Herbert Diess ist mit 1. September 2022 vorzeitig als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG zurückgetreten. Ihm ist Porsche-Chef Oliver Blume gefolgt. Audi- und VW-Konzernvorständin Hildegard Wortmann im trend-Gespräch mit Andreas Weber über die Ablöse von Herbert Diess, lange Lieferzeiten und den Gamechanger autonomes Fahren.
Frau Wortmann, beginnen wir mit den Änderungen an der Spitze des VW-Konzerns: Was wird sich mit Porsche-Chef Oliver Blume jetzt ändern?
Das ist - am gefühlten Tag eins danach - noch schwer zu sagen. Es gibt immer den richtigen Spieler zur richtigen Zeit. Oliver Blume bringt mit Sicherheit alles mit, was wir jetzt brauchen, um unsere Strategie und den klaren Kurs der Elektromobilität fortzusetzen.
Herbert Diess war unbestritten ein Visionär, sein Führungsstil aber war umstritten.
Die Transformation, die wir gerade durchlaufen, ist wirklich ein großer Kraftakt. Der Volkswagen-Konzern ist ein Unternehmen mit mehr als 670.000 Mitarbeitenden, und diesen Tanker - wenn ich das so bezeichnen darf - zu drehen und neu auszurichten, ist nicht einfach. Dafür braucht man viel Mut, Kraft, Resilienz und Beharrlichkeit. Herbert Diess hat für die Transformation entscheidende Weichen gestellt.
Oliver Blume ist bereits der zweite Porsche-Chef innerhalb von nur sieben Jahren, der an die Spitze des Gesamtkonzerns aufrückt. Warum werden es immer die Porsche-Chefs?
(Lacht): Das kann ich Ihnen nicht sagen. Diese Frage müssen Sie den Aufsichtsratsmitgliedern stellen.
Kommen wir zu Ihrer Marke: Hat Audi den Dieselskandal schon zur Gänze bewältigt?
Die Dieselkrise gehört inzwischen zur Audi-Historie. Wir reden sie nicht schön und haben die unternehmerische Verantwortung dafür übernommen. Wir haben die Krise vor allem zur Erneuerung genutzt. Audi ist ein anderes, besseres Unternehmen geworden. Wir haben sämtliche Strukturen, Prozesse und Regelungen auf den Prüfstand gestellt und optimiert. Jetzt richten wir den Blick nach vorne. Ich finde es richtig, dass wir uns so konsequent der Nachhaltigkeit und der Elektromobilität verschrieben haben, um bewusst den Kontrapunkt zu setzen.
Ist der Dieselskandal bei den Kunden zur Gänze vergessen?
Im großen Teil, ja. Mit unserer Strategie Vorsprung 2030, dem konsequenten Wandel hin zu Elektromobilität und Nachhaltigkeit sowie unseren innovativen Produkten gewinnen wir verloren gegangenes Vertrauen unserer Kund*innen zurück.
Die Kunden ärgern heute andere Sachen, etwa lange Lieferzeiten bei den Elektroautos, oder?
Als Vertriebsvorständin erfreuen mich die langen Lieferzeiten natürlich auch nicht. Das entspricht nicht unserem Anspruch eines Premium-Kundenerlebnisses. Aber: Aufgrund der aktuellen Versorgungssituation sind lange Lieferzeiten eine Herausforderung, die die gesamte Industrie betreffen. Wir tun alles, um Kundenzufriedenheit herzustellen, und bieten verschiedene individuelle Lösungen an: Wir verlängern Leasingverträge, stellen Mobilität sicher und vieles mehr. Unsere Vertriebsmitarbeitenden setzen sich für jeden Kunden und jede Kundin ein. Die Porsche Holding hier in Österreich zum Beispiel bemüht sich um jedes einzelne Auto. Da steckt eine große Leidenschaft dahinter.
Wann kehrt in das Autogeschäft wieder Normalität ein?
Die Welt wird nie wieder so sein wie vor Corona, dem Krieg und all den anderen Krisen. Und dann ist die Frage: Was ist die neue Normalität? Mit Sicherheit wird uns der Chipmangel noch einige Zeit begleiten. Das Aufbauen von neuen Strukturen in Deutschland und Europa passiert nicht über Nacht, da braucht es grundsätzliche Veränderungen, die wir jetzt vorantreiben.
