Nach der „Message Control“ hat im Kanzleramt „Storymachine“ die Regie übernommen. Eine deutsche Söldnertruppe soll aus dem bislang glanzlosen Karl Nehammer einen strahlenden Krisenhelden machen.
von
Im Berliner Regierungsviertel sorgte der österreichische Kanzler oft schon vor Anreise in die deutsche Hauptstadt bei Angela Merkel für Verstimmung. „Seine Termine wurden meist nicht zwischen den Politiker-Kabinetten in Wien und Berlin ausgemacht, sondern aus der Chefetage im Springer-Hochhaus“, erzählt ein Wissender. Sebastian Kurz nutzte jeden politischen Trip nach Deutschland, um seine medialen Kontakte intensiv zu hegen und zu pflegen.
Dazu gehörte so gut wie immer auch ein Abendessen im Springer-Hochhaus – im Kreis der Spitzen der Springer-Medien und deutschen CEOs. Die Pflege der deutschen Meinungsbildner-Landschaft, die Kurz bald nach seinem Aufstieg zum Integrationsstaatssekretär und Außenminister startete, trug rasch und reichhaltig Früchte.
Der „Ösi-Kanzler“ machte in deutschen Medien als neuer Politstar Schlagzeilen. Der alerte Konservative wurde in TV-Talk-Runden und bei Spitzentreffen der deutschen Wirtschafts- und Politikwelt als Stargast herumgereicht. Unausgesprochenes Motto, das „Bild“ einmal auch in eine Schlagzeile packte: „Warum haben wir nicht so einen?“
Als Kurz sich 2017 mit allen Mitteln ins Kanzleramt durchboxt, gibt es bei „Bild“ und Springer bald kein Halten mehr. Als der Anfangdreißiger zu seinem ersten Kanzlerfest ins Wiener Palais Schönburg lädt, reist die „Bild“-Spitze gleich im Doppelpack an. Der damalige Chefredakteur Julian Reichelt und sein Vize Paul Ronzheimer wichen dem Wunderknaben den ganzen Abend nicht von der Seite.
Der deutsche Politik-Chefreporter Ronzheimer widmete dem österreichischen Kanzler umgehend ein ganzes Buch. Der strahlende Glanz der Politsuperstars, in den die Springer-Medien Kurz nun endgültig tauchten, ließ sich perfekt in die Heimat rückspiegeln.
Der Wiener Boulevard widmete den überschwänglichen Schlagzeilen beim deutschen Nachbarn von Anfang an breiten Raum. Das Kalkül der türkisen Medienstrategen, das deutsche Parkett zu gezielten Medienauftritten zu nutzen, ging voll auf: Die deutsche Springer-Presse wurde zum vielfachen Verstärker der Kurz-Mania.
Von einer Nehammer-Mania kann der derzeitige Hausherr im Kanzleramt vier Monate nach Amtsantritt nach wie vor nur träumen. In der politmedialen Szene gab es kurz nach Start zwar durchwegs Applaus: Der Ex-Innenminister signalisierte Gesprächsbereitschaft nach allen Seiten. Dort, wo Kurz eine von seinem Küchenkabinett entwickelte Linie eisern durchzog, suchte Nehammer Opposition und Sozialpartner vorab einzubinden. Unfallfrei verlief das von Anfang an nicht. Die Vorschusslorbeeren sind am Verwelken.
Den guten Willen spricht dem bemühten „Konsens-Karl“ nach wie vor kaum jemand ab. Alles in allem regiert am Ballhausplatz aber das Prinzip „gut gemeint“. Der Befund „gut gemacht“ ist aber auch für das Gros des Wahlvolks in der neuen ÖVP-Ära nicht auszumachen.
In Umfragen hat die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner den ÖVP-Kanzler eindeutig überholt. Unter Karl Nehammer schrumpft die ÖVP bald wieder auf Mitterlehner-Niveau, unken schon da und dort Schwarze. Hält der Hype für Rot an, könnte den Schwarz-Türkisen gar der Gang in die verhasste Opposition drohen.
Guter Rat war in der ÖVP seit Wochen dringend gefragt. Weil auch im U-Ausschuss neues Ungemach drohte, suchte die Nehammer-Truppe nun Flankenschutz bei einer deutschen Söldnertruppe.
Der ehemalige „Bild“-Herausgeber Kai Diekmann bietet seit seinem Abgang von Springer mit seinem Unternehmen Storymachine vor allem deutschen Unternehmen und Politikern seine Dienste als Kommunikationsprofi an. Spitzentürkise und Diekmann & Co. sind einander seit Jahren vertraut. Bei allem vordergründigen Bemühen, sich von der Ära Kurz abzusetzen, verlässt sich Karl Nehammer in der Not lieber auf Bewährtes von gestern.
