Mit der Beschaffung verfügt die öffentliche Hand über einen Hebel, den sie noch stärker im Sinne von Nachhaltigkeit und Regionalisierung einsetzen sollte, meint Martin Schiefer.
trend.: Sie beschäftigen sich als Rechtsanwalt mit einem mittlerweile 40-köpfigen Team seit mehr als 20 Jahren überwiegend im Auftrag von Gebietskörperschaften mit Vergaberecht, haben neben der Kanzlei in Wien auch Standorte in St. Pölten, Graz, Salzburg und Klagenfurt. Wächst die Kanzlei weiter?
Martin Schiefer: Davon gehe ich aus, nicht nur aus unternehmerischem Optimismus, sondern weil die Gestaltungsmöglichkeiten des Vergaberechts lang nicht entsprechend genützt wurden und es immer noch sehr viel Spielraum gibt. In der Vergangenheit spielten umweltbezogene und nachhaltige Kriterien bei Beschaffungen meist nur eine untergeordnete Rolle bei der Ermittlung der Bestbieter, das ändert sich aber rasant. Wir gestalten Vergabeverfahren für Bund, Länder und Gemeinden in ganz Österreich, für jede Ausschreibung ist nunmehr eine profunde Strategie nötig, und da kommen immer öfter wir ins Spiel.
Der Markt für Vergabespezialisten unter den Rechtsanwälten ist also groß genug?
Öffentliche Aufträge haben österreichweit zuletzt ein Volumen von rund 62 Milliarden Euro im Jahr oder 18 Prozent des BIPs ausgemacht. Man kann Vergaben also mit Recht als eine der treibenden Kräfte der österreichischen Wirtschaft bezeichnen. Für öffentliche Unternehmen ist es auch im Sinne der regionalen Wertschöpfung ein wichtiger Aspekt, regional ansässige Rechtsanwälte für Beratungsdienstleistungen heranzuziehen. Für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge zum Beispiel gibt es oft mehrere mögliche Partner. Das gemeinsame Ziel von uns und unserem Auftraggeber ist, dass der wirklich beste Anbieter zum Zug kommt, damit der Geruch von Freunderlwirtschaft erst gar nicht aufkommen kann.
Was sind die Kriterien für den besten Anbieter?
Hier hat sich bei den Auftraggebern das Mindset in Richtung ganzheitlicher Betrachtung erweitert. Mit Vergaben können gesellschaftlich oder gesetzlich erwünschte Entwicklungen vorangetrieben werden. Etwa Umweltaspekte, generell Nachhaltigkeit oder CSR-Kriterien. Mit jeder einzelnen Ausschreibung kann eine Körperschaft diese Aspekte fördern, zum Beispiel zur Energiewende beitragen. Mit Ausschreibungen kann die öffentliche Hand bei der Beschaffung Anreize zu innovativen Produkten und Leistungen in Richtung von Unternehmen jedes Alters und jeder Größe aussenden. Innovative Ideen entstehen nicht nur in Konzernzentralen, sondern auch in KMU und Start-ups. Durch Markterkundung erhalten öffentliche Auftraggeber eine Übersicht über das verfügbare Angebot und können auch Marktlücken entdecken. Die Gestaltung der Ausschreibungen spielt eine entscheidende Rolle, KMU und Start-ups müssen aktiv integriert und angesprochen werden, um innovative, langfristige und nachhaltige Lösungen zu finden.
Sind diese Ziele bzw. Effekte von Vergaben unter den seit einigen Monaten veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Stichwort Inflation, öffentliche Finanzen, noch ebenso starke Argumente?
Seit der Coronapandemie steht die heimische Wirtschaft zweifellos stark unter Druck, aber Probleme wie Fachkräftemangel und Klimawandel waren schon vorher da, diese werden uns länger beschäftigen als die hohe Inflation und der Krieg gegen die Ukraine. Dieser Krieg hat uns zudem wieder vor Augen geführt, dass zuverlässige Lieferketten für die Wirtschaft lebenswichtig sind, sowohl auf regionaler als auch auf internationaler Ebene. Mehr Kreislaufwirtschaft im Land selbst sehen viele Experten und auch wir als eine der Antworten auf diese externen Herausforderungen, also weniger Wegwerfen, stattdessen mehr Recycling, mehr Sharing, mehr Reparatur. Als Lenkungsinstrument verstanden, kann das Vergaberecht die Zukunft positiv beeinflussen. Die Antwort auf die steigende Inflation muss eine neue Form der Partnerschaft sein, in der dieses Risiko nicht mehr allein vom Auftragnehmer getragen werden darf. Das heißt, dass in solchen Fällen der Auftragnehmer seine Leistung nicht mehr auf Punkt und Beistrich erbringen muss, koste es, was es wolle. Dazu braucht es unter anderem neue Vertragsmodelle im Vergaberecht sowie eine gute, gründlich ausgearbeitete Strategie.
