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Zittern um den Mittelstand

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Made in Austria-Nachfrage im Sinkflug

Made in Austria-Nachfrage im Sinkflug

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Das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft wankt: Flauer Konsum, hohe Zinsen und ein schwächelndes Deutschland belasten vor allem KMU. Aber es gibt auch positive Signale.

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Sie sind viele, sie sind flexibel, und sie sind innovativ. Und sie waren in den vergangenen Jahrzehnten stets der stabilisierende Faktor, wenn die Wirtschaft kriselte: Österreichs KMU. Jetzt ziehen am Konjunkturhimmel wieder dunkle Wolken auf - und es scheint, als würde es dieses Mal vor allem die Retter treffen. Dass die Insolvenzzahlen nach dem Auslaufen der Corona- und Energiehilfen steigen, ist wenig überraschend. Neu ist, dass es vor allem die Kleinen trifft.

In Groß-Enzersdorf bei Wien rutscht der Maschinenbauer Nomotec mit Schulden von 3,4 Millionen Euro in die Pleite. Die 29 Mitarbeitenden stellen Produktionsanlagen und Werkzeugmaschinen vor allem für die Automobilindustrie her. In Kärnten erwischt es die Spenglerei Arnesch in Kappel am Krappfeld. Insolvenzursache sind laut den Kreditschützern des KSV Liquiditätsprobleme, nachdem Auftraggeber Teilrechnungen nicht bezahlt hatten. Die Insolvenzdatenbanken der Kreditschützer füllen sich auch mit kleinen bis mittelgroßen Baufirmen wie der Innsbrucker SP-Bau, der Wiener Wohnpark Bauträger GmbH und der Strasshofer Ziegelmassiv meinhaus Bau GmbH. Die Branche leidet besonders mit ihren vielen mittelgroßen Bauträgern und Zulieferbetrieben und baunahen Dienstleistern unter den gestiegenen Zinsen und der seit Sommer 2022 geltenden Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM), die die Vergabe von Krediten erheblich erschwert hat.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Und diese Unternehmen sind, obwohl Einzelschicksale, in Summe keine Einzelfälle. In den ersten drei Quartalen ist die Zahl der Insolvenzen um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Das alleine ist allerdings noch nicht so dramatisch, liegt die Gesamtzahl nur um 2,6 Prozent über dem Vorkrisenjahr 2019. Was dem KSV-Insolvenzexperten Karl-Heinz Götze mehr Sorgen bereitet, sind die deutlich sichtbaren Gewitterwolken über der Baubranche (siehe auch "Baustopp: Immobilienkrise trifft vor allem Developer"). "Im Vergleich zu 2019 sprechen wir aktuell von rund zehn Prozent mehr Pleiten im Baugewerbe, Tendenz steigend", so Götze. Denn zu den steigenden Firmenpleiten kommt noch eine Auftragslage hinzu, die wenig Hoffnung macht: Laut KSV-Analyse ist die Auftragslage in der gesamten Baubranche stark rückläufig. "Und auch 2024 wird aus heutiger Sicht nicht besser werden", fürchtet Götze.

Kurzarbeit wieder gefragt

Ein weiteres Anzeichen für ein aufkommendes Konjunkturtief: Das Interesse an Kurzarbeit steigt. "Es ist viel Nachfrage nach Kurzarbeit da", bestätigt Iris Schmidt, Leiterin des Arbeitsmarktservices Oberösterreich. Das Interesse hängt auch damit zusammen, dass die mit 1. Oktober neu geltenden Regelungen ein verpflichtendes Beratungsgespräch verlangen. Außerdem gilt neuerdings: First Come, First Served. "Die Anträge werden nach Einlangen bearbeitet", so Schmidt. Und nachdem die Gelder für Kurzarbeit im Budget mit 20 Millionen Euro gedeckelt wurden, hat es da mancher eilig. Zum Vergleich: Während der Coronapandemie summierten sich die staatlichen Zuschüsse zur Kurzarbeit auf zwölf Milliarden Euro.

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Iris Schmidt, Leiterin des AMS Oberösterreich, verzeichnet mehr Anfragen nach Kurzarbeit.

