©VIG/Ian Ehm
HARTWIG LÖGER, CEO der Vienna Insurance Group, über die Notwendigkeit einer zusätzlichen kapitalgedeckten Pensionsvorsorge, die weiteren Chancen in Osteuropa und den Ausbau des Versicherungsschutzes für Naturkatastrophen.
TREND: Sie haben gemeinsam mit Ex-Erste Bank CEO Andreas Treichl eine Versachlichung der Diskussion für eine Pensionsreform angeregt. Nun fordern mehrere Sozialexperten eine Anhebung des Pensionsalters. Ein richtiger Weg?
Löger: Es gibt verschiedene Reformansätze für unser Pensionssystem. Die Anhebung des Pensionsalters wäre ein Ansatz, den ich auf Grund der Erkenntnisse der von der Erste Stiftung und VIG beauftragten Studie von Eco Austria über elf Pensionssysteme in Europa nicht priorisieren würde. Wir sehen den Ansatz eher in einer Ergänzung des staatlichen Systems um eine kapitalgedeckte Komponente als in einer Veränderung der staatlichen Parameter. Zumal wir zuerst von Maßnahmen reden sollten, die uns näher an das gesetzliche statt das faktische Pensionsalter bringen. Derzeit gehen Männer im Durchschnitt mit 62,2 Jahren und Frauen mit 60,2 Jahren in Pension.
Eine teilweise Finanzierung der Pensionen über den Kapitalmarkt wie in Dänemark oder den Niederlanden wäre für Sie die sinnvollere Variante?
Auf jeden Fall, denn eine Ergänzung des Umlageverfahrens um kapitalgedeckte Komponenten würde das staatliche Budget wesentlich entlasten und die Höhe der Pensionen deutlich verbessern. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die angesparten Vermögen trotz kurzzeitiger Probleme wie zum Beispiel der Finanzkrise kräftig gestiegen sind. So hat sich der Wert der Ersparnisse in Dänemark und in den Niederlanden seit 2001 inflationsbereinigt mehr als verdoppelt. Wichtig ist, an dieser Stelle zu betonen, dass es bei der Vorsorge immer um eine langfristige Betrachtung der Entwicklungen gehen muss.
Was braucht es, um bei dem seit Jahrzehnten diskutierten Thema Pensionsreform zu einer Lösung zu kommen?
Eine möglichst breite und sachliche Diskussion über ein nachhaltig sicheres Pensionssystem. Dazu müssen alle relevanten Interessengruppen wie alle politischen Parteien, Sozialpartner, Verbände etc. in den Prozess miteinbezogen werden, damit die erarbeiteten Lösungen auch breit mitgetragen werden. Es ist allerhöchste Zeit, einen Reformprozess zu starten. Jeder Tag, den wir länger zuwarten, ist ein verlorener Tag für unsere jungen Generationen.
Das heurige Jahr war bislang sehr erfolgreich für die VIG. Wie schätzen Sie 2025 ein?
Unsere sehr positive Entwicklung im heurigen Jahr resultiert unter anderem aus unserer ausgezeichneten Kapitalstärke, einer zukunftsorientierten Strategie und unserem stark regional ausgeprägten Geschäftsmodell, das rasches, lokales Handeln ermöglicht. Rahmenbedingungen, die auch 2025 Gültigkeit haben und auf denen wir weiter aufbauen können. Die Prognosen für das BIP-Wachstum der meisten Ländern in der CEE-Region liegen deutlich über dem stagnierenden Euroraum. Wir starten demnach sehr optimistisch ins neue Jahr.
In Österreich steckt vor allem die heimische Industrie in der Krise. Inwieweit ist die VIG davon betroffen?
Natürlich hat das herausfordernde wirtschaftliche Umfeld auch Einfluss auf uns. Das kann die Bereitschaft und finanzielle Möglichkeit unserer Kunden zur Risikoabsicherung beeinflussen. Wir berücksichtigen diese möglichen Entwicklungen auch in unseren Zielsetzungen. Auf der anderen Seite sind gerade in schwierigen Phasen das Sicherheits- und das Absicherungsbedürfnis der Menschen und Unternehmen besonders stark ausgeprägt. Die Versicherung hat hier einen unverändert hohen Stellenwert.
Die CEE-Länder wachsen weiter über dem EU-Schnitt. In welchen Ländern Osteuropas läuft es für die VIG am besten?
Alle Segmente, in die wir unsere Märkte eingeteilt haben, entwickeln sich positiv. Besonders erfreulich ist die Entwicklung in Österreich, in Polen, in Rumänien, in der Slowakei, in den Baltischen Staaten, in Bulgarien und Ungarn.
Wo sehen Sie noch das größte Wachstumspotenzial für die VIG in CEE?
Wir sehen in allen unseren Märkten Wachstumspotenziale, was auch die aktuelle Herbstprognose des Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche bestätigt. Das BIP-Wachstum für die EU-Mitglieder in der Region soll durchschnittlich bei 2,2 Prozent liegen und bis 2025 auf 2,9 Prozent steigen, somit deutlich über dem Euroraum mit 0,6 Prozent Wachstum liegen. Besonderen Fokus legen wir auf Polen, wo auch das Wirtschaftswachstum 2025 bei 3,7 Prozent liegen soll. Wir haben uns in diesem Jahr durch Zusammenlegungen von Gesellschaften in Polen neu aufgestellt und sind mit drei starken und innovativen Unternehmen auf dem sehr wettbewerbsintensiven polnischen Markt bestens positioniert.