Der ÖVP-Chef engagierte den Spiritus Rector des Kurz-Hypes in Deutschland in der Hoffnung, vom Erfolgsrezept seines Vorgängers zu profitieren. Der ehemalige „Bild“-Politikchef und Ex-Merkel-Sprecher Georg Streiter wurde auf Vermittlung von Diekmann vom ÖVP-Klub engagiert und soll dort die türkisen Abgeordneten im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss weniger streitbar machen. Statt Dauer-Bashing der Justiz ist nun Korruptionsschlamm-Umverteilung auf alle anderen Parteien angesagt.
Die große Stunde von Storymachine-Chef Kai Diekmann in der ÖVP schlug erst kürzlich. Als der Ukraine-Krieg ausbrach, fand Karl Nehammer rasch in seine Rolle. Mit kühlem Kopf, aber empathischen Gesten präsentierte sich der gelernte Informationsoffizier anfangs breit respektiert als Kriegskrisenkanzler.
In Umfragen kommt Nehammer freilich weiterhin nicht vom Fleck. Sein Fremdenlegionär Kai Diekmann rät ihm daher nachdrücklich, mehr daraus zu machen. Friedensappelle, gut und schön. Offen ausgebreitetes schlechtes Gewissen, weiter russisches Gas beziehen zu müssen, ja eh. Lautstarkes Bekenntnis zur Neutralität, wichtig aber blutleer.
Denn aus Sicht eines Boulevard-Profis zählt am Ende nicht die nimmermüde richtige Geste, sondern der Paukenschlag mit dem Holzhammer. Mit seinem Besuch in Kiew und seinem Trip zu Wladimir Putin machte Karl Nehammer in der Tat erstmals weltweit Schlagzeilen. Der Regisseur des Medienfeuerwerks war denn auch bei beiden Terminen mit dabei.
Nach Moskau begleiteten den Kanzler neben den Cobra-Bewachern nur vier Personen: seine außenpolitische Beraterin Barbara Kaudel-Jensen, der Fotograf des Kanzleramts Dragan Tatic, Nehammers Mediensprecher Daniel Kosak und Kai Diekmann, der Ex-„Bild“-Chef und neue ÖVP-Topberater. „Diekmann ist wegen seiner Expertise in beiden Ländern mit. Er hat Putin mehrfach getroffen und daher viel Erfahrung, wie er funktioniert“, so die Begründung des Kanzleramts.
Die hochriskante Moskau-Mission wurde im kleinsten Kreis vorbereitet. Selbst das in Sachen Außenpolitik schwergewichtige Staatsoberhaupt war in das heikle Vorhaben nicht eingeweiht. Karl Nehammer konterte auch öffentlich Skepsis und Kritik gebetsmühlenartig mit der simplen Formel: „Jeder Schritt ist besser, als nichts zu tun.“
Für eine nüchterne Bewertung von Glaubensbekenntnissen wie diesen fehlen auch nach dem kurzen Treffen mit Putin belastbare Fakten. Das unmittelbare politische und mediale Echo fiel – bis auf die üblichen Jubelkuriere – zwiespältig aus.
Es überwiegt weiter jene Zurückhaltung und Skepsis, die schon die Ankündigung der Blitzreise auslöste. Im Regierungsviertel macht sich so abseits des Bundeskanzleramts auch immer stärker eine Einschätzung breit.
Nehammer und seinen neuen Medienregisseuren sei es primär um eines gegangen: das Image von Karl Nehammer als Kriegskrisenkanzler auszubauen und den innenpolitisch schwer angeschlagenen Regierungschef als eigenständigen Akteur auf der Weltbühne gegen das bleierne Gefühl der Ohnmacht zu präsentieren. Denn Österreich kann und will weder Waffen liefern noch – wegen der Abhängigkeit von russischem Gas – radikal an der Sanktionsschraube drehen.
Motto: Karl, der Konsens-Kühne. „Ob Nehammers Spekulation, den historischen Mythos Österreichs als neutraler Vermittler zu reanimieren, zumindest auf der heimischen Bühne aufgeht, werden die nächsten Umfragen zeigen“, resümiert ein Politstratege nüchtern.
Auf Jubelschlagzeilen wie am Beginn der türkisen Ära wird Kurz-Nachfolger Nehammer freilich noch länger warten müssen. Denn die Spekulation, sich mit dem ehemaligen Achsenpartner von Sebastian Kurz im Springer-Verlag und nunmehrigen Storymachine-Chef auch eine Jubelmaschine einzukaufen, ging nicht auf.
Im deutschen Massenblatt „Bild“ ging das Engagement des Boulevard-Söldners gar nach hinten los. Statt Lorbeeren erntete Nehammer massive Schelte. Ex-„Bild“-Chef Diekmann kann für seinen neuen Klienten bei seinem Ex-Arbeitgeber nur noch wenig ausrichten. Er hat im Springer-Verlag ob der Umstände rund um seinen Abgang nicht die beste Nachrede. Von der einst gängigen Schlagzeile am deutschen Boulevard über Kurz „So einen brauchen wir auch“ kann Karl Nehammer nicht einmal mehr träumen.
Der Autor
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".