Mit 5. März wurden für die heimische Tourismusbranche außerhalb Wiens nach zwei Jahren nahezu alle Corona-Schutzmaßnahmen aufgehoben. Der Krieg in der Ukraine dämpft jedoch die Erwartungen auf eine baldige Rückkehr zur Normalität.
Entwicklung des Tourismus bis zur Corona-Pandemie
Das Jahr 2019 ist der österreichischen Tourismusbranche noch in bester Erinnerung. Nach vielen Jahren des stetigen Wachstums gab es mit 152,7 Millionen Nächtigungen wieder ein neues Rekordjahr. Die Branche konnte insgesamt Einnahmen von 37,43 Milliarden Euro verbuchen - um weitere 1,65 Milliarden mehr als im Jahr davor. Die direkten Wertschöpfungseffekte des Tourismus lagen bei 21,69 Milliarden Euro, was einem Anteil von 5,5 Prozent an der Gesamtwertschöpfung entsprach.
Alles war angerichtet für weitere Rekorde. Vom Neusiedlersee bis zum Bodensee rechnete man fix damit, dass der Aufwärtstrend auch im nächsten Jahr weiter anhalten würde. In Wien sollten alleine in der anstehenden Ballsaison 520.000 tanzfreudige Gäste 151 Millionen Euro auf den Parketten liegen lassen. Die Wintertourismus-Gebiete, besonders konzentriert in den Bundesländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg, hatten nach Rekorden bei Nächtigungs- und Gästezahlen hunderte Millionen investiert. 72,9 Millionen Nächtigungen in der Wintersaison 2018/19 hatten ein Nächtigungs-Plus von 1,5 Prozent bedeutet, 20,4 Millionen Gäste ein Plus von 2,9 Prozent bei den Gästezahlen. Und die Seilbahnbranche, in der Ende 2019 in Österreich 17.000 Menschen direkt und weitere 109.000 indirekt durch Partner und Dienstleister beschäftigt waren, hatten 754 Millionen Euro in die Infrastruktur in Österreichs Bergen investiert.
Die Investitionen begannen sich schnell zu rechneten. Trotz eines bis dahin recht schneearmen Winters zog die Branche Ende Februar 2020 eine zufriedene Zwischenbilanz. Die Übernachtungen hatten von November 2019 bis Jänner 2020 massiv zugelegt. Auf ohnehin bereits sehr hohem Niveau gab es weitere Nächtigungszuwächse von 5,3 Prozent auf knapp 12 Millionen in Tirol, von 7 Prozent auf 7,2 Millionen in Salzburg und von 5,4 Prozent auf 4,2 Millionen in Wien. In Summe hatte man in den ersten drei Wintermonaten bereits 33,46 Millionen Nächtigungen und 9,9 Millionen Gäste gezählt.
Dann aber schwappte die Corona-Pandemie auf Europa über und Österreichs Wintersport-Zentren standen plötzlich wegen ganz anderer Nachrichten im Mittelpunkt. Skigebiete, Hotels und andere Beherbergungsbetriebe wurden - sehr zum Leidwesen der Betreiber - auf Geheiß der Bundesregierung geschlossen. Gäste mussten ihre Urlaube abbrechen und die Heimreise antreten.
Ischgl und einige andere Wintersport-Zentren galten plötzlich nicht mehr als Wintersport-Hotspots sondern als Corona-Hotspots. Sie standen stattdessen in der Kritik, die Lage nicht ernst genommen und Gäste aus Gewinnsucht der tödlichen Gefahr einer COVID-19-Infektion ausgesetzt zu haben.
Corona-Blackout im Tourismus
In den folgenden Monaten breitete sich die Corona-Pandemie auf ganz Europa aus. Es kam zu nahezu flächendeckenden Lockdowns, die das Tourismus-Geschäft fast komplett zum Erliegen brachten. Im März 2020 lag das Nächtigungs-Minus gegenüber dem Traum-Jahr 2019 bereits bei 59 Prozent, im April bei 97% und im Mai bei 90%. Bis zum Juli 2020 hatte sich die Zahl der Nächtigungen trotz intensiver Werbungen für einen sicheren Sommer-Urlaub in Österreich fast halbiert.
