EBIT, Gewinn und andere finanzwirtschaftliche Kennziffern sollten für eine Unternehmensführung keine Rolle spielen, sondern sind das Ergebnis einer guten Unternehmensführung, meint Fredmund Malik.
©iStockphotoBegriffe wie EBIT, Gewinn und Wert werden in Führungskreisen von Unternehmen oft missbräuchlich verwendet, meint Fredmund Malik. Er stellt sie zur infrage.
Es gibt eine Reihe von Begriffen, die ich im Management für gefährlich halte. Es ist ohnehin in einer Organisation schwierig genug, für funktionierende Kommunikation zu sorgen und echte Verständigung zu schaffen. Schon allein die in der Regel nicht besonders hoch entwickelten sprachlichen Fähigkeiten im Management machen Kommunikation schwierig. Wenn zusätzlich Begriffe falsch und irreführend verwendet werden, kann gute Kommunikation kaum gelingen.
Die Gefährlichkeit der hier behandelten Begriffe liegt aber nicht in dieser allgemeinen Kommunikationsschwierigkeit, sondern viel stärker darin, dass sie das Denken und Handeln des Managements in die falsche Richtung führen. Sie transportieren Vorstellungen über Führung von Unternehmen, den Umgang mit Mitarbeitern und das Verhalten gegenüber Kunden, die nachweislich schädlich und manchmal die Ursache für den Untergang von Unternehmen sind. Es geht nicht um sprachliche Pedanterie, sondern um Klarheit.
EBIT und Earnings before anything
Kein geringer Prozentsatz an Führungskräften scheint zu glauben, dass die Kenntnis der finanzwirtschaftlichen Mainstream-Kennziffern schon ein Befähigungsausweis sei. Das ist ein gefährlicher Irrtum. Solange für die Performance-Messung nur EBIT verwendet wurde, war das Risiko von fehlerhafter Führung noch limitiert. Dennoch wurde schon diese Kennziffer missbraucht. In unserer Consulting-Praxis am Management Zentrum St. Gallen haben wir spätestens seit dem Jahr 1984 mit EBIT in der Strategieberatung gearbeitet. So neu, wie manche glaubten, war diese Kennziffer nicht, als sie Mitte der neunziger Jahre in Mode kam.
Die Kennziffer EBIT wurde aber selbstverständlich vor dem Beginn der Bubble-Jahre niemals dafür benützt oder empfohlen, ein Unternehmen zu führen. Sie wurde ausschließlich eingesetzt, um Unternehmen zu vergleichen. Weil jede Firma eine andere Finanzierungs- und Steuersituation hat, war es nötig, ein Brutto- statt eines Nettoergebnisses zu verwenden, um brauchbare Leistungsvergleiche anstellen zu können. Es mussten also die Zinsen und die Steuern aus dem Ergebnis eliminiert werden. Die Wiege von EBIT war das so genannte PIMS-Programm (Profit Impact of Market Strategies), das in den 1960er Jahren bei General Electric entwickelt wurde, um die Leistung von unterschiedlichen Geschäftsfeldern beurteilen und vergleichen zu können. Selbstverständlich war immer klar, dass man von einem echten Ergebnis nur nach Zinsen und Steuern sprechen konnte und auch erst danach an eine Dividende zu denken war.
Was für den Vergleich erfunden worden war, wurde unter dem Einfluss des Shareholder-Value zu einem Führungsmaßstab. Es war der erste Schritt zur Falschführung. Die weiteren Schritte waren vorherbestimmt und unvermeidbar: Es kamen EBITD, EBITDA usw., alles Kennziffern, die aus der Betrachtungswelt von Buchhaltern, Wirtschaftsprüfern und Investmentbankern stammen, für die Führung eines Unternehmens aber völlig unbrauchbar sind. Anlässlich eines Symposiums habe ich mir erlaubt, eine "ganz neue" Kennziffer vorzuschlagen, nämlich EBA - Earnings before anything ... Es dauerte eine Weile, bis die Ironie im Publikum verstanden wurde. Diese finanzwirtschaftlichen Kennziffern mögen in jeweils verschiedenen Fällen ihren Nutzen haben. Sie sind aber untauglich für die Führung eines Unternehmens, für jene Funktion, die das Wirtschaftsergebnis überhaupt erst produzieren muss, bevor es dann bewertet werden kann. Alle finanzwirtschaftlichen Kennziffern sind für die Führung höchst problematisch, weil sie den wirklich wesentlichen Dingen des Managements hinterherlaufen.
