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„Es gibt Handlungsbedarf“

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AGATHA KALANDRA ist Vorstandsmitglied, Partnerin und Leiterin des Management-Consulting-Teams von PricewaterhouseCoopers Österreich. Sie verfügt über einen MBA in Controlling und Finance und mehr als 25 Jahre Berufserfahrung. Ihr Fokus liegt auf Finance-Transformation, HR-Transformation und Sustainability.
AGATHA KALANDRA ist Vorstandsmitglied, Partnerin und Leiterin des Management-Consulting-Teams von PricewaterhouseCoopers Österreich. Sie verfügt über einen MBA in Controlling und Finance und mehr als 25 Jahre Berufserfahrung. Ihr Fokus liegt auf Finance-Transformation, HR-Transformation und Sustainability.©Trend Michael Rausch-Schott
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Österreichs Unternehmen liegen bei der Vorbereitung auf die künftigen Anforderungen der ESG-Regulierung zurück, fürchtet PwC-Expertin Agatha Kalandra.

TREND: Wo stehen die österreichischen Unternehmen denn im internationalen Vergleich bei der Ausrichtung ihrer Geschäftsmodelle auf Nachhaltigkeit?
KALANDRA: Viele heimische Unternehmen haben recht spät damit begonnen, sich mit dem Thema ESG als Managementansatz zu beschäftigen. Bei zahlreichen Unternehmen gab es den CSR-Fokus „Tue Gutes und sprich darüber“ statt „Steuere und reporte deine ESG-Performance“. In Österreich hat man eher zugewartet, statt proaktiv zu handeln. Jetzt gibt es viele Fragezeichen. Das, was die EU-Taxonomie und auch die kommende nicht finanzielle Berichtspflicht nun tatsächlich bedeuten, kommt für einige schon ziemlich überraschend, es gibt Aha-Effekte. International wurde früher auf die Karte ESG gesetzt – im ­Gegensatz zum CSR-Zugang. Da hinken wir in Österreich nach.

Wenn wir uns Ihr soeben veröffentlichtes ESG-Ranking heimischer Unternehmen ansehen, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass etwas getan werden muss, oder?
Es gibt dringenden Handlungsbedarf. Wir haben uns bemüht, in unserem Ranking die neuen ESG-Rahmenbedingungen möglichst exakt abzubilden, um das deutlich zu zeigen. Wir müssen uns in Österreich dringend auf das Faktum vorbereiten, dass die ESG-Tauglichkeit ab dem Jahr 2028 mit hinreichender Sicherheit geprüft werden muss.

Wie werden diese Prüfungen oder Ratings ablaufen, und wer wird prüfen?
Darüber wird auf EU-Ebene noch diskutiert, da gibt es noch keine verabschiedete Festlegung. Wir gehen davon aus, dass die Prüfung durch unabhängige Dritte erfolgen muss, beispielsweise Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Man wird sehen, wer in Frage kommen wird.

Mit welchen Konsequenzen müssen Unternehmen rechnen, wenn sie nicht entsprechen?
Wer den Anforderungen nicht entspricht, wird Druck von seinen Kunden und Lieferanten spüren – bis zum Sinken der Wettbewerbsfähigkeit. Auch seitens der Investoren wird Druck kommen. Das kann so weit reichen, dass es bei Finanzierungen zu Risikoaufschlägen kommt. Investoren zu finden, wird schwerer. Und es wird wohl sogar zu Pönalezahlungen kommen. Wenn ab 2028 mit hinreichender Sicherheit geprüft wird und es dann keine positive Abschlussprüfung gibt – das wird keiner wollen. Ohne die Einhaltung der ESG­Vorgaben wird es nicht mehr gehen.

Gibt es angesichts dieser Schärfe einen gewissen Stress bei uns in Österreich, den Rückstand aufzuholen?
Den gibt es. Vor allem bei denen, die denken, sie sind regulatorisch nicht betroffen. Auch deren Kunden werden ESG-Konformität verlangen. Da bekommen die Unternehmen, auch die kleinen, nicht mehr viel Zeit. Gerade für im internationalen Vergleich Kleine wird es nicht leicht, die nötigen Datenstrukturen neben dem Daily Business aufzubauen und zu etablieren.

