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Malik on Management: Nutzen Sie die Stärken

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Nicht die Schwächen, sondern die Stärken bringen ein Team und ein Unternehmen zum Erfolg.

Nicht die Schwächen, sondern die Stärken bringen ein Team und ein Unternehmen zum Erfolg.

©Getty Images/iStockphoto
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Aus einem erfolgreichen Marathonläufer kann nie ein guter Sprinter werden. Erfolgreiche Manager setzen daher ihre Mitarbeiter entsprechend ihren besonderen Fähigkeiten ein. Management- und Leadership-Experte Fredmund Malik erklärt, warum es entscheidend ist, auf die Stärken zu setzen.

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Für ein erfolgreiches Management kommt es besonders darauf an, bereits vorhandene Stärken der Mitarbeiter zu nutzen. Die Betonung liegt auf "bereits vorhandene" Stärken und nicht auf solchen, die man noch aufbauen und entwickeln muss; und das Wesentliche ist "Stärken nutzen" und nicht "Schwächen beseitigen". Das muss deshalb betont werden, weil die meisten Führungskräfte - und, wie es scheint, darunter besonders viele Personalexperten - überwiegend mit dem Gegenteil dessen befasst sind, was dieser Grundsatz fordert, eben mit dem Entwickeln von etwas statt mit der Nutzung dessen, was schon da ist, und zweitens mit der Beseitigung von Schwächen statt dem Einsatz von Stärken.

Von allen Grundsätzen guten Managements halte ich diesen für den mit Abstand wichtigsten - unter anderem deshalb, weil gegen ihn am häufigsten verstoßen wird und die Folgen davon gravierend sind. Der Grundsatz der Stärkennutzung hat größte Konsequenzen für alles, was mit Menschen zu tun hat - für die Auswahl von Menschen, deren Ausbildung, für die Stellenbildung und Stellenbesetzung, für die Leistungsbeurteilung und für die Potenzialanalyse.

Die Konsequenzen sind höchst positiv, wenn man diesen Grundsatz beachtet, und sie sind zerstörerisch, wenn man ihn nicht beherzigt oder gar aktiv dagegen arbeitet, was meistens in bester Absicht geschieht, in der Wirkung aber desaströs ist. Ich gehe so weit, zu behaupten, dass ein erheblicher Teil dessen, was als Tragik im existenziellen Sinne bezeichnet wird, mit der Missachtung oder Unkenntnis dieses Grundsatzes zusammenhängt.

Auf Schwächen fixiert.

In Gesprächen mit Führungskräften außerhalb des Offiziellen, zum Beispiel abends beim Essen, dann, wenn sie offen und ehrlich sein können, frage ich immer wieder: "Erzählen Sie doch ein bisschen von Ihren Mitarbeitern. Was haben Sie für Leute? Was haben Sie für Kollegen und was für einen Chef?" Als ob man Schleusen geöffnet hätte, sprudelt es nur so heraus, und sie berichten mir - über die Defizite und Schwächen; darüber, was die Leute alles nicht können, was die Kollegen für Idioten sind und welcher Versager der Chef ist ...

Das menschliche Gehirn und besonders unsere Wahrnehmung scheinen auf eigentümliche Weise negativ oder destruktiv zu arbeiten. Was nicht funktioniert, fällt uns auf - weil es nicht funktioniert und weil es daher Schwierigkeiten bereitet. Die Defizite brennen sich ins Bewusstsein, weil sie Probleme schaffen, Maßnahmen erfordern, Mühe machen. Dass menschliche Wahrnehmung selektiv ist, ist eine altbekannte Tatsache. Nicht immer ganz klar ist, was wir als wahrnehmungsrelevant auswählen. Im vorliegenden Fall sind es die Schwächen und Mängel der Menschen.

Der Grundsatz der Stärkennutzung hat größte Konsequenzen für alles, was mit Menschen zu tun hat.