Aus dem inzwischen großen Vorrat an Kennziffern eignet sich für den Führungszweck im Grunde nur eine einzige, nämlich EAE - Earnings after everything. Erst nachdem alle erforderlichen Rückstellungen vorgenommen sind, alle Reserven gebildet wurden, um auch schlechte Zeiten überstehen zu können, kann man von echten Ergebnissen sprechen. Die eigentliche Fehlentwicklung begann mit der Verwechslung der Betrachtungsweise und Zwecksetzung der Unternehmensführung mit jener der Investoren und ihrer Consultants. Es war gleichzeitig die Verwechslung des realwirtschaftlichen Zwecks eines Unternehmens mit finanzwirtschaftlichen Zwecken von Anlegern. Dies wird aus einer anderen Perspektive noch deutlicher beim nächsten gefährlichen Wort.
Gewinn und Kosten
Nach Jahrhunderten der Befassung mit dem Begriff des Gewinns, zuerst durch die Praktiker, dann durch die Wissenschaft, schließlich durch Consultants, Wirtschaftsprüfer und Investmentbanker, sollte man meinen, dass zweifelsfrei geklärt sei, was Gewinn ist. Das ist nicht so. Wir wissen heute vielleicht besser als früher, wie wir Gewinnerwartungen produzieren und manipulieren können, aber der Begriff des Gewinns ist noch immer schlecht verstanden, wird daher falsch und oft missbräuchlich verwendet. Je mehr ein Manager von Gewinn spricht, umso mehr Skepsis ist angebracht und umso mehr muss herausgefunden werden, was er wirklich meint, insbesondere wenn von Gewinnoptimum oder Gewinnmaximum die Rede ist. Für die Führung eines Unternehmens ist die Vorstellung eines Gewinnmaximums weit gehend unbrauchbar. Hilfreich ist hingegen das Gegenteil, das Gewinnminimum, nämlich die Frage, wie viel man verdienen muss, um auch in Zukunft noch im Geschäft zu sein. Man beachte: nicht nur um das heutige Kapital zu bedienen, sondern um im Geschäft bleiben zu können.
Für wirklich professionelle Führung schlage ich vor, sogar noch einen Schritt weiter zu gehen und gar nicht mehr von Gewinn zu sprechen. Im Grunde gibt es nämlich keine Gewinne, sondern nur Kosten. Davon gibt es zwei Arten: erstens die Kosten des heutigen Geschäfts und zweitens jene Kosten, die nötig sind, um im Geschäft zu bleiben. Die Kosten der ersten Art kennen wir, weil wir sie verbuchen können. Die Kosten der zweiten Art kennen wir nicht; sie können nicht verbucht werden, weil es noch keine Belege dafür gibt. Sie sind dennoch genauso real wie die Kosten, die wir schon verbuchen können. Wenn wir die Kosten der zweiten Art nicht aufzubringen vermögen, wird das Unternehmen keine Zukunft haben. Solange man von Kosten redet, können kaum große Führungsfehler begangen werden. Mit einem zu kurz gegriffenen Gewinnbegriff ist aber noch immer der Untergang eines Unternehmens eingeleitet worden.
