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Brenner-Basistunnel: Wahnsinn mit Methode

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Das Monster und der Tunnel: Riesenbohrmaschine bei der Arbeit, hier nahe dem Süditoler Ort Mauls: "Aus volkswirtschaftlicher ist der Tunnel eine Katastrophe."©BBT
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Der 64 Kilometer lange Brenner-Basistunnel kostet, Finanzierung inklusive, 20 Milliarden Euro. Das gigantomanische Projekt wird sich niemals rechnen und bringt kaum Milderung des Lkw-Transits. Jetzt schlägt der Europäische Rechnungshof Alarm.

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Oskar Herics ist kein schriller Alarmist sondern, im Gegenteil, ein kühler Kontrollor. Er ist Österreichs Vertreter im Europäischen Rechnungshof und vertritt mit seiner Organisation die Interessen der europäischen und damit österreichischen Steuerzahler.

Zur Zeit arbeitet er an einem Bericht, der im Juni dieses Jahres vorgestellt wird, nämlich an einer Untersuchung nationaler wie internationaler Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecken in der EU. Schon jetzt kann er mit haarsträubenden Wahrheiten aufwarten, im Speziellen, was den "Brenner-Korridor" von München nach Verona betrifft. Diese "TEN"-Trasse hat vier Abschnitte: die deutsche Strecke von München bis zur österreichischen Grenze nach Kufstein, dann die bereits fertiggestellte österreichische Unterinntalstrecke bis Innsbruck. Danach das "heiße" Herzstück, den im Bau befindlichen Brenner-Basitunnel. Sowie den italienischen Teil vom südlichen Tunnelportal bis nach Verona (siehe Grafik).

Der Brenner-Korridor

Die EU fördert die Strecke München-Verona. Doch nur der Tunnel wird gebaut.

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Die "Brennerachse" © trend

Der Befund des Rechnungshof-Prüfers ist, nach ausführlicher Recherche, vernichtend: "Es wird", sagt Oskar Herics, zumindest bis zum Jahr 2040 keine gesamthaft funktionierende Strecke geben. Es ist auch nur eine sehr eingeschränkte Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße in den Bahntunnel zu erwarten. Alles, was wir bisher sehen, ist ein nationaler Fleckerlteppich, es fehlen ein Gesamtkonzept und die gemeinsame Umsetzung."

Vor allem der weit gediehene Bau des 64 Kilometer langen Brenner-Basistunnels zwischen Innsbruck und dem Südtiroler Franzensfeste ist ein zehn Milliarden schwerer Schildbürgerstreich. Denn um die Kapazitäten des Tunnels, der laut der Errichtungsgesellschaft BBT-SE in neun Jahren fertiggestellt sein soll, nutzen zu können, bräuchte es funktionierende "Zulaufstrecken" in Deutschland und Italien. Bei seiner Recherche kam Herics zur Erkenntnis, dass sich genau hier aber wenig bis gar nichts rührt: "Es gibt in Deutschland und teilweise in Italien weder konkrete Trassenplanungen noch Kostenschätzungen. Wir haben an vielen Stellen gefragt und sind nirgendwo fündig geworden."

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EU-Prüfer Oskar Herics ortet am Brenner Geldverschwendung, hält "Vertragsverletzungsverfahren für möglich". © beigestellt

Tatsächlich gibt es nicht mehr als fromme Absichtserklärungen - und Eingeständnisse, dass die nötigen Zulaufstrecken, zumindest jene in Deutschland, so bald nicht kommen werden. Alexander Dobrindt, bis vor kurzem Verkehrsminister des Nachbarlandes, verkündete bei einer Protestversammlung lärmgeplagter Bahnanrainer in Rosenheim einen "Neustart des Bürgerdialogs". Was so viel bedeutet wie jahrelange Diskussionen, Raumordnungs-, Planfestellungs- und Gerichtsverfahren sowie, so Dobrindt, einen "Baubeginn frühestens in 20 Jahren". Was eine Fertigstellung vor dem Jahr 2050 undenkbar macht.