Die Osterweiterung feierte heuer ihr 20-jähriges Jubiläum. Ihr Fazit dazu?
Ich sehe sie als eine der wichtigsten geopolitischen Entscheidungen der Europäischen Union und als einen enorm wichtigen Schritt für die VIG. Die Osterweiterung begleitet einen großen Teil unserer erfolgreichen Entwicklung mit. Wir konnten von den prosperierenden Volkswirtschaften profitieren, sind in acht von zehn Ländern der Osterweiterung tätig und in sechs davon Marktführer.
Das Sturmtief Boris hat im Spätsommer sowohl im CEE-Raum als auch in Europa verheerende Schäden angerichtet. Mit welchen Strategien kann man sich als Versicherer dagegen wappnen? Gibt es Präventionsmöglichkeiten?
Vor allem Wetterereignisse wie Hagel, Sturm, Überschwemmungen und Trockenheit spielen in der Region, in der wir als Gruppe tätig sind, eine besonders wichtige Rolle. Da gilt es vor allem, moderne Module zur Berechnung und Einschätzung von Unwetterszenarien zu nutzen. Wir arbeiten mit zwei unabhängigen Unternehmen zusammen und setzen ein internes Modell ein, da es in vielen unserer Märkte keine Marktmodelle gibt. Damit verfügen wir über die hochwertigsten Daten für ein Programm für die gesamte Region, das diese abdeckt. Wichtig ist unsere langjährige Beziehung zu unseren Rückversicherungsunternehmen. Das Flutereignis durch das Sturmtief Boris ist ein Ereignis, das modelliert ist. Daher gibt es für unsere Rückversicherungspartner keine Überraschungen. Dies ist vor allem auch auf die Hochwasserschutzmaßnahmen zurückzuführen, die seit 2002 in Österreich, in der Tschechischen Republik aber auch in Polen ergriffen wurden.
Die Flutkatastrophe in Spanien war noch dramatischer. Die finanziellen Schäden dort wurden für die Betroffenen durch eine spezielle Versicherung, den „Consorcio de Compensación de Seguros“ gedeckt. Mit Prämien von 15 Euro pro Jahr. Wie kann man auch in Österreich eine taugliche Versicherung gegen Umweltkatastrophen installieren?
Das ist ein Thema, wofür wir als Versicherungsbranche schon sehr lange eine effiziente Lösung anbieten könnten. Als Beispiel könnte das belgische Modell dienen, wo jede private Feuerversicherung um eine Versicherung gegen Überflutung, Erdbeben und Erdrutsch ergänzt wird. Diese Naturkatastrophenversicherung würde sich finanziell auf leistbarem Niveau bewegen, und der Versicherte hätte einen Rechtsanspruch auf Versicherungsschutz für seine Schäden aus Naturgefahren. Gleichzeitig würde damit eine finanzielle und administrative Entlastung der Länder, Gemeinden und des Bundes einhergehen. Die Hochwasserschäden werden oft aus Katastrophenschutzmitteln, die größtenteils vom Bund stammen und daher Steuergeld sind, abgedeckt. Einen Rechtsanspruch gibt es für die Bürger aber darauf nicht. Leider ist es bisher nicht gelungen, die politische Ebene von der Notwendigkeit einer Unterstützung für Versicherte in Österreich zu überzeugen. Ein Grund dafür könnte sein, dass aufgrund der Zuständigkeiten der einzelnen Bundesländer im Bereich von Katastrophen und ähnlichen Ereignissen individuelle Interessen bestehen, die einer umfassenden Gesamtlösung entgegenstehen.
Zum Schluss zu etwas Erfreulichem: Die Aktie der VIG feierte heuer ihr 30-jähriges Jubiläum an der Wiener Börse. Besonders in den vergangen zwei Jahren hat sie sich gut entwickelt. Welche aktionärsfreundlichen Maßnahmen setzen Sie?
Aktionäre wollen entsprechend am Erfolg eines Unternehmens beteiligt werden. Das realisieren wir mit unserer 2023 adaptierten Dividendenpolitik. Sie setzt die Mindestdividende in Höhe des jeweiligen Vorjahres fest. Unsere Dividende bleibt im schlechtesten Fall stabil und soll abhängig von der operativen Ergebnissituation kontinuierlich steigen. Das ist ein klares Signal an unsere Aktionäre. Wir bieten Aktionären mit unserer Fokussierung auf die CEE Region eine Investitionschance in einen Wachstumsmarkt mit enormen Potenzialen.
Zur Person
HARTWIG LÖGER ist seit Juil 2023 Vorstandsvorsitzender der Vienna Insurance Group. Anfang 2021 wurde er Mitglied im Vorstand der VIG. Von 2017 bis 2019 war Löger Finanzminister der Republik Österreich. Und davor Vorstandsvositzender der UNIQA Österreich AG.