Michael Krammer, Geschäftsführer ventocom
©trend/Lukas IlgnerVor zehn Jahren startete ventocom-Geschäftsführer Michael Krammer den Mobilfunkdiskonter HoT: Welche Überraschungen er nicht am Schirm hatte, wie er mit Digitalisierung steigenden Kostendruck abfedert und warum er KI einsetzt, aber nicht an Chatbots glaubt.
Zehn Jahre sind eine lange Zeit im Mobilfunkmarkt. Wieviel von der initialen Geschäftsidee steckt heute noch im Unternehmen?
Ziemlich viel, würde ich sagen. Unser Ansatz, die variablen Kosten auszulagern, die maximale Einfachheit für unsere Kunden und unser Versprechen „Immer besser oder billiger für alle Kunden“ sorgen bis heute dafür, dass wir wirklich effizient arbeiten können.
Dennoch wird es nicht gereicht haben, ein gutes Konzept über die Jahre einfach nur zu managen. Welche Überraschungen hatten sie nicht im Businessplan?
Wenn man zehn Jahre zurückblickt, war das Wachstum beim Datenkonsum sicher eine der größten. Dass sich der Verbrauch um den Faktor 10 steigert, damit haben wir wirklich nicht gerechnet. Das erforderte Anpassungen bei den Tarifen und ein Nachverhandeln der Verträge mit dem Host (Anm. HoT ist in die Netze von Magenta und Hutchison eingemietet, in Slowenien bei A1).
Der massivste Einschnitt ins Geschäftsmodell war aber sicher „Roam like Home“, als die EU 2017 das Roaming abgeschafft hat. Wir sind noch in einer Zeit gestartet, als Roaming etwas gekostet hat. Da mussten wir anpassen. Die Datennutzung hat sich verfünfzigfacht innerhalb der zehn Jahre.
Wie haben Sie solche Abgänge untergebracht? Beim Preis hat ein Diskonter nicht viel Spielraum.
Das mag jetzt überraschend klingen, aber da hat unser Kundenservice sehr viel dazu beigetragen. Wir haben von Anfang an auf digitalisierte Prozesse gesetzt und den Service sehr rasch wieder ins Haus geholt, weil wir so viel schneller gesehen haben, wo etwas nicht klappt. Kundenservice und Entwicklung tauschen sich bei uns wöchentlich aus. Probleme können wir extrem schnell adressieren und damit das Anrufvolumen verringern. Im Vergleich zu den Anfangstagen hat sich unser Volumen halbiert auf 3,5 bis vier Prozent. Wir brauchen trotz besserem Servicelevel weniger Mitarbeitende. Unsere Kunden waren vom Beginn weg gewohnt, vieles selbst über die Website bzw. die App zu machen.
Zur Person
Michael Krammer ist der längst dienende Mobilfunkchef in Österreich: In der Liberalisierung 1998 als Serviceleiter bei max.mobil gestartet, machte er Anfang der Nuller Jahre den damals viertgrößten Anbieter tele.ring erfolgreich, bis der 2006 von T-Mobile übernommen wurde. Nach einem zweijährigen Zwischenspiel als Geschäftsführer von E-Plus in Deutschland, kehrte Krammer 2008 als CEO zu Orange nach Österreich zurück, das 2012 von Hutchison gekauft wurde. Im Zuge dieser Marktbereinigung erteilte die EU Wettbewerbsauflagen, die Netze verstärkt für Untermieter zu öffnen. 2013 gründete Michael Krammer mit Weggefährten die ventocom GmbH, die in der Folge Mobilfunkmarken für Unternehmen wie Hofer, Raiffeisen u.a. aufbaute. Von 2013 bis 2019 war Krammer Präsident des SK Rapid Wien.
Arbeiten Sie im Automatisierungsbereich bereits mit künstlicher Intelligenz?
Wir bereiten den Einsatz gerade vor. Mit künstlicher Intelligenz können Gesprächsaufzeichnungen unmittelbar transkribiert und innerhalb von Sekunden die Anliegen oder Probleme gefiltert werden. Damit sind wir noch schneller und effektiver in den Maßnahmen. Insofern wird uns die KI einen Push geben, aber wir werden nie soweit gehen, unsere Mitarbeitenden durch KI zu ersetzen. Man darf Dinge nicht außer acht lassen, die sich nie ändern werden – dazu gehört die Kundenorientierung. Da stimme ich Jeff Bezos zu. Kunden müssen gut bedient werden, und es gibt genügend Menschen, die sich von einem Chatbot nicht gut bedient fühlen.
Kunden müssen gut bedient werden, und es gibt genügend Menschen, die sich von einem Chatbot nicht gut bedient fühlen.
Im Kundenservice brauchen Sie trotz steigender Kundenzahlen weniger Mitarbeitende. Wo sind die Mitarbeitenden mehr geworden? Vor zehn Jahren haben Sie mit 15 Leuten gestartet.
