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Malik on Management: Falsche Menschenbilder und Stärken

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Lesezeit
17 min
Buchstaben X und Y

X,Y - passen Menschen tatsächlich in Schubladen und wie geht man als Manager damit um?

©Getty Images
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Kann man Menschen Typen zuordnen? Sind die einen wirklich unmotiviert, faul und schwach und die anderen stark, einsatzbereit und selbstständig? Für Management- und Leadership-Experte Fredmund Malik bedeutet Management, zu nutzen, was Menschen können es zu ermöglichen.

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Manager stehen oft vor der Frage, ob sie die Umsetzung ihrer Entscheidungen penibel kontrollieren oder sich auf das Verantwortungsbewusstsein und die Selbstmotivation ihrer Mitarbeiter verlassen sollen.

Alles, was mit den Human-Ressourcen zu tun hat, die Auswahl von Menschen, ihre Förderung und Entwicklung, Arbeit und Leistung, Motivation und Zufriedenheit, Führungsstil, Einsatz, Beförderung und Versetzung von Menschen - alles scheint in der einen oder anderen Weise die Frage zu berühren, welches Menschenbild man hat.

Eine Zeit lang wurde über dieses Thema ziemlich viel geschrieben. Heute findet man es seltener explizit behandelt. Dennoch schwingt es unvermeidlich überall mit, meistens als stillschweigend unterstellte Annahmen über Natur und Wesen des Menschen. Sobald man das Thema diskutiert, kommen ebenso unvermeidlich zwei Grundtypen von Menschenbildern zum Vorschein, die vielleicht am besten - jedenfalls am populärsten - von Douglas McGregor in seinem Buch "The Human Side of Enterprise" zusammengefasst wurden.

X- und Y-Typen

Für die beiden Grundtypen menschlichen Wesens und menschlichen Verhaltens hat McGregor die Bezeichnungen "Theorie X" und "Theorie Y" gewählt - aus Gründen, die mir nie ganz klar wurden, denn es hätte ja auch bessere Begriffe gegeben. Unter diesen Bezeichnungen sind die beiden Menschenbilder jedenfalls bekannt und populär geworden, obwohl sie natürlich keineswegs neu waren, was übrigens McGregor auch nicht verschwieg.

In Wahrheit sind sie uralt; sie sind durch die ganze Geistesgeschichte feststellbar. Am deutlichsten kommen sie vielleicht schon zum Ausdruck in den beiden Staatsmodellen von Sparta und Athen, und sie sind tragende Pfeiler der Auseinandersetzungen zwischen dem sozialistischen und dem liberalen Weltbild.

Auf der einen Seite (Theorie X) gibt es das Bild des schwachen und hilfsbedürftigen Menschen, der auf die Solidarität anderer angewiesen ist, Arbeit eher als etwas Leidvolles und Mühsames empfindet, unselbstständig ist, Antrieb und Motivation von außen braucht und unfähig ist, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

Auf der anderen Seite haben wir die Vorstellung (Theorie Y), der Mensch sei ein Wesen, das frei, selbstständig, mündig und stark sein Leben und sein Schicksal nach eigenem Ermessen gestaltet; es ist der Mensch, der gerne arbeitet und seinem Leben durch eigene Leistung einen Sinn gibt, sich selbst motiviert und die Verantwortung für sich und sein Leben selbst übernimmt.

Obwohl ich in meinen Vorträgen und Seminaren fast nie direkt über Menschenbilder spreche, werde ich immer wieder gefragt: Was haben Sie für ein Menschenbild?

Meine Antwort fällt anders aus, als man meistens erwartet. Tendenziell und weil man naturgemäß nie frei ist von Annahmen und grundlegenden Vorstellungen, muss ich offen sagen, dass ich dem zweiten Menschenbild eher zuneige, dem also, was McGregor als "Theorie Y" bezeichnet hat. Oder vielleicht besser formuliert: Es wäre mir lieber, wenn die Menschen so wären.

Nachdem ich berufsbedingt mit ungewöhnlich vielen Menschen zusammengekommen bin, weiß ich auch, dass man immer wieder Überraschungen erlebt, und daher habe ich heute eine andere Antwort: Ich habe überhaupt kein Menschenbild - oder genauer: Ich weigere mich aktiv, ein solches zu haben und damit in die Falle der Klischees der "Zwei-Typen-Theorie" zu gehen. Ich zwinge mich, auch wenn es nicht immer leicht fällt, davon auszugehen, dass wir ganz einfach nicht wissen, wie die Menschen wirklich sind.

Zum Glück hat man als Führungskraft auch nicht das Problem, die Menschen führen zu müssen. Man muss nur jene 10, 15 oder 20 Personen führen, die das Schicksal oder der Zufall oder meine eigene Auswahl zu meinen Mitarbeitern gemacht hat.