Und der Stillstand dauerte an. Auch 2021 war die Corona-Krise noch nicht ausgestanden. Die Nächtigungszahlen gingen gegenüber dem ersten Corona-Jahr noch weiter zurück. Der vorläufigen Schätzung der Statistik Austria zufolge auf rund 79,6 Millionen Nächtigungen, was gegenüber dem Höchststand von 2019 ein Minus von 48 Prozent bedeutet. Ende 2021 hatte man zwar bereits einigermaßen gelernt, mit der Corona-Pandemie umzugehen und mit Präventionskonzepten und unter Einschränkungen wie 2-G-Pflicht und FFP2-Masken die Betriebe wieder zu öffnen, in der Gastronomie und den Beherbergungsbetrieben lag das Geschäft aber immer noch rund 37% unter dem des Jahres 2019.
Staatlicher Rettungsring
Unter normalen Umständen hätte ein solcher, fast zwei Jahre andauernder Geschäftseinbruch zahlreichen Unternehmen Kopf und Kragen gekostet und sie in die Insolvenz getrieben.
Gleich zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns am 16. März 2020 gab die Bundesregierung aber die Erklärung ab, die Betriebe bedingungslos zu unterstützen und - "koste es, was es wolle" - mit verschiedensten Hilfsmaßnahmen durch die Pandemie zu tragen. Ein Versprechen, das mit Kurzarbeit-Regelungen, Kreditabsicherungen, steuerlichen Erleichterungen und großzügigen finanziellen Zuschüssen eingehalten wurde.
Die Folge war, dass die Branche, der in Österreich knapp 55.000 Unternehmen angehören, erstaunlich gut durch die Krise gekommen ist. Gerhard Wagner, Geschäftsführer der KSV1870 Information GmbH: "Wir hatten eigentlich damit gerechnet, dass sich die Bonität in der Pandemie schlechter entwickelt. Das ist in der Form nicht eingetreten."
In hohem Maß dafür ausschlaggebend war der Umsatzersatz von 80 Prozent der Umsätze aus dem Jahr 2019. "Alle, die vor der Pandemie ein sauberes Belegwesen geführt haben sind sehr gut durch die Krise gekommen. Diejenigen, die zuvor an der Finanz Belege vorbeigeschwindelt hatten, bekamen Probleme, weil der Umsatz nicht vollständig abgebildet war", weiß Wagner, der das Gießkannen-Prinzip, mit dem die Fördermaßnahmen auf die Betriebe ausgeschüttet wurden, durchaus kritisch sieht. "Es wird die Geschichtsschreibung entscheiden, ob das wirtschafts- und sozialpolitisch die richtige Maßnahme war", meint er.
KSV1870-Analyse: Bonitätsstarke Branche
Die Unterstützungen der Bundesregierung hatten nämlich auch den seit vielen Jahren natürlichen Marktbereinigungsprozess in der Gastronomie unterbrochen. Die Zahl der Betriebe ist nämlich auf einem relativ stabilen Level. Schließungen oder Insolvenzen von Betrieben werden durch Neugründungen ausgeglichen. "Das hat sich durch die Maßnahmen der Regierung in einen „Freeze“ verwandelt", meint Wagner
Ein Beleg dafür ist die Zahl während der Pandemie neu gegründeten Betriebe. Trotz der Krise wurden 2020 und 2021 rund 6.300 Firmen gegründet, die touristisch tätig sind, was etwa 12% der aktuell aktiven Firmen entspricht. Wagner: "Hier haben offenbar viele die Förderungen noch genutzt. Nicht jeder Vorwurf, dass sich manche auf Kosten der Allgemeinheit saniert haben, ist falsch. Vereinfachte Pauschalierungen kann man zwar nicht machen, aber es gibt Fälle, in denen es offensichtlich ist. Um es mit anderen Worten zu sagen: Nicht alle Bilanzen haben sich so entwickelt, wie man es während einer Pandemie hätte erwarten können."
Der überwiegende Teil der Tourismusbetriebe (im Gastgewerbe 80%, bei den Freizeitbetrieben 86%) hat die wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen der Regierung während der Corona-Pandemie in Anspruch genommen und in der Branche gibt es die weit verbreitete Zustimmung, dass diese Unterstützungsmaßnahmen ausschlaggebend waren, dass die Tourismusbranche gut durch die Krise gekommen ist.