Ich übertreibe jetzt bewusst: Aber allein durch die regulatorischen Auflagen könnten wir irgendwann mehr Juristinnen und Juristen als Call-Center-Mitarbeitende brauchen.
Sie spielen auf neue Auflagen an: Was erzeugt den juristischen Mehraufwand?
Im Wesentlichen ist es derzeit die Datenschutzgrundverordnung. Für 0,5% der Kundenbasis brauchen sie zwei Mitarbeitende, um diese Anfragen zu handeln. Das ist oft ein intensiver Dialog, der hier stattfinden muss. Dabei haben wir noch relativ wenige Kundendaten. Ich möchte nicht wissen, wie hoch dieses Anfrageaufkommen bei den großen Anbietern ist.
Und das nächste, das auf uns zukommt, ist die NIS2-Richtlinie, die betrifft IT- und Rechtsabteilung intensiv. Viele Anforderungen die in NIS2 definiert sind, erfüllen wir längst aus Eigeninteresse, nun aber müssen die Prozesse exakt dokumentiert sein und durch Behörden überprüfbar gemacht werden.
Mit der NIS2 soll die Resilienz in Sachen Cybersicherheit nachgewiesen werden. Hatten Sie schon größere Angriffe abzuwehren?
Glücklicherweise nicht. Wir haben von Beginn an mit Einmalcodes gearbeitet und nie mit Passwörtern. So gibt’s bei uns auch keine Datenbanken mit Passwörtern, die woanders für Missbrauch und Betrug verwendet werden können.
Zurück zum Tagesgeschäft: Hat der Diskontmarkt in Österreich seinen Plafond erreicht? 17 Prozent der Kunden sind bei den Diskontern.
Wenn man die Zweitmarken der Netzbetreiber dazurechnet, sind es über 25 Prozent. Und ich glaube, da geht noch was. Denn das Thema Transparenz und Flexibilität gewinnt immer mehr an Zuspruch. Als wir vor zehn Jahren gestartet haben, waren 75 Prozent der Kundinnen und Kunden in Verträgen gebunden. Der Anteil beträgt heute nur mehr 50 Prozent.
Als nächstes Etappenziel haben Sie für ventocom zwei Millionen Kunden ausgegeben. Wie wollen Sie die gewinnen in einem Segment, wo der Preis wie selten zuvor im Mittelpunkt steht?
Wir suchen immer neue Wege. Aus dem Grund haben wir jüngst auch eine Kooperation mit refurbed gestartet, weil wir glauben, dass das ein guter Triggerpunkt sein kann: Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen eben nicht mehr das neueste Smartphone. Hier trifft sich der Trend zur Nachhaltigkeit mit Preisbewusstsein.
Sie haben sich auch mit der Einführung von 5G bei HoT länger Zeit gelassen. Warum eigentlich?
Wir wollten uns im Laufe des letzten Jahres einfach einen Überblick verschaffen, wie sich Kunden mit 5G-Tarifen verhalten und wonach sie suchen. Unsere Hypothese war, dass es bei den wenigsten um die Technologie an sich geht, sondern bei fast allen darum, dass sie noch zuverlässiger noch mehr Daten verbrauchen wollen. Diese Annahme hat sich erhärtet: Wenn noch mehr Daten drin sind, sind die Kunden bereit, auch einen 5G-Tarif zu nehmen und zu bezahlen. More for more.
Mehr drin für weniger Geld ist die Kernbotschaft im Diskont: Wie stark spüren Sie die Mitbewerber und deren Aktionen?
Selbst bei aggressiven Aktionen, die über ein paar Wochen gingen, haben wir das bei den Stammkunden nicht gespürt. Die Wechselbereitschaft bei HoT ist ganz gering, weil die Kunden wissen, dass wir unser Versprechen – wenn’s billiger wird, dann für alle – noch immer gehalten haben. Wenn der Mitbewerb auftrumpft, gewinnen wir zwar weniger neue Kunden, aber das Weiterempfehlungsverhalten unserer Stammkunden ist so groß, dass wir es kompensieren können. 2024 ist ein guter Beweis: 2024 konnten wir unsere Kundenbasis um fast 80.000 steigern – trotz vergleichsweise geringer Ausgaben für Werbung.
HoT gibt es in auch in Slowenien, und in Österreich hat die ventocom u.a. für Raiffeisen oder LIWEST Mobilfunkmarken aufgebaut. Haben Sie für 2025 neue Märkte oder Marken im Visier?
Wir evaluieren Markteintritte im Ausland immer wieder – meist haben wir es aus unterschiedlichsten Gründen verworfen. Vor vier Jahren haben wir zum Beispiel die Schweiz analysiert und dabei festgestellt, dass dieser Markt doch anders tickt und wenig Platz für neue Diskonter bietet. Der Diskontmarkt ist dort kleiner und besetzt durch die Schweizer Handelskonzerne Migros und Coop, die den Handel dominieren und beide Mobilfunktarife unter ihrer Marke anbieten.