Stoßen Sie immer auf ungeteilte Zustimmung bei den Auftraggebern, wenn Sie – vereinfacht gesagt – mehr Umweltkriterien in die Ausschreibungen reklamieren?
Auftraggeber müssen schon jetzt nach geltender Rechtslage bei Beschaffungen Umweltfaktoren der Leistung berücksichtigen. Bei der Beschaffung von Straßenfahrzeugen sind zum Beispiel betriebsbedingte Energie- und Umweltkriterien zu berücksichtigen. Die Green Vehicle Directive schreibt bestimmte Prozentsätze an „sauberen Fahrzeugen“ vor. Zudem sind wichtige öffentliche Auftraggeber bei gewissen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen verpflichtet, Energieeffizienz einzufordern. Mit Nachhaltigkeit und Regionalität lassen sich Gemeinden und Regionen per Ausschreibungen wesentlich stärken. Etwa indem mit öffentlichen Aufträgen regionale Unternehmen die Möglichkeit erhalten, sich weiterzuentwickeln. Wenn jene Unternehmen, die CSR ernsthaft umsetzen, bessere Chancen bei der Auftragsvergabe haben, so schaffen sie sich einen echten Wettbewerbsvorteil, und CSR wird damit zum Business Case, der auch positive Signale an die anderen privaten Marktteilnehmer aussendet.
Welche Rolle spielt die Taxonomie-Verordnung der EU?
Sie bietet jetzt immerhin ein einheitliches Klassifizierungssystem für nachhaltige ökonomische Aktivitäten. Mit der Taxonomie-Verordnung haben öffentliche Auftraggeber endlich die notwendigen Instrumente, um bestimmte Vergaben nach einheitlichen ökologischen und nachhaltigen Standards zu bewerten. Allerdings fehlt eine unmissverständliche Definition des Begriffs Nachhaltigkeit. Erfreulich ist jedenfalls, dass immer mehr ESG-Kriterien, also über die Umwelt hinaus auch soziale Kriterien sowie Kriterien der verantwortungsvollen Unternehmensführung, in die Strategiepläne der öffentlichen Hand einfließen. Schwerpunkte wie Regionalität, kurze Lieferketten und nachhaltiges Wirtschaften in den Ausschreibungen tragen auch zum Klimaschutz bei. Regionale Beschaffungen können helfen, den CO2-Ausstoß nachhaltig zu reduzieren, Vorgaben zur Kreislaufwirtschaft und zu Cradle to Cradle sparen wertvolle Rohstoffe ein, Sorgfaltspflichtvorgaben entlang der Lieferketten können globale Umweltbelastungen reduzieren. Und nicht zuletzt kann die Beschreibung der zu beschaffenden Leistung selbst nachhaltig sein, wie zum Beispiel durch die Vermeidung von Bodenversiegelung, die Vorgabe von Niedrigstenergiestandards und hocheffizienten Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen oder die Nutzung alternativer Energiequellen.
Ist ein Vergaberecht mit Nachhaltigkeitskriterien ein ausreichend großer Hebel im Kampf gegen den Klimawandel?
Es ist ein enger Schulterschluss zwischen Politik, Wirtschaft und öffentlichem Beschaffungswesen nötig. Die gesetzlichen Möglichkeiten für mehr Nachhaltigkeit in der Beschaffung sind im Wesentlichen vorhanden, aber der Wille der einzelnen Akteure, diese zu berücksichtigen, ist oft enden wollend. Mit Ausschreibungen entscheiden Bund, Länder und Gemeinden somit die Zukunft mit, und deshalb muss die öffentliche Hand mit ihren Aufträgen und Vergaben eine Vorreiterrolle einnehmen.