Der mittlerweile fast überall verbreitete Pessimismus lässt alle glauben, die Börsen können nicht mehr steigen - zu Unrecht, meint Investment-Profi Ken Fisher. Die Bärenrally wird zu Ende gehen.
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Bärenrally. Seit Mitte Juni sind Aktienindizes weltweit - auch der ATX -um mehr als 20 Prozent gegenüber dem Januar-Hoch eingebrochen. Und nun ist der Bärenmarkt ein Dauerbrenner in den Medien.
Die Rally, die dann im Anschluss eingesetzt hat, wird aber von vielen in Erwartung weiterer Rückgänge noch als trügerische Morgendämmerung wahrgenommen. Eine Bärenrally also. Mag sein. Anders als sonst ist dieser Abschwung jedoch auch stark stimmungsgetrieben. Gründe für seine ungewöhnliche Tiefe und Dauer sind die akuten Sorgen, die den gesamten Globus befassen.
Wie viele Bärenmärkte zuvor erzeugt jedoch auch die aktuelle Baisse an den Börsen etwas, das ich als "Pessimismus des Unglaubens" bezeichne - die Grundlage für eine Erholung!
Dieser Pessimismus tritt ein, wenn kräftige Einbrüche auf die Stimmung drücken. Anleger konzentrieren sich dann mehr als sonst auf Negativmeldungen und erwarten ständig noch Schlimmeres. Bleibt ein erwartetes Fiasko dann aber aus, wird die positive Überraschung zum emotionalen Treibstoff für Erholung.
Pessimismus und Rezessionsängste
Auf Pessimismus stoßen wir zurzeit überall. Die Fondsmanager-Umfrage der Bank of America ergab im Juli für den globalen Wachstumsoptimismus ein Rekordtief. Laut Ipsos befindet sich das Verbrauchervertrauen in Österreich am tiefsten Punkt seit Beginn der Aufzeichnung 1995. Düstere Schlagzeilen warnen vor einer energiegetriebenen europaweiten Rezession, weil Russland Gaslieferungen als Waffe einsetzt und damit Österreich besonders trifft, auch wenn das Land seine Abhängigkeit künftig reduzieren will.
Indessen sind die mächtigen Widerspruchsindikatoren unsere ständigen Begleiter geworden: Selbst wenn die neuen Covid-19-Einschränkungen in China gelockert werden, bedrohen nun die Spannungen um Taiwan den Welthandel. Es haben sich die Sorgen aus 2021 über den starken Euro verflüchtigt, aber nun bedroht ein starker Dollar die Schwellenländer. Und es herrscht allgemein Angst vor Rezession, aber die Märkte haben das noch nicht eingepreist.
Aber das ist nichts Neues. Erinnern wir uns an den Juni 2020, als ich schrieb, dass der "Pessimismus des Unglaubens" weit verbreitet sei. Wenig rosige Zahlen beherrschten damals die Schlagzeilen, und auch der österreichische Industriesektor war im April 2020 gegenüber dem Vormonat März um 21,4 Prozent eingebrochen.
"Ja, aber ..."- Sätze erstickten jeden Lichtblick. Doch damit entstand Potenzial für eine positive Überraschung - und damit für enorme Gewinne. Der ATX stieg vom Tiefpunkt im März 2020 bis zum Jahresende um 74,4 Prozent.
Acht Ursachen für den Pessimismus
Heute wird dieser "Pessimismus des Unglaubens" von gleich acht Schauplätzen befeuert, anstelle von üblicherweise ein oder zwei Negativereignissen, die ein Abschwung benötigt. Wir erinnern uns: Im Jahr 2020 ging es um Covid-19 und Lockdowns, was die globalen Märkte schnell einpreisten. Der globale Einbruch 2018 stand unter dem Zeichen der Handelskriege. In den Jahren 2015/2016 waren es die Abwertungen in China und einbrechende Rohstoffe. 2011 war die Abwärtsbewegung etwas breiter mit einer Schuldenkrise in Europa, dem Kampf um einen Schuldendeckel in den USA und der wachsenden Sorge vor einer harten Landung in China.
Doch 2022 wird mit den Problemthemen Inflation, Krieg, Energieknappheit, Ölpreisentwicklung, Leitzinsdebatten, Lieferkettenproblemen, Covid-19 und weltpolitischen Konflikten in die Geschichte eingehen. Selbst die Wachstumsherabstufungen durch Weltbank und IWF werden noch als "zu optimistisch" bezeichnet.
Diese Stimmung bereitet aber die Wende vor. Blicken wir also erneut zurück auf 2020. Viele behaupteten damals, die Märkte würden die negativen Zeichen ignorieren, als die Aktien nach oben schossen. Gleichzeitig sank dabei das österreichische BIP im Q2 nach dem Einsetzen der Rally um 11,4 Prozent gegenüber Q1. Die Verbraucherausgaben gingen durch immer neue Covid- 19-Restriktionen zurück. Doch die Aktien stiegen immer noch. Eine perfekte Welt war damals keine Voraussetzung für Erfolge an den Börsen. Das gilt auch für heute.
Ich bezeichne den Aktienmarkt oft als "großen Demütiger", der "Pessimismus des Unglaubens" ist eines seiner wichtigsten Instrumente. Er verleitet zu viele, die auf Klarheit warten, zum Verkauf, während die Kurse steigen. Lassen Sie sich davon nicht irreführen. Schauen Sie nach vorn!
Der Kommentar ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 26.8.202 entnommen.
Über die Autoren
Ken Fisher
Kenneth Lawrence Fisher, geb. 1950, ist Investment-Analyst und einer der erfolgreichsten Investmentberater der USA. Er ist zudem Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen. Fisher ist Gründer und Vorsitzender von Fisher Investments, einer Firma für Finanzberatung und Vermögensverwaltung mit Sitz in Camas, Washington.