Sind neue Produkte ein Thema? Telekomkonzerne verkaufen immer öfter Produkte, die nichts mit ihrem Kerngeschäft zu tun haben: Von Versicherungen bis hin zu E-Scootern.
Das machen wir sicher nicht. Wenn das Marge bringt, dann ist die zu vernachlässigen. Natürlich kann es Sinn machen, in Shops und mit Personal, das ohnehin da ist, noch anderes zu verkaufen. Die Kernfrage ist aber wohl eher, welcher Mobilfunkanbieter in Zukunft noch eigene Shops brauchen wird.
TV allerdings ist ein interessantes Thema. Über Jahre hinweg lautete die Hypothese, dass die Konvergenz aus Mobilfunk, Festnetz, Internet und TV (Quadruple Play) der große Renner sein wird. Heute wissen wir, die Konvergenz bedeutet Mobilfunk und Internet. Es gibt so viele Streamingdienste, aus denen der Kunde wählen kann. Joyn etwa bietet alles, was die meisten brauchen: Live-TV und alle Mediatheken. Warum sollen Kunden für ein TV-Angebot der Telekomanbieter extra zahlen? Und Festnetztelefonie für Privatkunden ist tot.
Über Jahre hinweg lautete die Hypothese, dass die Konvergenz aus Mobilfunk, Festnetz, Internet und TV der große Renner sein wird. Heute wissen wir, die Konvergenz bedeutet Mobilfunk und Internet.
Sie sind seit Jahrzehnten als Topmanager und Unternehmer tätig. Was hält Sie motiviert und wie wird es weitergehen mit ventocom? In fünf Jahren sehe ich Sie nicht mehr dort, wenn ich das so offen sagen darf. Viele ihrer Weggefährten sind Privatiers oder in Pension.
In fünf Jahren bin ich ganz bestimmt nicht mehr der Geschäftsführer der ventocom. Die Vorbereitungen für eine gute Übergabe laufen bereits. Das muss aber genau so gut vorbereitet sein wie der Start des Unternehmens. Christian Fuchs (Anm. Finanzvorstand) und ich sind in einem Alter, wo man daran einfach denken muss. Christian hat im vergangenen Jahr an Jakob Müller übergeben. Es braucht einen Generationswechsel, wir wollen als Shareholder im Hintergrund aktiv bleiben und mit unserer Erfahrung weiter betragen.
Ihr Senior Knowledge ist gefragt, und Sie sind auch als Business Angel und Investor tätig. Wie sieht die Bilanz aus?
Besondere Freude macht mir die Apollo (Anm. KI-Tool für das Management) und auch die Statistikplattform 23degrees. Das sind meine beiden Hauptbeteiligungen. Die 123sonography ist aufgrund eines Founderclash leider Geschichte. Das war für mich als Investor eine interessante Lernkurve, sich mit Gründerpersönlichkeiten noch viel stärker auseinanderzusetzen. Der IT-Dienstleister techbold läuft gut, Damian Izdebski macht einen Superjob. Playerhunter gibt’s zwar auch noch, das Geschäftsmodell für Spielervermittlung im Amateurbereich hat in der Pandemie aber Rückschläge bekommen.
Das Jahr 2025 ist noch jung, verspricht aber jedenfalls aufregend und anstrengend zu werden. Was wünschen Sie sich?
Sowohl für mein Unternehmen als auch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung würde ich mir wünschen, dass Menschen weniger darüber nachdenken, was die anderen für einen tun können, sondern darüber, was sie selbst für Gesellschaft oder die Gruppe, in der sie sind, tun können. Das Prinzip Selbstverantwortung wurde in den letzten Jahren mit zu großer Begeisterung abgegeben. Dieses Bedürfnis nach Auslagern der Verantwortung hat alle Bevölkerungsschichten erreicht. Unlängst hörte ich gestandene Konzernlenker bei einem Gespräch über IT-Sicherheit bei US-Anbietern klagen, „dass die EU dafür sorgen müsse“. Wir haben österreichische und europäische Technologieanbieter. Den Mut zu autonomen Lieferantenentscheidungen und Bekenntnissen zum Wirtschaftsstandort müssen Unternehmer schon selbst aufbringen.
Ich würde mir wünschen, dass Menschen weniger darüber nachdenken, was die anderen für einen tun können, sondern darüber, was sie selbst für Gesellschaft oder die Gruppe, in der sie sind, tun können.
Gesellschaft und Politik stehen vor gewaltigen Herausforderungen: Wenn Sie als ehemaliger Offizier einen Ruf aus der Politik bekämen, würden Sie darüber nachdenken? Dem vielleicht sogar folgen, wenn Herausforderung und Setting passen?
Selbst wenn das Setting passt, müsste ich seeeehr lange darüber nachdenken.