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„Die Pandemie hat uns ein neues Denken gelehrt“

Harald Klöckl. In Kooperation mit Schiefer Rechtsanwälte.
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8 min

Schiefer Rechtsanwälte

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Vergaberecht. Rechtsanwalt Martin Schiefer und seine 35 Mitarbeiter wirken erfolgreich darauf hin, dass öffentliche Beschaffung als Tool zur Innovation eingesetzt wird.

trend.: Sie sind seit über 20 Jahren auf Vergaberecht spezialisiert. Warum gibt es in diesem Feld offenbar so viel zu tun?

Martin Schiefer: Das Vergaberecht in seiner Rolle als Lenkungsinstrument wird vielfach noch unterschätzt. Viele sehen in Vergabeverfahren und Ausschreibungen bloß gesetzlich festgelegte Richtlinien. Doch das Ver­gaberecht bietet Gestaltungsspielräume, die in der gesamten Wirtschaft Impulse setzen können.

Impulse welcher Art können das sein?

Der öffentliche Auftraggeber kann damit Innovation, Nachhaltigkeit, Regionalität und vieles mehr fördern. Er sollte die ESG-Kriterien nutzen und so Vergabeverfahren als starke Lenkungsinstrumente einsetzen: Die jeweiligen Projekte werden ESG-konform umgesetzt, die Auftragnehmer haben einen Anlass und mit dem Auftrag ein Businessmodell, um umwelt- und ressourcenschonend zu produzieren und zu liefern. Zudem haben öffentliche Ausschreibungen immer einen Abstrahleffekt und eine Vorbildfunktion – auf Großkonzerne, auf Entwicklungen, auf die Wirtschaft und die Industrie.

Ist die Beschaffung nicht ein sehr formalisierter und starrer Prozess, und das zu Recht, weil eben Steuergeld fließt?

Die öffentliche Beschaffung will keine Fehler machen und muss ­natürlich transparent sein, etwa die Beurteilungsmaßstäbe des Rechnungshofes einhalten. Doch das Umfeld der Öffentlichen Hand muss sich auch etwas trauen. Sie soll, symbolisch gesagt, mehr Elbphilharmonien bauen, das soll heißen, der Preis allein soll nicht das Kriterium sein, sondern auch der Mehrwert, die Umwegrentabilität.

Wo ist die heimische Verwaltung schon innovativ genug?

Etwa im Gesundheitssystem. Da wurden während der Corona-Beschränkungen mit Hilfe eines Start-ups Videokonsultationen ermöglicht, etwas, das vorher undenkbar war. Das österreichische Gesundheitssystem ist unglaublich komplex, das werden wir nicht von einem Tag auf den anderen radikal ändern. Mit der Digitalisierung und mit E-Health-Anwendungen können wir dessen ­Effizienz aber wesentlich steigern. Die Pandemie hat uns auch hier ein neues Denken gelehrt, sie hat agile Projekte einfacher gemacht.

Welche ist Ihre Rolle als Rechtsanwalt dabei?

Welche der beiden Seiten – die ausschreibenden öffentliche Hand oder die Unternehmen – vertreten Sie gewissermaßen? Als Kanzlei sind wir die Schnittstelle zwischen den österreichischen Unternehmen und der Öffentlichen Hand. Wir geben Stellungnahmen im Gesetzwerdungsprozess ab, machen uns Gedanken, tauschen uns mit Stakeholdern aus. Wir übersetzen die Wünsche der Auftraggeber für den Markt, für die Unternehmen, auch für Start-ups, denn letztere sind in der ­Beschaffung benachteiligt.

Warum sehen Sie Start-ups hier benachteiligt?

Weil sie viele formale Kriterien nicht erfüllen können, etwa die nötigen Referenzen, oder weil sie mit dem vielen Formalitäten nicht umgehen können. Manche Start-ups sehen die Gefahr, ihre Idee zu verlieren, sobald eine Ausschreibung läuft, für die sie die maßgeschneiderte Lösung haben. Wir als Kanzlei müssen diese zwei Welten in Einklang bringen, es braucht ein klares Regelwerk auch für Start-ups in der Beschaffung. Start-ups und Verwaltung müssen reden, die klassischen Vergabeverfahren, die nur über Papier laufen, geben das nicht her. Auch die ­Öffentliche Hand kann Ausschreibungen so gestalten, dass man auf Augenhöhe kommunizieren darf. In der IKT und im Bauwesen beginnt das schon.

Stichwort Bauwesen: Preissteigerungen bei Material, Lieferschwierigkeiten und nicht zuletzt der Krieg gegen die Ukraine bringen allerorts Bauprojekte ins Wanken. Mit welchen Folgen?

Seriöse Preiskalkulationen sind vielfach kaum mehr möglich, Unternehmen können und wollen manchmal die Bedingungen öffentlicher Ausschreibungen nicht mehr erfüllen. Speziell die Folgen des Ukraine-Kriegs waren im ersten Moment nicht sichtbar, zudem fordern die Sanktionen gegenüber Russland sowohl rechtlich als auch moralisch ein angemessenes Handeln. In der Praxis zeigt sich, dass diese Themen jedenfalls zum Gegenstand der „Corporate Compliance“ zu machen sind.

Zurück zum Aspekt Innovation: An welchen Schrauben soll die öffentliche Hand drehen?

Um Österreich zu einem Land der Innovationen zu machen, ist Forschungsförderung allein zu wenig. Vergabeverfahren können Innovationen auf zwei Ebenen vorantreiben: Zum einen besteht die Option, die Kriterien forschungsaffin zu definieren, mittels geforderter Forschungsquoten, Investitionen in Forschung und Entwicklung, bis hin zu Start-up-Engagements. Zum anderen gibt es im Vergaberecht seit einiger Zeit sogenannte Innovationspartnerschaften, eigene Verfahren, wo der Auftraggeber und der Auftragnehmer sich zu einer Idee committen, zu einem Projekt. Dieses deckt den Bedarf des Auftraggebers, und der Auftragnehmer kann etwas Neues entwickeln, das sofort umgesetzt wird.

Stratege und Legal-Influenzer

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Martin Schiefer, Rechtsanwalt bei Schiefer Rechtsanwälte

 © Studio Koekart
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