa bereits beschlossen. In Deutschland wurde die Strompreiskompensation bis 2030 verlängert. Auch bei uns muss das jetzt umgesetzt werden, sonst sind wir gegenüber anderen europäischen Ländern im Nachteil, international sowieso.
Um wie viel geht es da?
Wenn wir Deutschland nicht gleichgestellt werden, hätten wir Mehrkosten von 50 Millionen Euro wegen nicht kompensierter Strompreise. Wir haben bereits rund 20 Millionen Euro Nachteil aus der Strompreiszonentrennung. Das ist schon eine relevante Größenordnung.
Sie kritisieren das Zögern der österreichischen Regierung. Liegt es mehr an der Energieministerin, am Wirtschaftsminister oder am Finanzminister?
Irgendwie verstrickt sich die Regierung im koalitionären Geplänkel.
Aus dem Transformationsfonds wollen Sie 90 Millionen lukrieren: je 30 Millionen für die zwei Öfen und weitere 30 Millionen für die Infrastruktur. Richtig?
Es ist ein hoher zweistelliger Millionenbetrag. Aber wie gesagt, wir wollen, dass dieser Fonds weiterentwickelt wird. Das gibt es in anderen Ländern bereits, etwa in Deutschland.
Bei einem Investitionsvolumen von 1,5 Milliarden sind knapp 100 Millionen Euro genug oder zu wenig?
Wenig.
Ab 2030 werden Sie je einen weiteren Hochofen in Linz und Donawitz ablösen. Dann kommt Wasserstoff ins Spiel?
Wir gehen davon aus, dass die Produkte, die wir mit Wasserstoff erzeugen wollen, Rohstoffe wie Eisenschwamm (HBI), außerhalb Europas erzeugt werden.
In Ländern, wo es viel Sonnen-und Windstromkapazitäten gibt?
Die Wasserstofferzeugung wird in Ländern stattfinden, die ausreichend Zugang zu Sonne und Windkraft und Wasserkraft haben, etwa in Nordafrika, im Mittleren Osten oder in Nordeuropa. Dieser Wasserstoff könnte dann über Pipelines nach Europa kommen.
Wird die voestalpine HBI-Erzeuger auf Wasserstoffbasis sein oder die Produkte externen Lieferanten abkaufen?
HBI muss nicht Teil unserer Wertschöpfungskette sein. Wir lassen diese Frage jetzt noch offen. Zum Glück haben wir ja die Beteiligung am HBI-Werk in Texas und sind derzeit ausreichend versorgt. Später könnten wir uns eine Kapazitätsscheibe durch einen langfristigen Vertrag sichern oder uns auch an einem Werk beteiligen. Wir reden hier allerdings erst von der Zeit nach 2030.
Hätten Sie gerne die Option, über das ganze Werk in Texas, das Sie zu 80 Prozent Ihrem Konkurrenten ArcelorMittal verkauft haben, zu verfügen und es weiter Richtung Wasserstoff entwickeln zu können?
Wir haben uns damals für den Verkauf entschieden, und diese Entscheidung ist nach wie vor richtig.
Welche Erkenntnisse haben sie aus Ihren bisherigen österreichischen Wasserstoffprojekten gewonnen?
Wir planen, für unser in Donawitz begonnenes Projekt Hyfor, in dessen Zentrum die Reduktion von Eisenerzen mittels Wasserstoff steht, bis 2026 in Linz eine Pilotanlage zu bauen, die mit Wasserstoff unserer H2-Future-Anlage beliefert wird. Sie wird bei Vollbetrieb mit einer Jahresproduktion von bis zu 20.000 Tonnen grünes Roheisen ein Rolemodel für ein großes Konzept sein, Partner sind Primetals und Fortescue.
Nach dem Piloten kommt eine richtig große Anlage?
Das könnte sein, wo immer auch diese Anlage dann steht.
Es sieht so aus, als würden Sie in der Energieversorgung wesentlich abhängiger vom Ausland?
Wir kaufen jetzt ja auch Kohle und Eisenerz aus aller Herren Länder. Damit sind wir von internationalen Märkten abhängig. Auch in der Gasversorgung werden wir international beliefert, nicht nur von Russland. In Wirklichkeit tauschen wir Kohle gegen erneuerbare Energien.