Hilflose EU

Ähnlich ungeklärt ist die Situation im italienischen Sektor. Die Trasse vom Tunnelportal bis Verona müsste, um "systemkompatibel" zu sein, ebenfalls auf weite Strecken untertunnelt werden. Die Baukosten beliefen sich für die 180 Kilometer auf grob geschätzte zehn Milliarden Euro. Abgesehen davon, dass Italien mit 132 Prozent Staatsschuldenquote am finanziellen Abgrund spazieren geht, hat die Trasse für die römische Regierung nicht wirklich Priorität; die Bahnhöfe an der Strecke sind für die geplanten zwei Kilometer langen Güter- Fern-Schnellzüge sowieso ungeeignet und müssten völlig neu adaptiert werden.

Es ist dieses Unverhältnis zwischen deutschem und italienischem Stillstand und österreichischer Übereifrigkeit, das den Prüfer erregt. "Ich bin wirklich betroffen und frage mich, wie die Europäische Union ihre Projekte in Zukunft umsetzen will", sagt Herics: "Die Frage ist, ob die EU überhaupt imstande ist, große, transnationale Projekte zu verwirklichen." Eine Verzögerung des Projekts wäre halb so schlimm, wären nicht bereits etliche Milliarden aus Brüssel wie auch aus dem österreichischen Budget für das Projekt ausbezahlt beziehungsweise fix budgetiert.

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Brenner-Basistunnel, Projektsatus Februar 2018: Drei Röhren - ein "Erkundungsstollen" sowie zwei Fahrröhren - sind im Bau. Insgesamt werden 230 Tunnelkilometer errichtet, 78 km sind bislang ausgebrochen. Obwohl vorwiegend für Güterverkehr konzipiert, ist die Tunnelstrecke für 250 km/h ausgelegt. © BBT

Aktuell gibt die BBT-SE die Baukosten mit zehn Milliarden Euro an, wobei sich die EU 2017 bereiterklärt hat, ihren Anteil nochmals von 30 auf 40 Prozent aufzustocken. Bleiben für Österreich und Italien je rund drei Milliarden Euro Rest. Die Finanzierungskosten sind da aber noch nicht eingerechnet, wie der Jurist Lothar Gamper festhält. Der Datenschutzbeauftragte der Universität Innsbruck beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Weltrekord-Tunnel, der Tirol vom Transitverkehr befreien soll. Für die Umweltanwaltschaft erstellte der Experte mehrere Rechtsgutachten und kommt dabei zu ähnlichen Erkenntnissen wie der EU-Rechnungshof: Nämlich, dass der Basistunnel aus volkswirtschaftlicher Sicht eine Katastrophe ist. "Das Projekt kann sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen niemals rechnen", sagt Gamper: "Wenn man die üblichen Kostensteigerungen und die Finanzierungskosten mit berücksichtigt, kommt allein der Tunnel auf 20 Milliarden Euro. Dazu kommen noch enorme Betriebskosten, von denen niemand weiß, wie hoch sie wirklich sein werden."

Verbohrte Milliarden

Es geht um riesige Summen von Steuergeld, die an anderen Ecken des altersschwachen Eisenbahnsystems wesentlich effizienter eingesetzt wären. Nutzen aus dem Tunnel scheint lediglich die Bauindustrie zu ziehen, die damit jahrzehntelange Auslastung für ihre Tunnelbaumaschinen gefunden hat. Die lärm- und abgasgeplagte Bevölkerung des Inn- und Wipptals hingegen dürfte kaum jemals eine positive Veränderung spüren. Denn: Die alte, laute Bahnstrecke über den Brennerpass wird weiter in Betrieb bleiben. Vor allem aber werden sich die ungeheuren Tonnagen, die heute mit 2,2 Millionen Sattel- und Hängerzügen über den Pass fahren, nur zu einem geringen Teil auf die Bahn umleiten lassen. Denn: Die Bahn ist, ob mit oder ohne Tunnel, gegenüber dem Lkw nicht konkurrenzfähig.

Die Bahnverwaltungen sind träge, arbeiten kaum bis gar nicht zusammen. Es fehlen leistungsfähige Güterterminals, es fehlt an geeigneten Waggons und am politischen Willen, das System Eisenbahn grundlegend neu zu denken. Der EU-Rechnungshof weist darauf hin, dass die EU allein in der Rechnungsperiode 2007 bis 2013 28 Milliarden Euro zur Finanzierung von Schienenverkehrsprojekten beigesteuert hat, dessen Anteil gegenüber der Straße aber weiterhin abnimmt. Über den Brenner gehen zur Zeit weniger als 30 Prozent der Waren per Bahn, Tendenz: sinkend. Die Zahl der Lkw-Fahrten stieg dagegen allein 2017 um acht Prozent und hält aktuell bei 2,25 Millionen Fahrten. Die alte Brennerbahn hätte noch große Kapazitäten frei, doch die Transportwirtschaft setzt konsequent auf Asphalt - auch deshalb, weil Lkw billiger denn je über den Berg donnern.

