"Wir werden bald keine Autos mehr besitzen", sagt Innovationsstratege Mario Herger, Autor des Buches "Der letzte Führerscheinneuling" im trend-Interview. Der Experte für autonomes Fahren gibt einen Ausblick auf die Zukunft der selbstfahrenden Autos und der Robotaxis.
Robotaxis, die Revolution der Mobilität
Die technologische Entwicklung der autonomen Fahrsysteme schreitet im Eiltempo voran. In einigen Städten der USA sind bereits fahrerlose Robotaxi-Flotten unterwegs. Diese Robotaxis, die vollkommen autonom. ohne Lenkrad und ohne Fahrer fahren können, gelten als die Zukunft der Mobilität. Besonders in den Städten, wo Menschen kaum mehr eigene Autos besitzen werden, wodurch wieder viel städtischer Raum frei für Parks, grüne Inseln, Fußgänger und Radfahrer frei werden soll.
Zahlreiche Hersteller arbeiten zudem an weiteren selbstfahrenden Autos In unserem Artikel "Autonomes Fahren: Revolution der Mobilität" können sie den aktuellen Stand der Entwicklung in diesem Megatrend nachlesen.
Im folgenden Interview mit dem trend. beschreibt der Technologietrendforscher Mario Herger, der seit 2001 im Silicon Valley lebt, seine Erfahrungen mit den selbstfahrenden Autos und gibt eine Einschätzung über die weitere Zukunft der Mobilität ab. Angesichts der großen technologischen Fortschritte ist er mehr denn je überzeugt: "Der letzte Führerscheinneuling ist bereits geboren".
Interview: "Wir werden keine Autos mehr besitzen müssen"
In seinem Buch und seinem Blog "Der letzte Führerscheinneuling" beschreibt Mario Herger, wie Google, Tesla, Apple, Uber & Co unsere automobile Gesellschaft verändern und warum das gut so ist. Das Interview zum Thema.
Im Sommer 2009 gab es im trend die erste Coverstory zur Elektromobilität. Der Titel war „Die elektrische Autorevolution “. Darin wurde postuliert: "Ihr nächstes Auto könnte ein Elektroauto sein." Damals war das fast unvorstellbar, mittlerweile ist das Realität geworden. Wann könnte die Story heißen „Ihr nächstes Auto könnte ein autonomes sein?“
Im vergangenen Dezember (2022) wurden in Deutschland mehr Elektroautos neu zugelassen, als Benziner und Diesel zusammen. Das Thema ist abgefrühstückt, Elektroautos haben gewonnen. Damit ist auch das Gesetz des EU-Parlaments, das ab 2035 den Verkauf von Verbrenner verbietet, Kosmetik, weil der Markt das schon 2030 geregelt haben wird.
Als wir 2017 hier im Trend darüber gesprochen hatten, schien das noch vielen als ferne Zukunft oder gar Hirngespinst. Nun hat sich diese Transformation verwirklicht. Mit autonomen Autos sind wir am selben Stand, wie es bei Elektroautos 2017 war. Doch diese weitere Transformation unterscheidet sich von E-Autos. Tauschten diese noch den eigenen Verbrenner aus, so werden autonome Autos uns als Fahrer nicht mehr brauchen, noch werden wir ein Auto besitzen müssen. Wir werden Autos in Zukunft vorwiegend in Robotaxi-Flotten verwenden und keines mehr selbst besitzen.
Das klingt doch wieder nach einer fernen Zukunft.
Nicht wenn wir einen Blick dorthin werfen, wo die Zukunft heute schon entwickelt wird. Sowohl in den USA als auch in China sind fahrerlose Robotaxiflotten unterwegs. San Francisco hat mit der Google-Schwester Waymo und General Motors mit Cruise gleich zwei solcher Robotaxi-Flotten mit etwa 400 Fahrzeugen im Einsatz.
Autonome Autos im Straßenverkehr sind bisher aber trotzdem bestenfalls Feldversuche.
In den vergangenen Monaten fuhr ich selbst mehr als 50-mal mit fahrerlosen Cruise Robotaxis in San Francisco. Dabei nahm ich immer Besucher aus Europa mit und die empfanden das wie ich: die erste Fahrminute ist man aufgeregt, weil es ungewöhnlich und neu ist, einen leeren Fahrersitz und das Lenkrad sich allein drehend zu sehen, doch dann wird es sehr rasch normal. Die Fahrt verläuft angenehm, die Passagiere nahmen es als völlig selbstverständlich hin und nach dem Aussteigen ist die Frage, „Warum haben wir das bei uns noch nicht?“
Was kommt als nächstes?
Im nächsten Schritt sehen wir vollständig neu entwickelte Fahrzeuge auf den Straßen, wie das von Zoox, den Cruise Origin, oder das von Waymo-Zeekr, die kein Lenkrad mehr haben, in denen die Fahrgäste wie in einem Zugabteil einander gegenüber sitzen und das Fahrzeug in beide Richtungen anfahren kann. Es gibt kein Vorne und Hinten mehr.