Wo hapert es besonders?
Angekommen ist inzwischen, dass das Thema Klima wesentlich ist. Doch die Komplexität ist vielen noch nicht bewusst. Dabei sind eine Reihe von Fragen zu beantworten: Wie sieht meine Nachhaltigkeitsstrategie aus? Wie kann ich das in die Unternehmensstrategie integrieren? Welche Prozesse muss ich aufsetzen, welche Schwerpunkte setzen? Was ist meinen Stakeholdern wichtig, wie muss ich die Transformation meines Unternehmens ansetzen? Wie entwickle ich mich weiter? Wie messe und dokumentiere ich? Nur das Nötigste zu tun, auf die böse Regulatorik zu schimpfen und einen schönen Bericht zu publizieren, das ist inzwischen zu wenig.

Ist das Thema in Österreich, wie Sie das ja empfehlen, inzwischen auf Toplevel angekommen?
Den CEOs ist das Thema inzwischen bewusst. Die Mentalität, dass das einfach irgendwo nebenbei mitgemacht werden kann, existiert allerdings immer noch. Da sind etwa Deutschland, Holland oder das United Kingdom schon sehr viel weiter. Ich empfehle dringend, entsprechende Strukturen zu schaffen und ins Bewusstsein aufzunehmen, dass es nicht mehr nur um ein paar Kennzahlen geht, sondern um tiefgreifende, komplexe Prozesse. Alle im Unternehmen müssen auf das Thema ESG eingeschworen werden.

Sie nennen die Lücke, wenn Worten nicht entsprechende Taten folgen, den „Say-Do-Gap“. Ist das in Österreich ein Thema?
Man muss sich im Klaren sein: Ab jetzt werden konkrete, ambitionierte Zielsetzungen, Kennzahlen, Datenpunkte, harte Fakten verlangt. Schöne Berichte reichen nicht. Das Governance-Thema etwa sehen wir bei so gut wie allen Unternehmen noch sehr schlecht abgedeckt, auch das Thema Lieferketten. Das Mindset fehlt, dass ESG in wirklich alle Bereiche integriert wird. Das Thema Biodiversität, eines der ganz großen Themen der Zukunft, kommt praktisch überhaupt noch nicht vor. In der Kommunikation nach außen können alle noch sehr viel besser werden. Marketinggetriebene Nachhaltigkeitsberichte genügen nicht mehr. Allerdings, um das zu relativieren: Unser aktuelles ESG-Ranking greift aus ­Gründen der Vergleichbarkeit auf Informationen aus dem Jahr 2021 zurück, da ist inzwischen einiges geschehen. 2022 hat sich viel bewegt. Ja, es gibt Aufholbedarf. Aber wir holen auch auf.

Biodiversität ist ein Schlagwort, das in den Medien immer häufiger fällt. Warum ist das bei den Unternehmen noch nicht angekommen?
Es ist in Zusammenhang mit ESG einfach noch nicht im Bewusstsein. Aber wie gesagt, das wird ein enorm wichtiges Thema. Wir sind als PwC gerade dabei, in Österreich dazu ein Competence Center aufzubauen, und arbeiten eng mit unseren niederländischen Kolleginnen und Kollegen zusammen, wo es so etwas bereits gibt.

Sehen Sie bei der ESG-Tauglichkeit österreichischer Unternehmen Unterschiede nach Branchen und Größen?
Das kann man so sagen. Telekom etwa liegt vergleichsweise gut. Auch der Pharma- und Health-Sektor, das kommt wohl vom internationalen Background. Sehr verwundert hat mich andererseits, wie groß der Rückstand in der Transport- und Logistikbranche ist. Da gibt es eine Reihe von Unternehmen, die überhaupt keine Datenlage zu ESG haben oder sie nicht transparent machen. Auch im Retail-Bereich sehen wir Aufholbedarf.

