Vom Konflikt zu konstruktiver, kollegialer Zusammenarbeit
©Getty Images / iStock EditorialZwischen Abteilungen eines Unternehmens gibt es häufig Konflikte. Oft wird auf vermeintlichen Fehlern herumgehackt statt konstruktiv zusammengearbeitet. Management-Experte Fredmund Malik zeigt den Weg zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit auf.
Viele bereichsübergreifende Konflikte zwischen Kollegen in Organisationen haben dieselbe Wurzel. Es ist die Haltung: Ich habe recht, und der andere hat unrecht.
Eine solche Konfliktsituation hat fast immer folgende Grundstruktur: Der Kollege "Entwicklungsingenieur" sitzt mit Kollegen aus anderen Abteilungen zusammen, um gemeinsam eine Frage zu diskutieren oder ein Problem zu lösen. Der Kollege "Marketing" (oder "Produktion" oder "Finanzen") macht einen Vorschlag oder vertritt eine Meinung, die dem Entwicklungsingenieur total absurd erscheint. Die Reaktion der meisten Leute ist, auch wenn sie es nicht aussprechen: "Das ist wieder typisch Marketing (oder Produktion oder Finanzen). So können nur die "Schwachköpfe" aus dem Marketing reden. Ich habe immer gewusst, dass sie vom Geschäft keine Ahnung haben ..."
Gute Manager denken aber ganz anders. Sie sehen in diesem echten oder vermeintlichen, jedenfalls drohenden Konflikt eine Chance, Verständigung herbeizuführen und mehr über die Situation, die Organisation und das Geschäft zu erfahren und zu lernen.
Sie fragen sie sich: "Wie muss der andere, genau wie ich am Wohlergehen dieser Organisation interessierte Mensch, die Situation sehen, um zu dieser Meinung zu kommen?"
Sie sind auch nicht im entferntesten an der Frage interessiert: Wer hat recht?, sondern ihr Interesse gilt nur der ganz anderen Frage, nämlich: Was ist richtig? Und dann versuchen sie herauszufinden, wie der andere die Welt, das Geschäft und die Organisation sieht und daher zu dieser Meinung kommt.
Spezialisten und Generalisten
Mit der Zeit lernt man - ausgehend davon, dass man den anderen ernst nimmt - die Welt gelegentlich mit seinen Augen zu sehen, aus der Perspektive der Fachdisziplin. Man lernt, das Geschäft nicht nur aus einer, nämlich der eigenen Dimension zu sehen. Man erfährt, dass es noch andere Facetten gibt und entwickelt sich nach und nach vom Spezialisten vielleicht nicht unbedingt zum Generalisten, aber doch zu einem Spezialisten, der es versteht, sich in die Organisation zu integrieren.
Wer auf diesem Wege ein Stück weit geht, wird vor allem eine für die Zusammenarbeit mit Kollegen in einer Organisation außerordentlich wichtige Erfahrung machen: Er lernt, dass die Konfliktparteien nicht nur unterschiedliche Antworten geben, sondern dass sie meistens von ganz unterschiedlichen Fragestellungen ausgehen.
Konflikte, die lediglich auf unterschiedliche Antworten zurückzuführen sind, sind meistens relativ leicht zu lösen. Man kann fast immer einen tragfähigen Kompromiss finden, wenn man wenigstens über die gleiche Frage redet. Konflikte hingegen, deren Wurzel ganz andere Fragestellungen sind, sind sehr viel schwieriger zu lösen, denn dafür gibt es meistens keinen Kompromiss. Die Auffassungen stehen sich völlig unversöhnlich gegenüber, weil eben die Ausgangspunkte völlig verschieden sind. Erst wenn man diese anderen Fragestellungen herausgefunden und verstanden hat, eröffnen sich Chancen, auch diese Konflikte zu lösen.
Dieser letzte Aspekt ist zugegebenermaßen ein Element eher fortgeschrittenen Managements. Wer ihn berücksichtigt, wird erleben, dass er allen anderen fast immer ein Stück voraus ist und sogar sehr schwierige Situationen souverän meistern kann. Und meistens wird er im Ruf stehen, dass er ein vernünftiger und reifer Mensch sei, mit dem man gut zusammenarbeiten könne. Das sind jene Führungskräfte, die verstanden haben, dass der Marketingmanager die Welt völlig anders sieht, ja sehen muss, als der Controller oder der Leiter der Entwicklung. Sie erwarten daher auch gar nichts anderes. Erstens sind alle diese Personen eben Spezialisten, und zweitens werden sie ja nachgerade dafür bezahlt, dass sie die Dinge anders sehen und ihnen anderes wichtig ist. Dies ist für die Organisation auch höchst notwendig und "lebenserhaltend", denn die Welt, der Markt, der Kunde sind eben nicht eindimensional.