Ständiges Jammern und Klagen über die Defizite von Menschen, seien es Mitarbeiter, Kollegen oder Chefs, Kunden oder Lieferanten oder sei man es selbst, ist kein gutes Zeichen. Leute, die das tun, müssen entweder noch einige Grundwahrheiten über Management erlernen, wie eben das Prinzip der Stärkenorientierung. Sie haben sich vielleicht noch nicht gründlich genug mit Menschenführung befasst. Oder sie haben möglicherweise ein paar zwar moderne, aber falsche Theorien gehört. Vielleicht handelt es sich um Anfänger, vielleicht aber auch um schlichtweg inkompetente Leute. Der letzten Kategorie kann man nicht helfen. Sie sind in einer Organisation eine Gefahr für Menschen und müssen daher aus Führungspositionen entfernt werden.

Es sind übrigens keineswegs nur Manager auf den unteren organisatorischen Ebenen, die schwächenorientiert denken, wie man vielleicht anzunehmen versucht ist.

Mit Regelmäßigkeit finde ich diese Haltung in hohen und höchsten Gremien, in Vorständen und Aufsichtsräten. Dort weiß man immer ganz genau, was "unsere Leute" oder "die Kollegen" nicht können. Nun führt das eben zu nichts. Es hilft niemandem, und es löst nicht das geringste Problem. Daher braucht es immer wieder jemanden, der - nachdem man sich lange und ausführlich über die Schwächen der Leute unterhalten hat - fragt: Und was können diese Personen eigentlich?

Stärken, nicht Defizite hervorkehren.

Wenn man Menschen vor dem Hintergrund der Stärkenorientierung beobachtet, wird man - es ist fast zu trivial, um erwähnt zu werden - praktisch ohne Ausnahme finden, dass jeder - auch der scheinbare Unfähigste - Stärken hat, wahrscheinlich wenige, meistens nur eine einzige. Und man wird weiter finden, dass auch die fähigsten Leute, die Spitzenkönner, große und viele Schwächen haben. Weniger trivial, sondern tragisch ist es, dass man sich in erster Linie auf das Erkennen von Schwächen konzentriert - und dann die gesamten Kräfte einsetzt, um diese zu beseitigen. Das ist eine erfolgreiche Strategie; sie ist aber leider auf eine teuflische Weise erfolgreich.

Da hat ein Mitarbeiter Defizite - zum Beispiel in kommunikativer Kompetenz oder in seiner Teamfähigkeit. Man konzipiert ein Förderungs- und Entwicklungsprogramm, schickt ihn auf Seminare oder lässt ihn coachen. Selbstverständlich hat das seine Wirkung: Nachdem einige dieser Maßnahmen absolviert sind, wird er hier große Fortschritte gemacht haben, und dort wird man Verbesserungen erkennen, jenes Manko ist geringer geworden, und dieses Problem ist gemildert. Der Mann ist besser geworden - aber in welchem Sinne? Er ist besser geworden im Sinne von "weniger schwach". Er hat einen markanten Schritt gemacht. Aber wohin? Zur Mittelmäßigkeit. Er ist als Mitarbeiter "pflegeleicht" geworden; vorher hat er jeden Tag dreimal Schwierigkeiten bereitet, jetzt nur noch jeden dritten Tag einmal. Das wird als Fortschritt bewertet, und man sieht sich in dieser Strategie bestätigt.

Stärken mit Aufgaben zur Deckung bringen.

Was aber noch viel schwerer wiegt, ist, dass man mit größter Wahrscheinlichkeit, eben weil man so sehr auf die Schwächen und ihre Ausmerzung fixiert war, zu fragen versäumt hat, wo der Mitarbeiter seine Stärken hat, was er also kann. Das ist die erste Pflicht. Und die zweite ist es, die Aufgaben für diese Person so zu gestalten, dass bestmögliche Deckung entstehen kann zwischen dem, was die Person kann, und dem, was sie im Unternehmen zu tun hat.

Auf einem Gebiet, auf dem man schon gut ist, besser und vielleicht sehr gut zu werden erfordert sehr viel weniger, als dort, wo man schlecht ist, nur Mittelmäßigkeit zu erreichen.

Das ist es, was mit dem Grundsatz der Stärkenorientierung und Stärkennutzung gemeint ist und durch seine Anwendung herbeigeführt wird: die Menschen dort einzusetzen, wo sie bereits etwas können. Das ist es auch, was man bei allen wirksamen, erfolgreichen, guten Führungskräften beobachten kann. Sie kümmern sich wenig bis gar nicht um die Schwächen der Menschen. Diese interessieren sie nicht, weil sie darauf nichts aufbauen und aus ihnen nichts herausholen können. Sie interessieren sie auch deshalb nicht, weil sie erhebliche Zweifel haben, daran etwas ändern zu können. Sie suchen die Stärken, die schon da sind, und dann gestalten sie die Stellen, Aufgaben und Jobs so, dass die Stärken zur Nutzung gelangen können.

