Zwei Grundfehler des Managens sind übertriebenes Risiko und das Schielen auf Wertsteigerungen. Warum Risiken abgewogen und Customer Value, nicht Sharholder Value das Ziel sein muss erklärt Fredmund Malik.
"No risk, no fun" und "No pain, no gain" sind zwei Leitsprüche, die mir bei jugendlichen, trendigen Managern immer häufiger begegnen. Sie übertragen Regeln aus ihrem Freizeitverhalten auf das Führungsverhalten in Unternehmen. Sie erliegen dabei einem gefährlichen Trugschluss.
Betrachtet man das Verhalten erfolgreicher Unternehmer und Manager, kann man unschwer erkennen, dass sie nicht im üblichen Sinne risikofreudig sind. Und genauso sieht man, dass sie nicht ständig den Unternehmenswert im Sinn haben. Ihr Führungsverhalten orientiert sich nicht primär daran, den Wert zu pushen. Sie haben etwas Anderes, Wichtigeres im Sinn. Sie sind gelassen und handeln eher nach dem Motto: "Keep cool."
Vier Arten des Risikos
Ist Risikofreude - eine Tugend? Fehlender wirtschaftlicher Sachverstand und Management-Unkenntnis haben zu den größten Risiko-Orgien geführt, die es je gegeben hat. Gute Unternehmer haben ein sehr zwiespältiges Verhältnis zum Risiko. Sie haben gelernt, dass man präzise zwischen verschiedenen Arten des Risikos unterscheiden muss. Es gibt deren vier.
1. Das Risiko des Wirtschaftens
Da ist erstens das Risiko, das unvermeidlich mit allem Wirtschaften verbunden ist. Das Leben selbst ist bekanntlich schon lebensgefährlich, und die Wirtschaft an sich hat keinen Mangel an Risiken. In der Wirtschaft ist nichts gesichert. Leute, die bilanzieren müssen, und vor allem jene, die mit eigenem Geld bilanzieren, wissen das. Niemand muss es ihnen sagen, und daher stehen sie typischerweise dem Ruf nach größeren Risiken skeptisch gegenüber. Schon das gewöhnliche Risiko ist groß genug. Man braucht kein zusätzliches.
2. Leistbares Risiko
Die zweite Risikoart ist das über das erste hinausgehende Risiko, das man sich leisten kann. Man kann sich dieses Risiko leisten, weil es einen nicht umbringt, falls es schlagend wird. Dieses Risiko geht man ein - und die meisten Unternehmer brauchen dafür keine besondere Aufforderung. Wer eine Million Euro im Jahr verdient und mit 10.000 auf die Spielbank geht, geht daran nicht zugrunde.
3. Nicht leistbares Risiko
Das dritte Risiko ist jenes, das man sich definitiv nicht leisten kann, weil es einen eben umbringt, wenn der Risikofall eintritt, weil es einen in die Pleite treibt. Dieses Risiko darf man nicht eingehen, unter keinen Umständen und niemals, gleichgültig, was Leute fordern, die oft schon das gewöhnliche Wirtschaftsrisiko nicht kennen.
Hier helfen auch keine noch so raffinierten, manchmal als Wissenschaft getarnten Überlegungen und Berechnungen. Vor allem hilft der Hinweis auf Wahrscheinlichkeiten nichts.
Die Frage, die man stellen muss, lautet nicht: "Wie wahrscheinlich ist das Risiko?"
Die Frage muss lauten: "In welcher Situation befinde ich mich, wenn es schlagend wird, gleichgültig, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist?"
Junge Akademiker mögen von den raffinierten Wahrscheinlichkeitskalkülen fasziniert sein; erfahrene Unternehmer sind es nicht.
Das bedeutet noch nicht, dass man über ein solches Geschäft prinzipiell nicht nachdenkt. Aber statt sich den Kopf über Wahrscheinlichkeiten zu zerbrechen, überlegt man, wie man aus dem Risiko der dritten Art ein solches der zweiten machen kann - durch Vertragsgestaltung, gemeinsam mit Partnern oder indem man einen Dummen findet, der bereit ist, das Risiko zu übernehmen.
4. Risiko des Schicksals
Schließlich gibt es noch die vierte Risikoart. Es ist jenes Risiko, welches nicht einzugehen man sich nicht leisten kann. Es ist das Risiko, das man eingehen muss - weil man keine andere Wahl mehr hat.
Dieses Risiko nennt man aber nicht unternehmerisches oder kalkuliertes Risiko. Man nennt es Schicksal, Ausweglosigkeit oder Tragik.
Die meisten griechischen Tragödien und Shakespeare-Dramen sind um diese Form des Risikos herum konstruiert. Sie mögen spannend und faszinierend sein - im Theater, aber nicht in meiner Firma. Deshalb geht man ja gelegentlich ins Theater: um sich den Unfug der Weltgeschichte wieder einmal vor Augen zu führen - und ihn dann zu Hause nicht zu machen.
Zumindest diese vier Risikoarten sollte man unterscheiden - vor allem jene, die so laut nach dem risikofreudigen Unternehmer rufen, häufig aus einer völlig risikofreien Position heraus. Niemandem, außer den Konkursanwälten, nützt eine Unternehmenspleite. Ohne Ausnahme wird dadurch Produktivkraft vernichtet.