Die Macht der offenen Diskussion
Gute Manager orientieren sich also an der Frage: Was ist richtig? und nicht: Wer hat recht? Sie erliegen gelegentlich zwar auch der Versuchung der zweiten Frage, aber dann akzeptieren sie wenigstens, "dass ich unrecht und der andere recht haben kann; oder dass wir beide unrecht haben können und vielleicht gemeinsam das Richtige herausfinden können".
Mit dieser Haltung gehen sie dann in die Diskussion, und sie wissen, dass es nur drei Methoden gibt, eine solche Diskussion zu führen, nämlich: offen, offen, offen. Es gibt keine vierte. Dies ist die Basis ihrer Glaubwürdigkeit und der daraus resultierenden Überzeugungskraft.
Manche Leute mögen mich für naiv halten und werden auf die vielen Intrigen verweisen, die die Kollegen anzetteln; darauf, dass diese ohnehin immer mit gezinkten Karten spielen und jede Sitzung dafür missbrauchen, für sich Vorteile herauszuholen. Es gibt solche Kollegen, und es wäre dumm, das zu ignorieren. Aber eine Organisation kann auf diese Weise auf Dauer weder Resultate erzielen noch wirksam sein, noch ihren Zweck erfüllen. Sie wird zur Bühne shakespearescher Intrigenspiele.
Wer nur an seiner eigenen Karriere interessiert ist, wird meine Meinung nicht teilen können. Wer am Erfolg und der Wirksamkeit eines Unternehmens oder irgendeiner anderen Organisation interessiert ist, wird in ihr zumindest eine überlegenswerte Alternative sehen, und vielleicht macht er dann mit und in einer wirksamen Organisation gerade deshalb Karriere.
Maliks-Management-Tipp: 3 Schritte zur Zusammenarbeit
Nun möchte ich eine Methode darstellen, mit der man alle kollegialen Beziehungen - außer den seltenen, wirklich pathologischen Fällen - so gestalten kann, dass man mit fast allen Leuten hervorragend zusammenarbeiten kann.
Die wirklichen Professionals auf diesem Gebiet wenden diese Methode auf die eine oder andere Weise an: Sie machen einmal im Jahr zwei Listen. Daraus leiten sie zwei Erfahrungen ab, und dann führen sie eine Maßnahme durch.
Schritt 1: Zwei Listen
Sie reservieren sich für die Erstellung der zwei Listen einen ganzen Tag und machen das in Ruhe und mit aller Sorgfalt. Die erste Liste trägt die Überschrift: Von wem hänge ich ab für meine Resultate? Mit Akribie schreiben sie hier die Namen all jener Personen auf, auf die sie innerhalb und außerhalb der Organisation angewiesen sind, um ihre Ergebnisse zu erzielen.
An prominenter Stelle auf der Liste wird der eigene Chef stehen; dann die vielen Kollegen, von denen man, ob man will oder nicht, eben abhängig ist; dann natürlich die eigenen Mitarbeiter; dann die Geschäftspartner, Kunden, Lieferanten, Banken usw.; Medienleute, die vielleicht wichtig sind; die eigene Familie, Freunde, Bekannte usw.
Die zweite Liste ist das Spiegelbild der ersten und trägt die Überschrift: Wer hängt von mir ab für seine Resultate? Teilweise werden dieselben Namen auf dieser zweiten Liste stehen, teilweise werden es andere sein.
Schritt 2: Zwei Erfahrungen
Praktisch immer können zwei Erfahrungen oder Erkenntnisse aus diesen Listen abgeleitet werden. Erstens: Die Listen decken sich nie mit dem Organigramm und schon gar nicht mit dem Organigramm der eigenen Abteilung. Man ist eben nie nur von Personen innerhalb seiner Abteilung oder seiner Organisation abhängig, sondern immer auch noch von solchen außerhalb.
