Für die Energiewende und damit benötigte Produkte wie Solaranlagen, Windräder oder E-Auto-Batterien braucht es Mineralien und Rohstoffe in rauen Mengen. Für Länder wie China bedeutet das noch mehr Macht. Europa muss sich darauf vorbereiten.
Wolfgang Seidl könnte ganz entspannt in die Zukunft schauen. Die Auftragsbücher sind bis weit ins nächste Jahr hinein voll, der Umsatz wächst und wächst, denn seit dem Ukraine-Krieg wollen noch mehr Menschen lieber von der Sonne abhängig sein als von Putin und setzen auf Photovoltaikanlagen.
Doch Wolfgang Seidl ist bei Kioto Solar, Österreichs größtem PV-Modulhersteller mit Sitz in Sankt Veit an der Glan in Kärnten, nicht für den Verkauf zuständig sondern für den Einkauf. Er sieht, wie vom Glas übers Aluminium bis hin zur Solarzelle die Preise steigen: "Das liegt an den steigenden Energiekosten in Europa und am Dollar-Wechselkurs, das liegt aber auch daran, dass wir von China abhängig sind."
Rund 80 Prozent der weltweit gebrauchten Solarzellen kommen aus China, viele weitere PV-Bestandteile ebenfalls. "China hat sich ein Monopol aufgebaut, und nach Jahren fallender Preise sind diese zuletzt gestiegen. Die chinesischen Anbieter können sie bestimmen", sagt Seidl. Sie machen das kurzfristig, Preisbindungen gibt es nicht mehr. Und wenn Seidl in die Zukunft schaut, wird die Lage nicht besser: "Selbst wenn wieder europäische oder amerikanische Unternehmen Solarzellen produzieren, bleibt es schwierig, denn China hat auch ein Quasi-Monopol auf Polysilizium, einen wichtigen Rohstoff für die Zelle."
Neue Rohstoffe werden benötigt
So wie in der Photovoltaik sieht es gerade in vielen Bereichen aus, mit denen wir der Klimakrise den Kampf ansagen. Egal, ob es um Solarzellen, Windräder oder Batterien für Elektroautos geht, werden dabei ganz andere Rohstoffe gebraucht als bisher. Die grüne Transformation ist auch eine Rohstoffwende, und wie im Zeitalter von Öl und Gas gilt auch da: Wer die Rohstoffe hat, hat die Macht.
Die Weltbank hat errechnet, wie sich der Bedarf der für die Energiewende wichtigen Mineralien bis 2050 im Vergleich zu 2018 entwickeln wird. Bei Grafit und Lithium, die zum Beispiel in Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos zum Einsatz kommen, soll er sich verfünffachen, bei Kobalt (Batterien, Laptops, Smartphones) soll der Zuwachs 460 Prozent betragen, bei Indium (Solarpaneele) 231 und bei Vanadium (Akkus) 189 Prozent. Auch bei seltenen Erden, wichtig für die Permanentmagnete in Windturbinen und Elektromotoren, bei Nickel, der für Erzeugung von Wasserstoff gebraucht wird, sowie bei Kupfer und Aluminium, die für den Ausbau der Stromnetze nötig sind, soll es deutliche Zuwächse geben. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) wird sich der Einsatz von Mineralien von heute bis 2040 vervierfachen müssen, damit das Pariser Klimaziel erreicht werden kann.
Rohstoff-Abhängigkeit der EU
Rohstoff-Supermacht China
Wie groß dabei die Abhängigkeit von einzelnen Staaten ist, zeigt eine gerade veröffentlichte Studie in Deutschland. Von den neun Rohstoffen, die für neue Schlüsseltechnologien elementar, aber schwer verfügbar sind, kommen sieben hauptsächlich aus China, hat das Ifo-Institut gemeinsam mit dem deutschen Industrie-und Handelskammertag festgestellt. (Siehe auch die obige Grafik zur Abhängigkeit der EU von Rohstoffimporten aus einzelnen Ländern.
Speziell bei Seltenen Erden ist die Lage heftig: "Ein Windrad einer üblichen Anlage braucht zum Beispiel rund 400 Kilo Seltener Erden wie Neodym, die fast ausschließlich in China gewonnen werden", sagt Robert Holnsteiner, der die Abteilung für Mineralrohstoffpolitik im Finanzministerium leitet. Um China kommt hier also niemand herum.
Wenn es um Kobalt geht, ist es hingegen der Kongo, auf den es ankommt. Bei Palladium dominiert Russland den Weltmarkt, bei Iridium Südafrika und bei Bauxit Australien, wobei die EU ihre Mengen aktuell hauptsächlich aus dem afrikanischen Guinea bezieht.
Der schnelle Überblick zeigt: Während Erdöl, Kohle und Gas schon von nicht gigantisch vielen Ländern der Welt gefördert und geliefert werden können, ist das Angebot bei wichtigen Mineralien auf noch weniger Abbaugebiete beschränkt, von denen nicht alle perfekte Demokratien sind. "Das Angebot von grüner Energie hängt von Ressourcen ab, die von geologischen, geopolitischen und regulatorischen Herausforderungen gekennzeichnet sind", stellt deshalb zum Beispiel das Beratungshaus KPMG fest und nennt das ein "nicht ausreichend gewürdigtes Risiko für die Energiewende".