Wofür Wertsteigerung?
Mangelndes Wirtschaftsverständnis, Verwechslung fundamental verschiedener wirtschaftlicher Funktionen, falsche Orientierungsgrößen und naives Risikostreben haben in der Wirtschaft immer wieder enorme Schäden angerichtet. Für jede dieser Fehlentwicklungen gibt es klare, richtige Alternativen.
Der letzte Fehler, den ich hier aufzeigen will, ist die Wertsteigerung. Die Vorstellung Wertsteigerung müsse Ziel und Zweck, gar das einzige Ziel und der oberste Zweck eines Unternehmens sein, ist falsch.
Es ist kein Zweck des Unternehmens, wertvoll zu sein. Das kann wohl ein Zweck der Aktionäre sein - nämlich dann, wenn sie in Wahrheit nicht am Unternehmen interessiert sind, sondern an den Papieren, die das Eigentum am Unternehmen verbriefen - eben den Aktien -, und wenn sie Aktien mit Unternehmen verwechseln.
Aus diesem Grunde findet sich auch in keinem Gründungsstatut ein Satz nach dem Muster, dass "hiermit eine Aktiengesellschaft gegründet wird, mit dem Zwecke, wertvoll zu sein". In den Statuten finden sich andere Zweckbestimmungen, etwa dass der Zweck der zu gründenden Aktiengesellschaft der "Handel mit Waren aller Art" oder "das Betreiben von Bankgeschäften" oder "die Herstellung von Software" sei.
Zweck des Unternehmens muss sein, auf seinem Gebiet wettbewerbsfähig zu sein. Das ist etwas ganz anderes als wertvoll. Konkurrenzfähig ist ein Unternehmen dann, wenn es das, wofür der Kunde bezahlt, besser kann als andere. Daher kann man auch sagen, der Zweck des Unternehmens sei, zufriedene Kunden zu schaffen.
Weder die Schaffung von Arbeitsplätzen kann ein Zweck des Unternehmens sein noch die Schaffung von Shareholder-Value. Der Zweck eines Unternehmens ist auf die Schaffung von Customer-Value auszurichten. Wer Kunden hat, wird immer auch Aktionäre oder andere Kapitalgeber haben; das Umgekehrte gilt aber nicht.
Kunden oder Aktionäre?
Zwischen dem Wert eines Unternehmens - egal wie man ihn ermittelt - und seiner Konkurrenzfähigkeit gibt es keinen kausalen Zusammenhang. Man kann nicht vom Wert der Aktie auf die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens schließen. Die Kausalbeziehung zwischen Konkurrenzfähigkeit und Aktienwert ist in keiner Weise zwingend.
Der Kunde bezahlt nicht - wie das der Aktionär tut - für den Wert des Unternehmens; er bezahlt für den Wert der Produkte oder Dienstleistungen. Das ist weder ein Wert des Unternehmens noch für das Unternehmen. Es ist ein Wert für den Kunden. Was in seinen Augen für ihn - und ausschließlich für ihn - wertvoll ist, das bezahlt er - und nur deshalb kauft er überhaupt. Ob durch diesen Kauf der Wert des Unternehmens gesteigert wird, ist für ihn völlig bedeutungslos. Wenn man schon mit Wertsteigerung operieren will, dann muss es also Wertsteigerung für den Kunden sein, Customer-Value, wie schon erwähnt, und erst lange danach Shareholder-Value.
Der Wert des Unternehmens ist nur in zwei Fällen bedeutsam:
Wenn es um Kauf oder Verkauf eines Unternehmens geht.
wenn eine feindliche Übernahme droht.
Für die unternehmerische Tätigkeit des Unternehmens selbst, für das eigentliche Wirtschaften also, stellt sich die Frage nach dem Unternehmenswert überhaupt nicht, sondern es stellt sich jeden Tag neu die Frage der Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit.
Der Shareholder-Value und seine rechnerische Ermittlung wurden nicht für die Zwecke des Handelns für Unternehmen, also ihre Führung, entwickelt, sondern für den Handel mit Unternehmen - und zwar in Zusammenhang mit Mergers und Akquisitions. Damit wurde die Aufmerksamkeit auf die einfachste Seite des Wirtschaftens gelenkt, nämlich auf die Verteilung des Unternehmensergebnisses. Die schwierige Aufgabe ist aber die seiner Erwirtschaftung, eben die Führung des Unternehmens.
Was hier vorliegt, ist eine - einfach zu erkennende - Verwechslung des Zwecks der Aktionäre mit dem Zweck des Unternehmens und eine höchst fragwürdige Gleichsetzung von beiden. Es ist die Folge der Verwechslung von Investor und Unternehmer.
Take Aways
Risikofreude allein macht keinen guten Manager aus.
Es muss genau kalkuliert werden, in welcher Situation sich riskantes Verhalten lohnen kann.
Der Wert des Unternehmens darf nicht das Handeln des Managers bestimmen.
Eine Führungskraft muss den Betrieb nach den Bedürfnissen der Kunden und der Märkte ausrichten.