 © AMS OÖ / Harald Dostal

Fakt ist: Die Stimmung im Mittelstand ist mies. 60 Prozent der von der Wirtschaftskammer für ihr Wirtschaftsbarometer befragten KMU erwarten eine Verschlechterung des Wirtschaftsklimas im kommenden Jahr. Die Zuversichtlichen muss man mit der Lupe suchen: Es sind gerade acht Prozent. Die größten Sorgen bereiten die hohen Arbeitskosten, gefolgt von gestiegenen Energiepreisen sowie teureren Vorleistungen (siehe Grafik unten).

"Große Unternehmen tun sich in Krisen leichter", sagt auch Albrecht Rauchensteiner vom Beratungsunternehmen Deloitte, "sie sind weniger abhängig von einzelnen Exportmärkten und haben mehr Spielraum bei den Kreditlinien. Zudem verfügen sie im Gegensatz zu vielen KMU durch Steuerungsinstrumente wie tagesaktuelles Reporting und Cashmanagement über mehr Möglichkeiten, rasch auf veränderte Situationen zu reagieren."

Viele Betriebe befinden sich in einer Doppelfalle: Die Kosten steigen, die Aufträge sinken. 43 Prozent der von der Wirtschaftskammer befragten KMU erwarten, dass sich ihre Auftragslage im kommenden Jahr verschlechtern wird.

Die größten Sorgen der KMUs

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Die größten Sorgen der KMUs

Die Problemliste der größten Herausforderungen für die von der Wirtschaftskammer befragten Unternehmen wird von den Arbeitskosten und dem Mangel an Arbeitskräften angeführt.

 © WKÖ-Wirtschaftsbarometer (Mehrfachnennungen möglich)

Wirtschaftsaussichten: Pessismisten überwiegen

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Wirtschaftsaussichten: Pessismisten überwiegen

Die Stimmungslage der Betriebe ist für das nächste Quartal im Minus: Aktuell beträgt der Saldo aus Pessimisten und Optimisten neun Prozentpunkte. Düsterer war die Stimmung nur zu Beginn des Jahres. (Saldo in Prozent)

 © KMU Forschung Austria

No demand for "Made in Austria"

Volkswirtschaftliche Daten weisen in dieselbe Richtung. So weist der Einkaufsmanager-Index der Bank Austria bei den Neuaufträgen für August gegenüber Juli einen weiteren Rückgang aus - der 16. in Folge. "Die hohe Unsicherheit unter den Kunden, gestiegene Kosten und die verschärften Finanzierungsbedingungen dämpften die Nachfrage nach 'Made in Austria'", heißt es in dem Bericht. In Summe stieg der Einkaufsmanager-Index zwar geringfügig auf 40,6 Punkte (siehe Grafik unten), liegt damit aber immer noch meilenweit unter der wachstumsanzeigenden Schwelle von 50 Punkten. Besonders beunruhigend: Beim wichtigsten Handelspartner, Deutschland, liegt der Wert mit 39,1 Punkten noch tiefer.

Für Österreichs KMU ist das ein Alarmsignal. Für fast zwei Drittel der exportierenden Klein- und Mittelbetriebe ist das Nachbarland der wichtigste Auslandsmarkt. Ohne Nachfrage aus Deutschland geht da nicht viel. Und ausgerechnet dort sind die Krisensignale unübersehbar. Drei Quartale in Folge ist die Wirtschaft dort nicht gewachsen. Und sowohl Wirtschaftsforscher als auch EU-Kommission erwarten für Europas größte Volkswirtschaft ein weiteres Schrumpfen.

Einkaufsmanager-Index auf Talfahrt

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Einkaufsmanager-Index auf Talfahrt

Die Nachfrage nach Produkten "Made in Austria" sinkt, der Index notierte Ende August bei 40,6 Punkten. Wachstum gibt es erst, wenn der Index über 50 Punkte steigt.