Werte und Bewertung
In den Kontext der hier behandelten Begriffe gehört auch "Wert". Selten zuvor gab es so viel Gebrauch von einem Begriff, und nie, außer in der marxistischen Theorie, wurden Wertfragen als ein so zentraler Begriff des Wirtschaftens angesehen. Ich spreche hier von wirtschaftlichen Werten, nicht von moralischen, ethischen oder künstlerischen Werten. Man hat ob der intensiven Wertdiskussion und der so häufigen Verwendung des Wortes "Wert" fast vergessen, dass es so etwas wie wirtschaftliche Werte gar nicht gibt. Es gibt nur Preise. Der Wert von etwas, egal, was es ist, ist der Preis, den der nächste Käufer zu bezahlen bereit ist. Was der letzte Käufer bezahlt hat, ist bedeutungslos. Was man selbst für ein Gut bezahlt hat, mag die eigene Vermögenslage und daher das eigene Denken, Hoffen und die Verhandlungstaktik für die nächste Transaktion bestimmen. Es ist aber, außer als Denkvorstellung, unerheblich. Die nächste Transaktion und der dafür bezahlte Preis sind die Realität.
Die Bewertungsmethoden, egal, nach welchen Gesichtspunkten sie konzipiert sind, mögen Anhaltspunkte liefern für Verhandlungsziele, für Wünsche, Hoffnungen und das Setzen von Orders an den Börsen. Und es ist durchaus möglich, dass eine Zeit lang der zuvor errechnete Wert sich auch als Preis einstellt. Es kann dann der Anschein entstehen, dass die Bewertungsüberlegungen einen Einfluss auf die Preisgestaltung hätten. An den Börsen kann aber täglich gesehen werden, dass der Preis von jedem Wertansatz weit entfernt sein kann und es meistens auch ist. Die Argumentation mit Werten, daher auch mit Über- und Unterbewertung zum Beispiel von Aktien, ist müßig. Es gibt keine Werte außerhalb des Preises, den der nächste Käufer bezahlt. Daher ist es im Grunde auch falsch, von so genannten innerbetrieblichen Wert- oder Wertschöpfungsketten zu sprechen, wie das Michael Porter aufgebracht hat. Innerhalb eines Unternehmens gibt es keine Werte, sondern nur Kosten. Kosten können nur außerhalb des Unternehmens in etwas Werthaltiges transformiert werden, nämlich dadurch, dass eine Kunde eine Rechnung bezahlt, einen Preis entrichtet.
Das Wertdenken birgt noch eine andere, möglicherweise größere Gefahr. Es beeinflusst das Marketing in riskanter Weise. Es führt zurück zur Vorstellung, dass der eigene Aufwand den Wert des Produktes bestimme und somit seinen Preis. Es ist eine scheinbare Legitimierung von "cost driven pricing". Die Realität auf den Märkten ist aber das Gegenteil, nämlich "price driven costing". Wer die Kalkulation so aufbaut, dass er seine eigenen Kosten nimmt, darauf einen Risiko- und Gewinnzuschlag macht und so den Preis errechnet, manövriert sich fast immer aus dem Markt hinaus. Die Orientierung muss sich umgekehrt am gegebenen Marktpreis ausrichten, davon ist ein angemessener Gewinn abzuziehen, und danach muss sich alles am verfügbaren Rest ausrichten, von der Entwicklung bis zum Verkauf. Das ist die einzige Möglichkeit, an der Realität des Marktes nicht vorbeizuoperieren.
Gerade in den New-Economy-Firmen, die sich für so furchtbar modern hielten und glaubten, neue Gesetze des Wirtschaftens erfunden zu haben, wurde das nicht begriffen. Bis heute wird in Software-Kreisen mit dem Aufwand argumentiert, den die Entwicklung eines Programms verursacht habe. Dann wird vom Wert des darin steckenden Wissens geredet, und man glaubt, damit Preisforderungen rechtfertigen zu können. Die ganze darin steckende Denkweise ist von Grund auf falsch. Sie ist von der Logik der Marktwirtschaft her falsch, und sie ist daher gefährlich. Ein Blick nach Indien und die dort arbeitenden Software-Spezialisten würde, falls man sich der Logik nicht beugt, einen empirischen Zweifel begründen. Die einzige Realität der Wirtschaft ist der Preis.
Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.