Österreich musste die Brennermaut schon vor einiger Zeit auf Verlangen der EU senken. Diesel ist in Österreich wesentlich billiger als in Italien, Frankreich und der Schweiz, also jenen Ländern, die ebenfalls Alpentransitrouten anbieten. Rund 200.000 Fahrten über den Brenner sind, so schätzt der Verkehrsclub Österreich, Umwegtransit. Die Fernfahrer nehmen weite Umwege in Kauf, um entlang der Brennerautobahn billigen Austro-Diesel tanken zu können.

Billige Straße, teure Schiene

"Der Lkw-Transport ist zu billig, es bräuchte, um den Tunnel zu füllen, zumindest eine EU-weite Lkw-Mindestmaut, sagt VCÖ-Sprecher Christian Gratzer. Doch genau davon ist die EU weit entfernt. Gigantische Lkw-Staus im Inntal, Blockabfertigung, ewiger Transit-Streit mit Deutschland sind logische Konsequenz. Drohungen, "Lkw-Obergrenzen" oder "Alpentransitbörsen" einzurichten, waren im Tiroler Wahlkampf permanent zu hören -und bleiben doch nur leere Ankündigungen. Trucker brettern zu Dumpinglöhnen unter ausländischer Billig-Flagge und ohne Grenzkontrollen mit - tolerierten - 90 km/h über die Autobahnen, während Bahnlokomotiven an den Grenzen ebenso getauscht werden müssen wie die beamteten, teuren Lokführer.

Auch Tunnelfans wissen: Ohne eine grundlegende Änderung der europäischen Verkehrspolitik wird der Basistunnel niemals sinnvoll genutzt werden. Doch die Frächterlobby ist stärker denn je, die EU-Politik schwächer denn je. Von der leichtgewichtigen EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc ist jedenfalls keine große Lösung zu erwarten. Ihr Versprechen, die Brenner-Frage bei einem Transit-Gipfel in Innsbruck im Mai "lösen" zu wollen, ist nicht mehr als ein frommer Wunsch. Ihre Warnung an Österreich, in Sachen Maut und Transit "keine einseitigen Lösungen zu treffen", klingt zynisch, gerade auch mit dem Zusatz, dass es sich am Brenner um eine "europäische Herausforderung" handle. Faktum ist: Die Kommission insgesamt steht hilflos und blamiert da. Sie fördert ein transnationales Projekt mit Milliardensummen und sieht doch tatenlos dabei zu, wie Deutschland und Italien bereits gemachte Commitments bewusst ignorieren.

Vertragsverfahren droht

Schon Mitte März wird EU-Rechnungshofkontrollor Herics der Verkehrskommissarin seine brisanten Infos zum Projekt persönlich mitteilen. "Es wird im Abschlussbericht bis zu zehn konkrete Empfehlungen geben", verspricht er. Brisant ist der Zeitpunkt seiner Intervention jedenfalls: Als Folge des Brexits wird das nächste EU-Budget um mindestens zwölf Milliarden Euro schrumpfen, der Verteilungskampf um die verknappten Fördermittel hat längst begonnen. Klar ist: Bei allen zukünftigen Förderzusagen will die EU mehr denn je den "EU-Mehrwert" im Mittelpunkt sehen und nicht nationale Interessenpolitik subventionieren.

Droht also im nächsten EU-Budget eine empfindliche Kürzung der versprochenen EU-Brenner-Gelder? Muss Österreich sein Tunnelbauwerk stoppen oder zumindest bremsen? Herics ist da überraschend offen. "Ausschließen würde ich gar nichts", sagt der Kontrollor, "denn schließlich werden hier viele Milliarden Euro nicht wirkungsvoll eingesetzt. Bis hin zu einem möglichen Vertragsverletzungsverfahren ist alles offen."

Der Artikel ist der trend-Ausgabe 9/2018 vom 2. März 2018 entnommen.

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k.A © trend/shutterstock
Wirtschaftspolitik

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