"Das Bonitätsrisiko der Branche ist unterdurchschnittlich und hat sich im historischen Verlauf auch in der Corona-Pandemie nicht verschlechtert", liest Günther Fasching, Prokurist der KSV1870 Information GmbH, aus den Daten der Gläubigerschützer. Über drei Viertel (76%) der insgesamt 55.000 Betriebe - sind Kleinst-Unternehmen zuzuordnen und ein ähnlich hoher Anteil der Unternehmen erfreut sich bester Bonität (siehe Grafik).
Hohe Investitionsbereitschaft in Österreichs Tourismus
Ein weiterer Ausdruck der guten Bonität der Branche ist die hohe Investitionstätigkeit der Branche - auch während der Pandemie. "Es war generell zu bemerken, dass die Betriebe die Zeit genutzt haben, um zu investieren und umzubauen. Viele Fremdenzimmer und Pensionen wurden ausgebaut und renoviert. Die Professionisten und Handwerker - Tischler, Installateure usw. - waren dermaßen ausgelastet, dass es zu gewaltigen Vorlaufzeiten gekommen ist. Die Betriebe haben die Zeit, in der keine Gäste vor Ort waren genutzt und sind aufgrund der Fördermaßnahmen gut durchgekommen", resümiert Fasching.
Mit ein Grund dafür waren die durch die Haftungsübernahmen des Bundes abgesicherten Finanzierungen. Fasching: "Alleine im Jahr 2020 hat der Staat Haftungen im Wert von über eine Milliarde € übernommen. Die Betriebe sind daher dank dieser Maßnahmen trotz ausbleibender Gäste sehr gut durchgekommen."
Die Investitionsbereitschaft der Touristiker ist bis zuletzt hoch geblieben, auch weil Kredite nach wie vor günstig sind und auch die in den vergangenen Monaten gestiegene Inflation daran nichts geändert hat.
Neue Risiken: Ukraine-Krieg, Inflation und Energiepreise
Grundsätzlich, kommen die KSV-Experten zum Schluss, ist Österreichs Tourismus-Branche gut durch die Pandemie gekommen. Sie hat die Gelegenheit genutzt, um zu investieren und sich darauf vorbereitet, dass das Geschäft wieder laufen kann.
Alles wäre also angerichtet für einen Neustart zwei Jahre nach Beginn der Pandemie - wenn da nicht das neue, unwägbare Risiko des Krieges in der Ukraine und die damit in Zusammenhang stehenden jüngsten, teils sprunghaften Teuerungen vor allem bei den Energiepreisen wären.
Russische Touristen gehörten in den vergangenen Jahren in vielen heimischen Tourismusgebieten zu den zahlungskräftigsten Gästen. Einige Regionen Österreichs hatten sich stark auf sie fokussiert. Wie lange es dauern wird, bis Russen wieder nach Österreich kommen, um hier ihren Urlaub zu verbringen, ist angesichts der aktuellen Lage und der Sanktionen gegen Russland schwer abschätzbar. Auch ist noch nicht abschätzbar, inwiefern sich weitere internationale Touristen vom Krieg in der Ukraine vor Reisen nach Österreich abschrecken lassen und das Tourismus-Geschäft dadurch beeinträchtigt wird.
Die KSV-Experten sind sich zwar einig, dass die Menschen auf der ganzen Welt nach zwei Jahren Pandemie danach dürsten, wieder reisen zu können und die erste Chance dafür nützen werden, sie sehen es unter den aktuellen Umständen aber als besondere Herausforderung, die Gäste bald wieder im gleichen Maß nach Österreich zu holen wie vor der Pandemie. "Vor allem die Bereiche, die stark auf den internationalen Tourismus gesetzt hatten, müssen schauen, dass das Geschäft rasch wieder ins Laufen kommt. Neue Märkte schaffen", meint Fasching. Auf lange Sicht könne man nicht auf Stammklientel oder Alternativklientel verzichten.
Und Wagner sieht die stark gestiegenen Energiepreise als zusätzliche Herausforderung: "Das ist ein spannendes Thema. Heizen, Strom und Treibstoff bekommen mit den Preissteigerungen eine wesentliche Komponente in den Haushaltsplänen der Konsumenten. Wenn die Energiepreise weiter steigen, dann wird das richtig heikel und die Inflation schlägt zudem genau beim Konsum der von der Tourismuswirtschaft erbrachten Dienstleistungen ein."