Schwierige Verallgemeinerung

Ich möchte, bevor ich das Thema weiter ausführe, auf etwas hinweisen, das mir je länger umso wichtiger erscheint. Es ist der Unterschied zwischen der wissenschaftlich-akademischen Denkweise und der praktischen Problemstellung. Die Wissenschaft sieht es als ihre Aufgabe an, Wissen von allgemeiner Gültigkeit zu finden, im Idealfall allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten. Das ist in Ordnung und wird wohl die vornehmste Aufgabe der Wissenschaft bleiben. Management ist in diesem Sinn aber keine Wissenschaft, sondern Praxis. Die Situation der Führungskraft ist die konkrete, spezifische, hier und jetzt gegebene singuläre Lage.

Ich will natürlich nicht ausschließen, dass man auch im Management, wenn es denn allgemeingültiges Wissen auf diesem Gebiet geben sollte, solche Erkenntnisse anwenden kann. Aber selbst die Anwendung allgemeiner Erkenntnisse ist noch immer eine Applikation auf den spezifischen Einzelfall mit all seinen konkreten und singulären Umständen. Mir scheint, dass der Unterschied zwischen dem Allgemeinen und dem Konkreten eine der Hauptursachen für die gelegentlich zu beobachtenden, oft heftigen Auseinandersetzungen zwischen Wissenschaftern und Praktikern ist - sie gehen von gänzlich verschiedenen Fragestellungen aus.

Die Managementlehre kann daher möglicherweise nie eine wirkliche Wissenschaft sein, und vielleicht sollte sie es auch gar nicht versuchen. Sie ist eine Disziplin, die auf praktische Anwendung im Einzelfall gerichtet ist, und daher ist sehr genau zu prüfen, was man allenfalls verallgemeinern kann und was ganz sicher nicht.

Nun aber zurück zum Thema. In einem Punkt verallgemeinere ich natürlich auch, wenn ich sage: Wir wissen nicht, wie die Menschen sind. Diese Verallgemeinerung führt aber zur richtigen Fragestellung, nämlich herauszufinden, wie der einzelne Mensch ist, mit dem ich es jetzt und unmittelbar zu tun habe. Es ist also eine Verallgemeinerung, die zur Konkretisierung führt und zu dieser zwingt, daher also nicht nur eine ungefährliche, sondern eine nützliche Verallgemeinerung.

Welche Folgen hat das?

  1. Es wird wohl so sein, dass es eine gewisse Zahl von Menschen gibt, die generell und immer dem einen oder dem anderen der genannten Menschenbilder entsprechen, also gewissermaßen "reinrassige" Theorie-X- oder Theorie-Y-Typen sind. Ich meine aber, dass diese Fälle eher selten sind.

  2. Was viel häufiger und viel wichtiger ist, ist eine Beobachtung, die mit Sicherheit jede(r) schon gemacht hat. Es gibt Menschen, die am Arbeitsplatz und während der Arbeitszeit ganz eindeutig Theorie-X-Typen zu sein scheinen, also eher unwillig sind, vielleicht sogar faul, schwer zu bewegen, demotiviert, ohne Einsatz, Initiative und ohne Ideen.

    Derselbe Mensch aber, der nichts anderes im Kopf zu haben scheint als das Ende des Arbeitstages, ist danach, zum Beispiel als Vereinsvorstand oder Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, hoch engagiert, hoch motiviert, ideenreich und einsatzfreudig. Was also ist das für ein Mensch? Ist er ein Theorie-X- oder ein Theorie-Y-Typ? Oder ist er beides gleichzeitig - oder keines von beidem? Oder stimmt eben doch diese so plausibel erscheinende Kategorisierung ganz einfach überhaupt nicht?

    Ein Mensch, der als Mitarbeiter faul ist, kann zum Beispiel als Sportler mit Leidenschaft und größtem Fleiß trainieren oder sonstigen Hobbys nachgehen. Es gibt umgekehrt aber auch Menschen, die sehr gute Mitarbeiter sind und gleichzeitig in ihrem Privatleben nie etwas bewegen, ihre Abende vor dem Fernseher zubringen und sich treiben lassen.

  3. Nun wird man sagen, das unterschiedliche Verhalten hänge eben von den Aufgaben ab. Das ist sicher richtig, und es ist ein Beweis für meine These, dass es wenig Sinn macht, von Menschenbildern zu sprechen, sondern dass offensichtlich ganz andere Dinge wesentlich sind. Aber es kommt noch etwas Weiteres hinzu.

    Man kann Folgendes beobachten: Selbst, wenn man zum Ergebnis kommt, dass eine Person schwerpunktmäßig dem einen oder anderen Typus zuzuordnen ist, so gibt es doch im Zeitablauf oft ganz erhebliche und ins Gewicht fallende Verhaltensschwankungen. X-Typen sind nicht immer in X-Stimmung, und Y-Typen erbringen nicht immer Y-Leistungen.