Slideshow: Die neuen Robotaxis
Gibt es in Europa schon ähnliche Ansätze und Bestimmungen?
Der deutsche Bundestag hat im Herbst 2021 eine Verordnung verabschiedet, die autonomes Fahren im gesamten Bundesgebiet erlaubt. Die erste Robotaxiflotte – noch mit Sicherheitsfahrern im Fahrzeug – wird ab dem Frühjahr vom israelisch-amerikanischen Unternehmen Mobileye in München und Darmstadt unterwegs sein. Ab 2024 sollen sie dann ohne Sicherheitsfahrer unterwegs sein.
Und in der restlichen EU?
Die EU arbeitet gerade an einer ähnlichen Verordnung. Ich muss jedoch darauf hinweisen, dass wir damit zwar das schönste Stadion und den besten Schiedsrichter haben, aber die Chance auf den Weltmeistertitel hat man nur, wenn man Teams hat, die mitspielen können. Und da fehlt es Europa an entsprechenden Unternehmen, die amerikanischen und chinesischen Unternehmen die Stirn bieten könnten.
Wie kann man die autonomen Fahrzeuge in den bestehenden Verkehr integrieren?
Die ersten Tests, die man in Europa gesehen hat, waren Shuttles, die eine bestimmte Strecke mit Haltestellen abfahren. Ein wichtiger, aber doch begrenzter Einsatzbereich. Die Flotten von Waymo oder Cruise fahren wie Taxis jede Adresse an. Sie holen die Passagiere direkt vor der Haustür ab und setzen sie direkt beim Ziel ab. In der Übergangszeit werden diese Fahrzeuge sich im regulären Verkehr eingliedern und mit den menschlichen Fahrern mitfahren.
Ab einem bestimmten Zeitpunkt werden wir sehen, dass in einigen Stadtteilen nur mehr autonome Autos fahren dürfen. Die Wiener oder die Grazer Innenstadt könnten erste Kandidaten sein. Sobald das geschieht, wird ein direkter Vergleich zu den Zwischenfällen, also Kollisionen, Unfällen, Verletzten und Toten, möglich werden. Und erfüllen autonome Autos das Versprechen, deutlich weniger Zwischenfälle mit Schaden zu produzieren, dann werden sehr rasch Stimme laut werden, die auch in anderen Stadtteilen und Regionen ein Verbot des manuellen Fahrens fordern.
Öffentliche Verkehrsmittel sind prädestiniert für das autonome Fahren, aber auch dort sind wir davon noch ein Stück weit entfernt. In Wien gibt es ja auch noch U-Bahn-Fahrer, obwohl die rein technisch gesehen gar nicht mehr notwendig wären.
Mit der U5 in Wien erhalten wir die erste autonome U-Bahn und die wird der Türöffner für diese Transformation auf anderen Linien sein. Auch Liftboys wurden noch bis in die 1950er Jahre eingesetzt, obwohl die Technologie seit den 1920ern ausgereift war, dass man sie nicht mehr benötigte. Ein Streik der Liftführer hatte dann den Anstoß gegeben, auf sie ganz zu verzichten. Ähnliches werden wir auch bei autonomen Verkehrsmitteln beobachten. Schon die Pandemie hat uns gezeigt, wie rasch Widerstände zu beispielsweise dem Home Office oder der digitalen Signatur abgelegt wurden, weil es nicht mehr anders ging.
Es gibt die ewige ethische Frage, die in Zusammenhang mit dem autonomen Fahren immer wieder auftaucht: Was ist, wenn plötzlich links ein kleines Kind und rechts eine Pensionistin auf die Fahrbahn tritt und das Auto nicht mehr anhalten kann – wen soll das Fahrzeug töten?
Das ist ein abstruses Szenario. Niemand, der selbst Auto fährt, ist jemals vor so einer Entscheidung gestanden, auch wenn er viele Jahre lang gefahren ist. Diese Frage stellt sich einfach nicht. Abgesehen davon könnten autonome Fahrzeuge auch solche Situationen antizipieren und entsprechend abbremsen oder reagieren. Ein autonomes Fahrzeug hat eine permanente 360-Grad-Übersicht. Es ist nie abgelenkt oder müde, es gibt keinen genervten Fahrer, keinen Drogen-Einfluss,… es kommt gar nicht in so eine Situation. Ich habe dem Thema in meinem Buch ein längeres Kapitel gewidmet: „Das ethische Problem mit dem ethischen Dilemma“. Dieses abstrakte, so selten auftretende Problem verstellt die Sicht darauf, dass wegen eines einzigen Todesfalls, der möglicherweise eintreten könnte, alleine in Österreich über 400 reale Verkehrstote pro Jahr in Kauf genommen werden.
