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„Uns ist das Wir-Gefühl abhanden gekommen“

IN KOOPERATION MIT DELOITTE
Aktualisiert
Lesezeit
10 min

Gerlinde Layr-Gizycki (Inamera) und Albrecht Rauchensteiner (Deloitte).

©Deloitte
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Jeder für sich und keiner fürs Ganze: Auch das bedroht den Wirtschaftsstandort. Erfolgreiche Betriebe setzen dagegen auf ein starkes Commitment gegenüber ihren Beschäftigten und der Region, sagen die Experten Albrecht Rauchensteiner (Deloitte) und Gerlinde Layr-Gizycki (Inamera).

TREND: Man hat das Gefühl, dass viele Unternehmen die Zukunft sehr skeptisch sehen. Täuscht dieser Eindruck?

Gerlinde Layr-Gizycki: Nein, der Eindruck täuscht nicht. Viele Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer haben wirklich Sorgen. Es liegen so viele Themen und Probleme auf dem Tisch, die wissen gar nicht, wo sie zuerst hingreifen sollen. Die Insolvenzzahlen steigen ja auch kräftig.

Albrecht Rauchensteiner: Ich sehe auch bei Optimisten große Sorgenfalten. Vor allem die Vielzahl an globalen Krisen sorgt für Verunsicherung, auch bei den Konsument:innen, was dann wieder auf die Unternehmen durchschlägt.

Ist das ein Standortthema? Oder sind viele Unternehmen schlecht gemanagt?

Rauchensteiner: Beides. Viele Unternehmer:innen vermissen signifikante Weichenstellungen durch die Politik, um die Attraktivität des Standorts zu erhalten. Aber man muss auch sagen, dass viele Manager die Marktlage falsch eingeschätzt haben. Nach vielen Jahren der Hochkonjunktur hatten manche eine rosarote Brille auf und haben nicht gemerkt, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr tragfähig ist.

Was wäre jetzt notwendig, damit Österreich ein attraktiver Wirtschaftsstandort bleibt?

Layr-Gizycki: Da geht es um viele Maßnahmen, über die schon lange gesprochen wird, wie eine Stärkung des Kapitalmarkts, um Investitionen zu erleichtern. Ein anderer Punkt ist, Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren, damit sie etwas beitragen können. Investitionen in die Bildung und Weiterbildung sind notwendig, von einer dringenden Pensionsreform mal ganz abgesehen.

Rauchensteiner: Es fehlt leider der Mut, diese Themen beim Namen zu nennen. Und es mangelt an der Bereitschaft, auch unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen.

Braucht Österreich einen Impuls wie die Olympischen Spiele jetzt in Frankreich oder eine Kamala Harris, damit es wieder neuen Schwung gibt?

Layr-Gizycki: Wir brauchen einen Zehnkampf, den man nur mit Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Disziplin gewinnt. Umgelegt auf die Wirtschaft bedeutet das, die Ertragsstärke und Eigenkapitalquote der Unternehmen zu stärken. Schnelligkeit ist nur möglich bei weniger Bürokratie. Und Disziplin bedeutet, jetzt in Infrastruktur und Innovationen zu investieren, um morgen davon zu profitieren.

Rauchensteiner: Das entscheidende Thema ist, dass uns als Gesellschaft das Wir-Gefühl abhandengekommen ist. Eine gewaltige Kraftanstrengung wie der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg würde uns in der gegenwärtigen Situation nicht gelingen. Am ehesten sehe ich ein gelebtes Wir-Gefühl noch bei Unternehmen, die auch soziale Verantwortung in der Region übernehmen. Sie kaufen beispielsweise bewusst Vorprodukte nicht in China, sondern im Nachbarort. Das ist zwar teurer, aber dafür bleiben beim Lieferanten aus der Region 20 oder 30 Arbeitsplätze erhalten.

Layr-Gizycki: Dabei geht es ja auch um einen langfristigen Beziehungs- und Vertrauensaufbau. So wie ich jetzt einem Nachbarbetrieb helfe, hilft der mir auch, wenn ich Probleme habe. Das ist eine Ressource, die man nicht unterschätzen sollte.

Best Managed Companies

Ist das auch ein Erfolgsgeheimnis der Best Managed Companies, die Deloitte mit einem Award auszeichnet?