    Auch die besten Leute sind nicht immer "gleich gut drauf", sie haben, wie wahrscheinlich jeder Mensch, ihre schwachen Zeiten und ihre Durchhängephasen. Am einen Tag ist man in bester Form, und am anderen geht alles nur sehr mühsam. Auch hier helfen also die Typologien und Menschenbilder nicht sehr viel. Im Gegenteil, sie verstellen den Blick auf etwas, worauf z. B. jeder Sporttrainer sehr aufmerksam achtet - auf die Tagesform sowie auf das Wechselspiel von Hoch- und Tiefleistungsphasen.

Individuelle Formschwankungen

Jeder, der regelmäßig Training betreibt, weiß, dass es diese Schwankungen auch dann gibt, wenn man an sich von innen heraus hoch motiviert ist und sich so gesehen durchaus zum Y-Typ zählen darf. Bis zu einem gewissen Grade kann man das selbstverständlich durch Disziplin und vielleicht Härte gegen sich selbst kompensieren. Das geht aber eben nur bis zu einem gewissen Grad. Spitzenergebnisse wird man an solchen "Hängertagen" eben trotzdem nicht erzielen, oder wenn, dann nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand.

Die Diskussion um das Menschenbild bringt also nicht sehr viel - zumindest für das Management von Organisationen. Ob man mit solchen Klassifizierungen etwas anfangen kann in anderen Lebensbereichen, will ich offen lassen. Ich selbst habe meine Zweifel. Im Management kommt es aber jedenfalls auf andere Dinge an. Ich halte es für einen schlimmen und leider häufig vorkommenden Fehler, Dinge zu verallgemeinern, die man nicht verallgemeinern kann, und zu klassifizieren, wo man nicht klassifizieren kann; und dazu gehört ganz sicher die Frage, wie Menschen im Allgemeinen sind.

Wir haben heute etwa acht Milliarden Menschen auf der Welt, aber keine zwei Menschen sind gleich. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden es elf bis zwölf Milliarden sein. Auch dann wird es keine zwei gleichen Menschen geben. In der Bibel können wir lesen: "... und Gott erschuf den Menschen ..." Aber das stimmt nicht, unabhängig davon, wie man zur Evolutionstheorie stehen mag. Gott erschuf nicht den Menschen, sondern er erschuf Individuen.

Nicht nur läuft man mit falschen Verallgemeinerungen und Typisierungen Gefahr, Menschen Unrecht zu tun, sondern man wird blind für die wirklich wesentlichen Fragen, wenn es um Leistung geht und um die Nutzung menschlicher Potenziale.

Die wesentliche Frage ist nicht, wie Menschen im Allgemeinen sind. Schon besser, aber noch immer nicht wirklich entscheidend ist die Frage, wie ein spezieller Mensch - ich selbst, mein Mitarbeiter, mein Kollege - im Allgemeinen ist. Wesentlich ist die Frage, welche für die spezifische Aufgabe wesentliche(n) Stärke(n) eine konkrete Person hat, gleichgültig, wie sie sonst und im Allgemeinen ist.

Menschen mögen schwach sein, sie mögen irrational und hilfsbedürftig sein, sie mögen Kosten verursachen und Probleme haben. Das alles sind keine Gründe, weswegen sie auf der Lohnliste einer Firma stehen; es sind auch keine Gründe, sie nicht anzustellen, weil jeder von uns irgendwann und mit Bezug auf irgendwelche Dinge schwach, irrational und hilfsbedürftig ist. Der einzige Grund, weswegen jemand auf der Lohnliste eines Unternehmens steht, liegt in seinen ein, zwei oder drei Stärken und Fähigkeiten, die ein Potenzial darstellen, das es gilt, produktiv zu machen und damit eine Leistung zu erbringen.

Management heißt in letzter Konsequenz, das, was Menschen können - gleichgültig, wie sie sonst sein mögen -, zu nutzen und es den Menschen zu ermöglichen, dort, wo sie etwas können, eine Leistung zu erbringen. Und weil es keine Menschen gibt, die nur Stärken haben, muss man vieles, was einem nicht gefällt, in Kauf nehmen. Es gibt keinen anderen Weg zu Leistung und zu Ergebnissen. Im Leben im Allgemeinen mag man diese Dinge anders sehen - obwohl ich glaube, dass es auch dort eine gute Devise ist, auf die Stärken und Fähigkeiten zu schauen.

In Organisationen ist es unumgänglich. Organisationen haben nur einen Zweck: Stärken zu nutzen und Schwächen - nicht zu eliminieren, sondern bedeutungslos zu machen. Das ist auch der einzige Zweck von Teamarbeit.

Weitere Management-Tipps von Fredmund Malik finden Sie auf der Themen-Seite "Malik on Management"

Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.

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