In Lehre und Praxis wird zwar viel über die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität geredet, meistens wird die Last der Anpassung aber den Menschen aufgebürdet. Von den Menschen wird erwartet und verlangt, dass sie sich ändern, nicht von der Organisation. Wenn es darum geht, die Organisation im hier besprochenen Sinne zu modifizieren, also Aufgaben so weit wie möglich an den Stärken der Menschen auszurichten, dann ist die Bereitschaft für Wandel schon viel geringer. Dann wird eher mit organisationstheoretischen Dogmen operiert, z. B. damit, dass man personenunabhängig organisieren müsse. Ein Unternehmen wird aber nicht dafür bezahlt, dass es Lehrbuchvorschriften befolgt, sondern dass es seine Mitarbeiter wirksam macht. Denn nur so kann jene Leistung erbracht werden, für die Kunden bereit sind, Rechnungen zu bezahlen.

Zugegeben, was dieser Grundsatz verlangt, ist meistens nicht einfach zu realisieren; aber es ist hochwirksam. Es wird wahrscheinlich auch nie zu 100 Prozent gelingen. In dem Maße aber, in dem es gelingt, Stärken und Aufgaben zur Deckung zu bringen, darf man sicher sein, dass zwei Ergebnisse eintreten werden: erstens, plötzlich kommen die "berühmten" Spitzenleistungen. Ich vertrete zwar schon lange die Meinung, dass es darauf nicht ankommt, und ich halte wenig vom permanenten Gebrauch von Superlativen im Management; aber wenn schon, dann können die Spitzenleistungen dort - und nur dort - eintreten, wo eben Stärken vorhanden sind. Dort, wo ein Mensch seine Schwächen hat, können sie jedenfalls nicht erwartet werden.

Und man wird etwas Zweites, vielleicht Wichtigeres, beobachten: Man wird nie wieder ein Motivationsproblem haben, und daher muss auch keines mehr gelöst werden. Die Motivationsprobleme verschwinden ganz einfach. Man braucht nämlich niemanden zu motivieren, dort gut zu sein, wo er gut ist, wo er eben seine Stärken hat. Und ich behaupte, dass es - umgekehrt - absolut gar keinen Weg gibt, jemanden zu motivieren, dort gut zu sein, wo er seine Schwächen hat.

Notabene löst sich damit - als Nebenwirkung - auch das Problem und der Vorwurf der "Menschenschinderei" auf: Es ist überhaupt nichts dabei, große Leistungen dort zu fordern, wo die Menschen etwas können. Aber es ist unmenschlich, es dort zu tun, wo die Menschen ihre Schwächen haben.

Schwächen in Stärken verwandeln?

Die Unmenschlichkeit beginnt schon damit, von Menschen überhaupt die Beseitigung ihrer Schwächen zu verlangen. Das allein erfordert fast immer enorme - und gelegentlich übermenschliche - Anstrengungen. Das wäre an sich aber noch nicht das entscheidende Problem, denn man könnte ja hoffen, dass der Aufwand durch die damit erzielten Ergebnisse zu rechtfertigen sei. Diese Hoffnung erweist sich meistens als falsch.

Keine Schwächen als Folge ihrer Ausmerzung zu haben ist etwas gänzlich anderes, als Stärken zu besitzen. Die Beseitigung einer Schwäche bedeutet ja nicht, dass damit automatisch eine Stärke entsteht, obwohl viele das anzunehmen scheinen, sondern es führt eben nur zum Fehlen der Schwäche. Wenn jemand nach schulischen Maßstäben keine Schwäche in einer Fremdsprache hat, so heißt das ja noch lange nicht, dass hier seine ausgesprochene Stärke liegt, er oder sie zu schriftstellerischen oder besonders bemerkenswerten übersetzerischen Leistungen fähig ist.