Robotaxis verhindern tödliche Unfälle im Straßenverkehr
369 Menschen sind im Jahr 2022 auf Österreichs Straßen tödlich verunglückt. 99 % aller tödlichen Verkehrsunfälle könnten durch Robotaxis und autonom fahrende Autos vermieden werden, denn als Hauptunfallursachen der tödlichen Verkehrsunfälle gelten laut Verkehrsstatistik des Bundesministeriums für Inneres:
Unachtsamkeit und Ablenkung (25,6 %)
Nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit (22,7 %)
Vorrangverletzung (19,8 %)
Herz-Kreislaufversagen oder akute Erkrankungen am Steuer (7,8 %)
Fehlverhalten von Fußgängern (5,1 % )
Überholen (4,9 %)
Missachtung von Geboten oder Verboten (4,0 %)
Mangelnder Sicherheitsabstand (2,6 %)
Übermüdung (2,6 %)
Alkoholisierung war bei 18 oder 5,2 % der tödlichen Unfälle gegeben.
Wenn autonome Fahrzeuge so sicher sind - müsste man konsequenterweise nicht das Selbstfahren verbieten?
Wenn man Ethikkommissionen und das ethische Dilemma ernst nimmt, würde die Konsequenz sein: Sobald man die ersten Daten betreffend der Unfallhäufigkeit usw. von autonomen Fahrzeugen hat, dass die Schlussfolgerung sein müsste: Ja, man müsste manuelles Fahren verbieten. Man darf Menschen eigentlich gar nicht mehr fahren lassen. Nicht das autonome Auto ist das Problem, sondern der Mensch, der am Steuer sitzt.
Von den Autos, die von Menschen am Steuer gelenkt werden, gibt es aber zig Millionen. Was macht man mit denen?
Moderne Autos sind alle bereits soweit technisch ausgestattet, dass Nachrüst-Kits eingebaut werden können. Unternehmen wie Comma.ai entwickeln solche, die unter 1.000 Euro kosten sollen.
In Ihrem Buch "Der letzte Führerscheinneuling" schreiben Sie auch, dass die deutsche Automobilindustrie den Kampf schon verloren hat, es nur noch nicht weiß.
Seit 2017 hat sich einiges geändert. Zähneknirschend hat man nun akzeptiert, dass Elektroautos einen wichtigen Faktor spielen werden, doch so leicht will man Verbrenner nicht aufgeben. Der Widerstand ist beachtlich. Es handelt sich hier nicht nur um einen Übergang von einem alten Antriebsstrang auf einen neuen, sondern auch um Identitäten und Karrieren, die sich drum herum gebildet haben. Die Petromaskulinität, wie wir sie von GTI-Treffen oder aus Filmen wie Fast & Furious kennen, kann mit leisen Elektroautos nichts anfangen. Und schon gar nichts mit Autos, die einen nicht mehr als Fahrer benötigen. Diesen Hintergrund müssen wir beachten, wenn es um eine Mobilitätswende geht.
Damit tun sich auch traditionelle Automobilunternehmen schwer. Zwar bieten alle mittlerweile durchaus respektable Elektroautos an, aber wir merken schon an vielen Details und Aussagen der Führungsspitzen, wie wenig dort das Herz daran hängt. Doch wenn der Fokus und die Motivation so gespalten sind, dann wird es schwer gegen Neueinsteiger, die nicht in dieser Tradition verhaftet sind. Und Neueinsteiger gibt es viele. Alle wittern ihre Chance, bei der Elektromobilität mitzumischen und die Automobilunternehmen zu übertrumpfen.
Wann schätzen Sie wird es in Europa und Österreich Gesetze geben, die autonomes Fahren erlauben?
Deutschland hat bereits 2021 eine Verordnung verabschiedet und die EU im Juni 2022, die mit bestimmte Fahrerassistenzsysteme vorschreibt. Folgen sollen nun technische Vorschriften für automatisierte und vernetzte Fahrzeuge.
Was bedeutet das letztlich für unsere Mobilität?
Diese neuen Technologien erlauben einen sichereren und geringeren Einsatz von Ressource für unsere Mobilität. Bis zu 90 Prozent weniger Autos werden benötigt um dieselbe Kilometerleistung mit Robotaxis anzubieten. Elektrische, autonome Autos fahren umweltfreundlicher, weil computergesteuert. Und wir ermöglichen Zugang zu individueller Mobilität für eine ganze Reihe von Bevölkerungsgruppen, die heute davon ausgeschlossen sind: ältere und gebrechliche Personen, Behinderte, Kinder, usw. Deshalb müssen wir autonome Autos in den ÖPNV integrieren und können dann auch wieder viele Teile einer Stadt, die heute durch geparkte Autos okkupiert werden, der Bevölkerung zurückgeben