 © S&P Global, UniCredit Research

Die Deutschland-Flaute hat auch Nomotec gespürt, Spezialist für Anlagenautomationstechnik mit großen Kunden wie BMW, VW und ZKW. Geschäftsführer Gilbert Eberhard-Gradnig spricht von einem bitteren Cocktail für das gut eingeführte Unternehmen: Die zahlreichen Schocks infolge von Pandemie, Krieg und einsetzender Konjunktureintrübung in Deutschland haben sich mit Lieferengpässen und steigenden Materialkosten bemerkbar gemacht. Dann bremsten Auftraggeber bei Investitionen, hochvolumige Projekte mit langen Durchlaufzeiten mussten vorfinanziert werden. Kunden forderten wegen der aktuellen Marktunruhe Finanzierungssicherheiten, auch das macht es für KMU schwieriger und teurer. "Hinzu gesellten sich steigende Personalkosten für die hochspezialisierten Fachkräfte, wie sie ein Betrieb im Automatisierungssegment benötigt - Monteure, Konstrukteure, Steuerungstechniker, Programmierer", sagt Eberhard-Gradnig, "alles in allem eine verzerrte Kostenstruktur und Mehraufwand, der so nicht absehbar war."

Das Ende bedeutet das allerdings nicht, es hat sich ein Käufer samt Neustart gefunden. Nomotec wird in der Techco-Gruppe aufgehen und als Nomotec Automation GmbH neu gegründet, inklusive baldiger neuer Betriebsstätte in Wolkersdorf. Die in Korneuburg ansässige Techco Group, zu der auch Stirg Metall und Baumgartner Automation gehören, ist international in den Bereichen Elektrotechnik und Metallverarbeitung tätig. "Mit der größeren Mutter bleiben wir den Kunden erhalten, die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mitgegangen", freut sich Eberhard-Gradnig.

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Nomotec kann nach Übernahme durch die Korneuburger Techco Group weitermachen.

 © beigestellt

In der Doppelfalle

Vielen anderen Unternehmen droht jedoch eine Doppelfalle: Wer als KMU nach Deutschland exportiert, leidet unter der schwachen Nachfrage, wer auf den heimischen Markt fokussiert, merkt die Konsumflaute. "Vor allem der Handel spürt die aufgrund der hohen Inflation gesunkenen Realeinkommen", sagt Thomas Oberholzner, Leiter der KMU Forschung Austria. Und das trifft keineswegs nur Große wie die Schuhketten Salamander und Delka. Im Gegenteil: "Je schwächer der Inlandskonsum, desto stärker sind KMU betroffen", weiß Experte Oberholzner.

Ein Beispiel dafür ist die niederösterreichische KSR Group. Der Motorrad-Großhändler, mit seinen 220 Beschäftigten Importeur von Marken wie Brixton, Royal Enfield und Niu-Elektrorollern, meldete beim Landesgericht Krems Insolvenz an. Von Kreditverbänden geschätzte Verbindlichkeiten: 77 Millionen Euro. Jetzt wird ein Investor gesucht. Auch dahinter steckt ein Dilemma. Denn die Konsumzurückhaltung ist politisch gewollt: je weniger Nachfrage, desto schneller sinkt die Inflation.

Zum Einfangen der Inflation sollen auch die hohen Zinsen beitragen - für KMU die nächste Herausforderung. Denn zu klein für Anleihen und Börsengänge sind sie auf Gedeih und Verderb ihrer Hausbank ausgeliefert.

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Die KSR Group ist nach Insolvenz-Anmeldung auf Partnersuche.

 © beigestellt

Allerdings: Der Blick auf die Bonität der Kreditkunden wird seit vielen Jahren schon strenger. Die Eigenkapitalquote der in den vergangenen Jahren teils von überdurchschnittlicher Ertragskraft verwöhnten KMU ist zwar im Schnitt gestiegen. Dennoch liegt sie - insbesondere bei den Klein-und Kleinstbetrieben - unter den Niveaus von Großbetrieben. "Eigenkapitalquote und Bankkredite sind kommunizierende Gefäße", umschreibt Unternehmensberater Peter Voithofer die Situation bildlich. Die Bankverschuldung der KMU sei höher als bei Unternehmen größerer Dimensionen. Und Boutiquen, Bäcker und Blumenläden gehören selten zu den coolen Start-ups oder Scale-ups, also Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell rasch skalieren können, und sind entsprechend unattraktiv für Investoren und Venture-Capital-Fonds.