Kommen wir zum Gegenteil: Im Gegensatz zu den Anstrengungen und den meistens nur kläglichen Ergebnissen, die mit der Schwächenbeseitigung verbunden sind, kann regelmäßig beobachtet werden, dass mit vergleichsweise geringem Aufwand aus einer wenigstens ansatzweise schon vorliegenden Stärke wirklich etwas gemacht werden kann. Auf einem Gebiet, auf dem man schon gut ist, noch besser und vielleicht sehr gut zu werden erfordert normalerweise sehr viel weniger, als dort, wo man schlecht ist, auch nur Mittelmäßigkeit zu erreichen.

Auf einem Gebiet, auf dem man schon gut ist, besser und vielleicht sehr gut zu werden erfordert sehr viel weniger, als dort, wo man schlecht ist, nur Mittelmäßigkeit zu erreichen.

Diese fast durchgängige Asymmetrie ist es, die im Management zu nutzen ist. Man beachte einmal mehr, dass ich von Management und von Menschen in Organisationen spreche. Wenn sich jemand als Privatperson vornimmt, seine Bemühungen auf die Beseitigung seiner Schwächen zu konzentrieren, statt seine Stärken zu nutzen, so ist das seine private und persönliche Entscheidung. Ich würde allerdings auch hier eher davon abraten, weil man auf einem anderen Weg einfach viel mehr erreichen kann.

Keine Persönlichkeitsreform.

Bedeutet die Orientierung an Stärken, dass man Schwächen ignorieren soll? Keineswegs, das wäre naiv. Schwächen muss man kennen; aber nicht aus dem Grund, aus dem die meisten Leute sie kennen wollen, nämlich um sie zu beseitigen. Man muss sie kennen aus einem ganz anderen Grund, nämlich um nicht den Fehler zu begehen, Menschen dort einzusetzen, wo sie ihre Schwächen haben. Die Orientierung an Stärken bedeutet somit nicht, unrealistisch zu sein, Gesundbeterei zu betreiben, naiv und idealistisch zu sein.

Gutes Personalmanagement, alles, was mit Human Resources zu tun hat, muss im Prinzip genauso ausgerichtet und aufgebaut sein wie das Training von Sportlern. Ein Sportlehrer, der mit Kindern oder Jugendlichen zu arbeiten hat, wird sie eine Zeit lang alle in Frage kommenden Sportarten ausprobieren lassen, und er wird ihnen dabei zuschauen. Nach dieser Probephase wird er mit jedem Einzelnen sprechen.

Zum Ersten wird er vielleicht sagen: "Du bist ein Sprinter", und dann wird er ihn in die Sprintbewerbe dirigieren. Sein Trainingsprogramm wird immer wieder das Üben des Startens vorsehen, weil in den Sprintdisziplinen das Starten eben erfolgsentscheidend ist.

Zu einer Zweiten wird er vielleicht sagen: "Eine Sprinterin bist du nicht. Deine Disziplin sind eher die langen Strecken. Ich weiß noch nicht genau, welche Distanzen dir am besten liegen, aber die kurzen sind es jedenfalls nicht." Das Trainingsprogramm dieses Kindes wird nicht das Starten beinhalten, weil das eben in den langen Bewerben nicht wesentlich ist. Noch nie hat jemand einen Marathonlauf gewonnen, weil er "gut vom Start weggekommen ist".

Der Trainer wird der Sportlerin zeigen, wie man Ausdauer aufbaut und wie man ein Rennen taktisch einteilt, jene Dinge also, die für die langen Distanzen wichtig sind. Er wird Hochspringer nie in Laufbewerben einsetzen und Schwimmer nicht im Kugelstoßen. Sportler werden stärkenorientiert ausgewählt, und ihre Disziplin wird mit ihren Stärken zur Deckung gebracht.

Alles, was ich bisher sagte, ist ein Plädoyer gegen die Veränderung von Menschen, vor allem gegen die Veränderung ihrer Persönlichkeit. Viel zu viele Manager sind ständig damit beschäftigt, Menschen zu verändern. Man sagt das nicht ausdrücklich; es wird vornehm als Persönlichkeitsentwicklung bezeichnet. In Wahrheit aber läuft das meiste auf den Versuch einer Veränderung der Persönlichkeit hinaus.

Das ist aber ganz sicher nicht die Aufgabe von Management.

Weitere Management-Tipps von Fredmund Malik finden Sie auf der Themen-Seite "Malik on Management"

Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.

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