Sind Sie in Zukunft wieder abhängiger von der Politik?
Das sehe ich nicht so. Transformation bedeutet Veränderung. Beim Energieausbau sind wir natürlich von den Energieversorgern abhängig. Das gilt auch für die Entwicklung der Wasserstoffinfrastruktur in Europa. Für uns ist es natürlich immer zu langsam.
Wie groß ist Ihre Sorge um den Wirtschaftsstandort wirklich?
Ich verstehe nicht, warum die Wettbewerbsfähigkeit von Österreich in Relation zu den europäischen Mitbewerbern geschwächt wird. Unsere Assets in Österreich werden wir jedenfalls absichern. Wohin neue Investitionen gehen, ist eine völlig andere Frage. Neuinvestitionen werden dort stattfinden, wo die Märkte der Zukunft sind.
Sie produzieren in Ihrem neuen Werk in Kapfenberg, aber auch in Schweden Edelstahl. In Schweden ist der Strom deutlich billiger. Also wenn Sie die Strompreiskompensation nicht bekommen, werden Sie in Zukunft mehr in Schweden produzieren?
Wir sind froh, dass wir in Schweden sind.
"Der Kampf gegen den Klimawandel ist die Aufgabe unserer Generation", hieß es beim Spatenstich in Linz. Ist er das?
Es gibt weltweit unterschiedliche Geschwindigkeiten. Die EU ist sicher der regulierteste Markt. In den USA wird man auch gefördert, wenn man in grüne Technologien investiert, auch vor allem mit Steuervorteilen.
Die Amerikaner machen es besser?
Sicher. Fördern ist besser als bestrafen.
Während Ihr großer Umbau in den Werken bereits voll im Gang ist, bauen Sie auch den Konzernvorstand umfassend um. Gleich drei Positionen werden 2024 neu besetzt. Ist das eine zusätzliche Challenge?
Wir sind gut aufgestellt. Unsere Verschuldung ist gering, wir hatten in den letzten Jahren gute Ergebnisse. Ich freue mich auf die neuen Kollegen und auf die Zusammenarbeit.
Mit Carola Richter zieht erstmals eine Frau in die Chefetage ein. Was erwarten Sie sich davon für die Unternehmenskultur?
Die Sichtweise, wie wir zusammenarbeiten, wird sich verändern. Unser Ziel ist seit Langem, den Frauenanteil in der voestalpine zu erhöhen. Dazu haben wir vom Lehrlings- bis zum Führungskräfteprogramm jede Menge Initiativen gesetzt. In Linz haben wir kürzlich einen neuen Kindergarten gebaut, um junge Familien zu unterstützen. Die Anzahl der weiblichen Führungskräfte steigt langsam. Für mich zu langsam. Wenn wir eine Frau im Vorstand haben, kann sich vieles beschleunigen.
Rund 6.000 Voestler haben jüngst gestreikt. Ihr Betriebsratschef war seit Ewigkeiten nicht mehr mit so markanten Sprüchen im TV-Hauptabendprogramm präsent. Ging es dieses Jahr bei den Lohnverhandlungen mehr um Klassenkampf als um ein Ritual?
Wenn man weiter zurückschaut in unsere Geschichte, hat es immer wieder einmal gespießt, aber man hat auch immer wieder eine Lösung gefunden. Die Verhandlungen waren wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage sehr herausfordernd. Die erzielte Einigung gilt für zwei Jahre und sollte den Unternehmen mehr Planungssicherheit geben.
Zusammenfassend: Auf welche Faktoren wird es bei Ihrem auf Jahrzehnte angelegten Umbauplan ankommen, damit er gelingt?
Auf die passenden Rahmenbedingungen: Energie- und Netzausbau, Transformationsfonds, Strompreiskostenkompensation usw. Und dass es keine weiteren Verschärfungen der Regulatorik der EU gibt.
Zur Person
Herbert Eibensteiner, 60, ist 2019 Wolfgang Eder als CEO der voestalpine nachgefolgt. Der studierte Maschinenbauer werkt seit 1989 im Stahl-und Technologiekonzern. 2012 rückte er in den Konzernvorstand auf. Eibensteiner ist auch Vizepräsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich.
Das Interview ist der trend.PREMIUM Ausgabe vom 7.12.2023 entnommen.