Ist das nicht bitter, weil sich die Autoindustrie global gerade sehr schnell Richtung "Apple auf Rädern" entwickelt?
Es wird in Zukunft mehr darum gehen, was man im Auto erlebt. Der Innenraum des Autos erhält durch die Möglichkeit des teilautomatisierten und automatisierten Fahrens derzeit eine ganz neue Bedeutung. Unsere Mitarbeitenden im Design entwickeln jetzt die Fahrzeuge von innen nach außen. Dadurch entstehen auch ganz neue Geschäftsmodelle, neue Ideen, aber auch neue Erwartungen der Kund*innen. Und die gilt es frühzeitig zu antizipieren.
Wann wird autonomes Fahren serienreif?
Schon heute bieten eine Vielzahl an Assistenzsystemen Unterstützung für ein sicheres Fahrerlebnis. Es geht Schritt für Schritt voran. Um den Arc de Triomphe wird man im nächsten Jahr sicherlich noch nicht vollautomatisiert fahren können. Aber der technologische Wandel ist schnell, Ende des Jahrzehnts werden wir deutliche Fortschritte sehen. Aus Kundensicht geht es auch immer mehr darum, wie die Zeit im Auto sinnvoll genutzt werden kann. Sie werden in Zukunft während einer Fahrt Serien schauen, arbeiten können und vieles mehr.
Welche neuen Geschäftsmodelle werden entstehen?
Stärker als bisher ist nicht allein das Produkt ausschlaggebend, sondern das Kundenerlebnis. Von daher schaffen wir ein digitales und ganzheitliches Ökosystem: vom Laden, Navigieren, Parken, Bezahlen bis hin zur vorausschauenden Wartung und vielem mehr. Geplant sind eine Reihe fahrzeugbezogener Services, die zum Lifestyle unserer User*innen passen und auch Themenbereiche wie Mobilität und Energie abdecken. Das automatisierte Fahren wird hier der Gamechanger sein - auch für neue Mobilitätsdienstleistungen.
Wie sehr nervt Sie das Wort Tesla?
Gar nicht. Tesla hat in unserer Industrie für einen Umbruch gesorgt und an vielen Stellen gute Impulse gesetzt. Der Wettbewerber ist aber auch schon seit 15 Jahren im Markt, also kein Start-up mehr. Es gibt bereits die nächsten, die nachrücken: chinesische Hersteller, ein mögliches Apple-Car, etc. Es befindet sich eine Reihe von neuen Playern am Markt. Außerdem müssen wir uns ansehen, welche Services und Dienstleistungen die Tech-Giganten entwickeln und anbieten. Auch die müssen wir im Auge behalten.
Das heißt, für den gesamten VW-Konzern ist es überlebensnotwendig, die Software-Tochter Cariad rasch auf die Reihe zu bringen. Wegen der Probleme dort musste Herbert Diess ja auch gehen.
Softwarezentrierte Entwicklung ist für jeden Hersteller mit Sicherheit die größte Herausforderung. Das wird nicht über Nacht gehen. Das sind komplett neue Fähigkeiten, die gelernt und angewendet werden müssen. Das ist Teil der Transformation. Mit Cariad bündeln wir die Software-Kompetenzen im Konzern. Das ist der richtige Weg. Schon jetzt sind dort mehr als 5.000 Mitarbeitende beschäftigt. So können wir auch in der Software-Entwicklung von Skaleneffekte profitieren.
Bei den Zulassungszahlen für Elektroautos in Deutschland sieht es aktuell so aus: Nummer eins ist der Fiat 500, Nummer zwei der Tesla 3. Wie sehr schmerzt diese Statistik?
Wir haben nach wie vor Herausforderungen in der Lieferkette, das ist kein Geheimnis. Wir haben noch immer einen sehr hohen Auftragsbestand, den wir konsequent abarbeiten. Daher können wir unser Potenzial am Markt derzeit nicht vollständig realisieren.