Wie schafft man es am besten, die ESG-Regeln, so wie die EU sich das wünscht, wirklich umfassend und über die gesamten Lieferketten zu berücksichtigen?
Das Wichtigste ist, Transparenz zu praktizieren. Die haben viele Unternehmen derzeit schlicht und einfach nicht, sie reporten auch nicht entsprechend. Wir empfehlen, sich da Support zu holen. Wir als Berater wissen sehr gut, wie man die nötigen Daten erhebt. Wir verfügen über die Methodik und können sie den Klienten mitgeben. Uns muss klar sein: Die Lieferketten ESG­konform zu machen, wird die große Thematik der kommenden Jahre.

In Deutschland kommt ein Lieferkettengesetz, in Österreich sind wir noch nicht so weit. Wie zufrieden sind Sie mit der Politik in Sachen ESG-Regulierung?
Das Wichtigste wäre, dass man die Interessenpolitik bei diesem Thema außen vor lässt. Was wir benötigen, sind Einigkeit und Geschwindigkeit. Genau das wünsche ich mir von der Politik. Das gemeinsame Verständnis, etwas bewegen und weiterbringen zu wollen, fehlt mir.

PwC ist ein großer internationaler Konzern – wie sieht es bei Ihnen mit ESG aus?
Bei uns arbeiten in Österreich 50 bis 60 Mitarbeiter daran, global eine vierstellige Zahl. Von der CEO-Ebene bis nach unten kommunizieren wir seit zwei Jahren klar, dass ESG unser wichtigstes Thema ist, dass es auf jeder CEO-Agenda in jedem Land steht. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben sich zu „Net Zero“ verpflichtet – also dazu, so viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen, wie wir produzieren. Und dass wir das bis 2030 erreichen.

Taten statt Worte

Vier Empfehlungen des internationalen Unternehmensberaters PwC für eine zukunftstaugliche ESG-Umsetzungsstrategie.

Vom „Nice-to-have“ zum „Must-have“: CSDD-Richtlinie.
Corporate Sustainability Due Diligence Directive – ein sperriger Name. Die EU regelt damit die Frage, wie weltweite Lieferketten sozial gerecht aufgestellt sind. Kinderarbeit, Menschenrechte – all das wird berücksichtigt. Unternehmen müssen sich vorbereiten. Roadmaps, Planungen, Gap- und Risikoanalysen sowie Umsetzungspläne sind nötig.

ESG-Themen sind CEO-Agenda.
„Tue Gutes und rede darüber“, das Grundprinzip bei unternehmerischen Corporate-Social-Responsibility-Aktivitäten, greift zu kurz. ESG-Themen werden zu einer Aufgabe im Verantwortungsbreich von CEOs oder von künftigen CSOs, also neu auf Vorstandsebene angesiedelten Corporate Sustainability Officers. Die gehören jedoch rechtzeitig gesucht und geschult.

Vorsicht vor dem „Say-Do-Gap“.
Klimaneutralität, Diversität, Menschenrechte, Gleichstellung, Korruptionsbekämpfung und mehr – die Liste ist lang. Bloße Listen reichen, wenn die ESG-Maßnahmen kontrolliert werden, aber nicht mehr. Was aufgelistet ist, muss dann auch mit Fakten belegt werden. CEOs, die sich nach der umfangreichen Präsentation ihrer ESG-Ziele zurücklehnen (man spricht vom „Say-Do-Gap“), könnten mit unruhigen Investoren konfrontiert sein.

Entkoppelung von gesellschaftlicher Entwicklung und Naturzerstörung.
Biodiversität wird eines der wichtigen Schlagworte der Zukunft sein, wenn es um das Thema ESG geht. Das in die Unternehmensstrategie und ins wirtschaftliche Handeln einzubetten, ist eine große Herausforderung für das Nachhaltigkeitsmanagement von Unternehmen in der Zukunft. Auch hier: Rechtzeitige Vorbereitung ist gefragt.

InterviewPwCESG im Finanzsektor
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