Und dieses Problem wird eher größer. Die neuen Guidelines der European Banking Authority (EBA) für die Kreditvergabe und -überwachung beunruhigen die Branche. "Die Leitlinien stellen ein sehr umfangreiches Paket mit enormen Auswirkungen auf Datenmanagement, Kreditvergabestandards und Kundenbeziehungen dar", heißt es in einer Analyse des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens KPMG. Ein Banker drückt das deutlicher aus: "Die Bankenaufsicht gießt damit Öl ins Feuer."

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Peter Voithofer (Experte und Unternehmensberater) weiß: Die Eigenkapitalquote von KMU liegt meist unter der von Großen, umgekehrt sind die Bankverbindlichkeiten höher.

 © Felicitas Matern

Das Glas ist nicht nur halb leer

Allerdings gilt auch: Wer das Glas grundsätzlich eher halbvoll als halbleer sieht, findet auch dafür gute Gründe. "Anhand der aktuellen Zahlen von einer Insolvenzwelle zu sprechen, wäre falsch", sagt etwa Kreditschützer Götze, "beim aktuellen Anstieg handelt es sich um die von uns seit längerem prognostizierte Nivellierung, die uns wohl auch in nächster Zeit begleiten wird." Und auch die Volkswirte der Bank Austria sehen bei ihrer Analyse positive Aspekte: Zwar habe sich die Talfahrt der österreichischen Industrie auch im August fortgesetzt, aber "die Aussicht, dass die Talsohle des Abschwungs bald erreicht sein wird, hat sich verbessert. Der Produktionsrückgang hat sich verlangsamt und der Beschäftigungsabbau stabilisiert".

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Karl-Heinz Götze, KSV-Insolvenzexperte verzeichnet zwar einen deutlichen Anstieg der Pleiten, sieht aber „keine Insolvenzwelle“.

 © Anna Rauchenberger

Es gibt sie noch - Nischen und Innovationen

Zudem gilt: Längst nicht alle Branchen sind vom Abschwung betroffen. Und wer auf Innovationen und Nischen setzt, findet auch weiterhin interessante Geschäftsmöglichkeiten. Dazu gehören die Tüftler Martin Schifko und Alireza Eslamian, die einen digitalen Zwilling für Autolackieranlagen entwickelt haben (siehe dazu: "Engineering Software Steyr: Erfinder und Problemlöser"). Fast noch mehr Nische hat der Mechatroniker und Wirtschaftsinformatiker Christian Tschida entdeckt - und gefüllt. Seine spezielle Technik für Filmkameras wird sogar in Hollywood verwendet (siehe "Christian Tschida: Filmreifer Business-Stunt").

Und dann gibt es Mutige, die trotz Krise expandieren. So hat Theresa Imre, Gründerin von markta (siehe dazu: „Erste markta-Filiale: Bauernmarkt mitten im Neunten"), einer Onlineplattform für den Vertrieb bäuerlicher, regionaler Produkte aus nachhaltiger Erzeugung, in Wien ihren ersten stationären Markt eröffnet. Ihr großer Vorteil: Sie hängt nicht nur an den Banken, sondern hat einige Gesellschafter an Bord, die selbst Unternehmer sind und einen langen Atem haben.

Investiert hat auch Wolfgang Holzhaider, Chef der Baugruppe Holzhaider in Sankt Oswald bei Freistadt (siehe dazu: „Baugruppe Holzhaider: Expansion trotz Bauflaute"). Zwar leidet auch er unter gestiegenen Finanzierungskosten und der Absage fast jedes fünften Projekts. Dennoch hat er den Mühlviertler Metall-und Glasbaubetrieb mglass übernommen, der Anfang September mit Passiva von 32 Millionen Euro Insolvenz anmelden musste. Für Holzhaider soll mglass ein zweites Standbein sein - getreu dem Motto, dass man auf zwei Beinen besser steht, wenn der Boden schwankt.

Artikel aus trend. PREMIUM vom 29.09.2023

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