Sie sitzen auch im Aufsichtsrat der Porsche Holding Salzburg, des größten Autohändlers Europas, Österreichs zweitgrößten Unternehmens und wichtiger Säule im VW-Konzern. Wie ist Ihr Verhältnis zu den Salzburgern?
Das direkte Feedback, das ich von Hans Peter Schützinger und seinem tollen Team erhalte, ist sehr wertvoll für die Vertriebsarbeit, ja für fast alle Bereiche im Unternehmen bis hin zur Produktentwicklung. Durch diesen Reality-Check haben wir die Möglichkeit, Trends sehr früh zu erkennen und gegenzusteuern.
Braucht es in Zukunft noch klassische Händler, wenn ich Fahrzeuge auch online bestellen kann?
Das ist kein Entweder- oder, unsere Kund*innen werden einfach mehr Möglichkeiten haben. Unser Job ist es, die Bedürfnisse zu erfüllen. Wann immer unsere Kund*innen mit der Marke in Kontakt kommen, brauchen wir das richtige Angebot, die richtige Ansprache - ob das digital oder physisch, ob das online oder offline ist. Der Handel hat sich auch schon auf den Wandel eingestellt.
Kommen wir zum Schluss noch zu Persönlichem: Sie wurden gerade in einem Porträt des "Manager Magazin" als "maximal hart und im Zweifel gnadenlos" beschrieben. Wie würden Sie selbst Ihren Führungsstil beschreiben?
Die vielen männlichen Chefs, die ich in meiner Automobilzeit hatte, haben an mir eigentlich immer kritisiert, dass ich zu nett sei. Aber ich glaube nicht, dass es um nett oder nicht nett geht. Was Führung heutzutage ausmacht, sind Klarheit, Ehrlichkeit und Transparenz. Klarheit gibt Orientierung, auch wenn die Richtung vielleicht nicht jedem gefällt. Ein respektvoller und wertschätzender Umgang miteinander setzt voraus, dass man ehrlich und klar zueinander ist. Ich habe aus der Wiege mitbekommen, dass man mit Menschen nur so umgehen soll, wie man selbst behandelt werden will. Das versuche ich, jederzeit zu leben.
Gibt es unterschiedliche Führungsstile zwischen Männern und Frauen?
Das ist keine Genderfrage. Es gibt fantastisch führende Frauen und Männer. Es ist immer eine Frage, welches Führungsleitbild man sich für sich selbst definiert hat. Es gibt vielleicht gewisse Attribute, die zugeordnet werden. Was bei einem Mann als Durchsetzungskraft interpretiert wird, mag bei einer Frau als Härte ausgelegt werden. Das sind aber Klischees.
Haben Sie ein ultimatives Karriereziel?
Nein, das hat es nie gegeben. Ich habe entgegen all den Vermutungen auch nie das Ziel gehabt, Vorstand zu werden. Mich hat immer das Streben nach Unabhängigkeit angetrieben, das schließt eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit mit ein. Dinge passieren oder passieren nicht. Hätten Sie mir vor einem halben Jahr gesagt, dass ich einmal VW-Konzernvorständin werde, hätte ich Ihnen nicht geglaubt. Solche Jobs unterliegen einer gewissen Dynamik. Von daher ist es umso wichtiger, eine persönliche Stabilität zu entwickeln, um damit umzugehen. Und das lernt man im Lauf der Jahre.
Frau Wortmann, wir danken für das Gespräch.
Zur Person
Hildegard Wortmann, geb. 1966, ist die erste Vorständin bei Audi. Sie leitet seit 2019 Vertrieb und Marketing und ist seit Anfang des Jahres auch im VW-Konzernvorstand vertreten. Die Managerin kam von BMW, sie war maßgeblich am Relaunch von Mini beteiligt. Das Gespräch fand Ende Juli 2022 beim "Salzburg Summit" statt.
Audi in Zahlen
Trotz Chipmangel erzielte Audi im ersten Halbjahr 2022 ein Rekordergebnis: Die Erlöse stiegen auf 29,9 Mrd., das operative Ergebnis betrug 4,9 Mrd. Euro. Es wurden 797.587 Autos ausgeliefert, 20 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Das Interview ist der trend. EDITION Ausgabe, August 2022 entnommen