Rauchensteiner: Ja, das ist ein Punkt. Ein zweiter, sehr wesentlicher, ist die Diversifikation. Wer nur ein ­Produkt anbietet, ist krisenanfälliger als Unternehmen mit einem breiteren Portfolio, das ist ja keine Frage. Was wir bei erfolgreichen Unternehmen auch sehen, ist das Bemühen, von Finanzpartnern möglichst unabhängig zu sein. Investitionen werden nach Möglichkeit aus dem Cashflow finanziert. Denn das Ausreizen von Finanzierungsmöglichkeiten macht besonders krisenanfällig und führt schnell zu Schieflagen. Das Entscheidende ist aber – und das sehen wir bei der Analyse der Best Managed Companies immer wieder – die Bereitschaft, das eigene Geschäftsmodell permanent auf den Prüfstand zu stellen und zu hinterfragen, ob es zukunfts­fähig ist. Dazu gehört vor allem, die Kundenerwartungen der Zukunft zu antizipieren. Das bedeutet Aufwand und bindet Ressourcen, ist aber in stürmischen Zeiten ein zentraler Faktor, warum manche Unternehmen krisenresilienter sind als andere.

Layr-Gizycki: Aus meiner Sicht ist der direkte Kontakt zum Kunden, das Zuhören, was der für Wünsche und Probleme hat, ein wichtiger Erfolgsfaktor mittelständischer Unternehmen.

Die Auszeichnung „Best Managed ­Companies“ wird heuer zum vierten Mal verliehen. Was hat sich in dieser Zeit bei den Themen geändert?

Rauchensteiner: Die Grundlogik unseres Programmes hat sich nicht geändert: Wir evaluieren die vier Themenbereiche Strategie, Produktivität & Innovation, Kultur & Commitment sowie Governance & Finanzen. Damit können wir das Unternehmen gesamthaft abbilden, was ja auch das Alleinstellungsmerkmal dieses Programms ist. ESG und Nachhaltigkeit waren von Anfang an zentrale Themen, aber künstliche Intelligenz hat natürlich an Stellenwert gewonnen. Da gibt es jetzt viel konkretere Antworten, was Einsatzmöglichkeiten und Chancen betrifft als vor vier Jahren.

Die Teilnahme an „Best Managed ­Companies“ umfasst Workshops, Fragebögen und Benchmarking und bedeutet echten Aufwand. Warum tun Betriebe sich das an?

Layr-Gizycki: Das Management bekommt ein ehrliches und fundiertes Feedback, Deloitte wirkt hier wie ein Sparringpartner. Das lohnt den ­Aufwand schon.

Rauchensteiner: Durch den gemeinsamen Prozess werden die Unternehmen quasi gezwungen, sich ihre Struktur und das Zusammenwirken der Managementprozesse genau anzuschauen und aus der Vogelperspektive zu betrachten. Und die Tiefe der Details und die Ernsthaftigkeit, mit der die Unternehmen das betrieben haben, hat uns heuer ­besonders beeindruckt. Dass sich dieser Aufwand lohnt, sieht man an der Tatsache, dass manche der Unternehmen diese Unterlage als Kernelement ihrer Onboardingprozesse verwenden, weil das vorher noch nie in vergleichbarer Weise formuliert worden ist.

Aus der Vogelperspektive betrachtet: Gibt es ein gemeinsames Merkmal ­erfolgreicher Unternehmen?

Rauchensteiner: Das hohe Engagement und die große Verantwortung gegenüber den eigenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ist auffällig und zeigt sich bei sehr, sehr vielen Teilnehmern an diesem Programm. Vom Gratiskindergarten über das betriebliche Gesundheitsprogramm bis zum Notfallfonds – da wird niemand alleingelassen. Das ist wirklich beeindruckend.

Österreich erlebt gerade eine Industrie-Rezession. Rückt jetzt wieder der Mittelstand als stabilisierender Faktor stärker in den Blickpunkt?

Layr-Gizycki: Der Mittelstand ist das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft. Aber wir müssen natürlich auch schauen, dass uns die großen Unternehmen nicht ins Ausland abwandern. Und das erfordert Standortpolitik und vor allem Planungssicherheit, sonst wird das nicht gelingen.

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