Suche nach neuen Rohstoffquellen
Langsam kommt das aber auch bei den westlichen Regierungen an. Vergangenen Freitag verabschiedete etwa Großbritannien seine Rohstoffstrategie, die auf Diversifikation und mehr Eigenproduktion setzt. Bereits im Februar gab US-Präsident Joe Biden bekannt, dass er den Defence Act als eigentlich sicherheitspolitisches Instrument nutzen will, um den Import und die Erschließung der Mineralien in den USA staatlich direkt zu fördern.
Die EU-Kommission hat bereits 2020 mit der European Raw Material Alliance ein Bündnis aus öffentlichen Institutionen, Unternehmen, NGOs und Forschungseinrichtungen geschaffen, das etwa die Rohstoff-Zusammenarbeit mit Australien und Kanada, aber auch mit afrikanischen Staaten verstärken sowie Innovationen etwa in der Kreislaufwirtschaft voranbringen soll. Das Ziel: Die europäische Industrie soll sicher und gut versorgt sein.
Wie abhängig Europa bereits ist, zeigte sich zuletzt im vergangenen Herbst: Mitte September stoppte China den Export von Magnesium, vorgeblich, um den Energieverbrauch zu reduzieren, denn für die Gewinnung des Minerals, das wichtig für Stahl und Aluminium und somit für die Autoindustrie ist, braucht es enorme Mengen Energie. China hält aber über 90 Prozent der weltweiten Produktion, die Panik am Markt war also groß, der Preis vervierfachte sich binnen Wochen, fiel aber, sobald China wieder produzierte.
"Dabei ist Magnesium überhaupt nicht selten auf der Welt, doch seine Produktion hat sich in China und auf chinesische Unternehmen konzentriert", sagt Frank Melcher, Professor für Geologie und Lagerstättenlehre an der Montanuniversität Leoben. China hält nur 14 Prozent der Magnesium-Reserven, dominiert aber den Markt. Anfang der 2000er-Jahre wurde etwa die letzte Magnesiumproduktion in Europa eingestellt. Ähnlich ist es bei den Seltenen Erden und bei weiteren Mineralien.
Neue Rohstoffstrategien
"In Europa hat man vor 30 Jahren beschlossen, dass Bergbau hier keine Zukunft hat. China hat eine andere strategische Entscheidung getroffen", sagt Melcher. Dass die Preise für Rohstoffe lange, auch durch chinesisches Dumping, niedrig waren, habe die Investitionsfreude in Europa nicht gestärkt, strengere Vorschriften gelten ebenfalls als Grund für die Zurückhaltung. "Man hat auch lange darüber hinweggesehen, unter welchen Umwelt- und Arbeitsbedingungen anderswo produziert wird", sagt Melcher.
Jetzt soll alles schnell gehen, aber von der IEA und anderen Institutionen angefangen bis hin zu heimischen Experten sind viele skeptisch: "Es ist unmöglich, alle benötigten Rohstoffe rechtzeitig für angestrebte Energiewende zur Verfügung zu haben", sagt Melcher. Viele aktuelle Lagerstätten arbeiteten bereits am Limit oder werden zunehmend ineffizient, die leicht zugängigen Oberflächenfunde sind oft bereits erschöpft und von neuen Funden eines Rohstoffs bis zu seinem Abbau dauere es schnell einmal 20 Jahre. "Von 1.000 Funden geht in Europa nur einer Produktion, das ist vielen Investoren zu riskant, und oft fehlt in Europa nun auch das Know-how", sagt Melcher.
Österreichs im Vorjahr verabschiedete "Rohstoffstrategie 2030" setzt deshalb wie die europäische Strategie auf drei Säulen: Auf über die EU laufende internationale Abkommen mit rohstoffreichen Staaten, auf Kreislaufwirtschaft, auch wenn es dauern wird, bis die Rohstoffe der Energiewende wiederverwertet werden können, und auf das Ausschöpfen nationaler Funde. "Hier gibt es in jedem Fall noch Potenzial, wie das Lithium auf der Koralpe, Grafit-Lagerstätten bei Leoben oder die Indikatoren für Kobalt in den Zentralalpen zeigen", sagt Holnsteiner vom Finanzministerium, einer der Autoren der Strategie.
Die geologische Bundesanstalt hält im frei zugängigen "Rohstoff-Informationssystem" die bekannten Funde fest, intensiviert aber gerade auch die Suche nach bisher unbekannten. "Dann braucht es aber auch Investoren", sagt Holnsteiner, der mit einem Comeback des Bergbaus in Europa rechnet. Vorausgesetzt aber, es gelingt, die Akzeptanz in der Bevölkerung dafür aufzubauen, denn ein Blick in die Gegenwart, wo von Serbien bis Spanien neue Bergbauprojekte scheitern, zeigt: Ohne diese geht es nicht.
Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 29.7.2022 entnommen.