Und zweitens macht man die Erfahrung, dass die Listen sich von Jahr zu Jahr ändern. Man kann das, auch mit großen Worten, als "Organizational Dynamics" bezeichnen. Es ist die simple Tatsache, dass man immer wieder mit neuen und anderen Leuten zusammenarbeiten muss. Es sind neue Kollegen dazugekommen; bei den Geschäftspartnern hat Personalwechsel stattgefunden; die Bank hat einen anderen Kreditchef; meine Mitarbeiter sind nicht mehr dieselben usw. Nur in manchen Managementtheorien bleibt die Welt konstant, und nur in manchen ökonomischen Theorien gibt es noch immer die "ceteris paribus"-Klausel. In der Wirklichkeit gibt es so etwas nicht - die Wirklichkeit ändert sich.
Schritt 3: Eine Maßnahme
Auf der Basis der zwei Listen und dieser beiden Erfahrungen führen die Profis nun eine Maßnahme durch. Während die ersten beiden Schritte dieser Methode wenig Zeit erfordern, benötigt dieser dritte Schritt - leider - ziemlich viel Zeit. Aber sie ist gut investiert. Jetzt gehen sie zu jedem, der auf ihren Listen steht, hin und reden mit ihm. Worüber? Immer über die folgenden Fragen:
Was brauchen Sie von mir, damit Sie Ihre Arbeit so effektiv wie möglich machen können?
Was kann ich tun, damit unsere Zusammenarbeit möglichst konstruktiv ist?
Was könnten Sie tun, damit ich meine Arbeit möglichst gut machen kann?
Man geht als Controller also zu seinem Kollegen aus dem Marketing und sagt sinngemäß: "Ich mache Controlling und Sie Marketing. Ich glaube, das und das ist es, was Sie von mir brauchen, um wirksam arbeiten zu können. Stimmt das? Sehen Sie das auch so?"
Manchmal wird es, insbesondere wenn man schon lange zusammenarbeitet und seinen Kollegen schon recht gut kennt, ein kurzes Gespräch. Der Kollege "Marketing" wird sagen: "Ja, alles in Ordnung. Wo liegt das Problem? Warum kommen Sie?" "Ich wollte nur sicher sein ..."
Konstruktiver Austausch
Dieses Gespräch wäre vielleicht nicht nötig gewesen, aber es war dennoch nicht überflüssig. Was man damit nämlich erreicht hat, meistens in wenigen Minuten, ist etwas sehr Wichtiges. Man hat seinem Kollegen das kleine, aber unendlich wirksame Signal gegeben: "Es ist mir wichtig, mit Ihnen gut zusammenzuarbeiten. Ich tue etwas dafür. Ich bemühe mich um eine konstruktive Zusammenarbeit ..."
Das Gespräch kann aber auch ganz anders verlaufen, dann nämlich, wenn der Kollege antwortet: "Ich sehe das ganz anders! Und es ist gut, dass Sie gekommen sind, ich wollte ohnehin schon lange mit Ihnen sprechen. Die langen Controlling-Berichte, die ich jeden Monat von Ihnen bekomme, würde ich eigentlich gar nicht brauchen. Ich brauche nicht alle Daten. Im Grunde würden mir die fünf wichtigsten Produktgruppen, ihre Umsätze und Deckungsbeiträge genügen. Was mir aber wirklich weiterhelfen würde, das wären die X-, Y-, Z-Zahlen über unsere 20 Prozent wichtigsten Kunden. Diese finde ich leider nicht."
Und dann kann man als Controller vielleicht etwas für den Kollegen im Marketing tun, weil man ihm diese Zahlen liefern kann, sobald man weiß, dass es das ist, was er wirklich braucht. Vielleicht kann man auch nichts tun, weil die Bereitstellung dieser Zahlen aufgrund des gegebenen Standes des Rechnungswesens und der Informatik nicht möglich ist. Dann weiß der Kollege wenigstens, warum das nicht oder noch nicht geht.
Manager, die sinngemäß so mit ihren Kollegen umgehen, haben nie Probleme. Sie sind geachtet und angesehen, und jeder, der mit ihnen zusammenarbeitet, weiß, dass sie alles, was man im Dienste einer guten Zusammenarbeit tun kann, auch tun. Man weiß, dass ihnen etwas an konstruktiver kollegialer Zusammenarbeit liegt und dass sie sich dafür einsetzen.
Weitere Management-Tipps von Fredmund Malik finden Sie auf der Themen-Seite "Malik on Management"
Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.