Ein „Volkskanzler“ wird keine von seinen Wählern als wohlerworben betrachteten Rechte beschneiden. Budgetsanierung kann so nicht gehen.
Hört man sich dieser Tage in Wirtschaftskreisen um, lässt sich dort eine recht starke Tendenz zu einer blau-türkisen Koalition vernehmen. Hauptverantwortlich dafür: Andreas Babler, dessen auf Realitätsverweigerung fußende Ideen und linke Rhetorik eine Abwehrhaltung gegen die Beteiligung der SPÖ an der Regierung erzeugen.
Dass Unternehmer bzw. Manager ihre persönlichen Interessen bei der FPÖ besser aufgehoben sehen, ist irgendwie nachvollziehbar, zumal Herbert Kickl Vermögenssteuern ausgeschlossen hat. Worauf aber die Hoffnung auf einen blauen Turbo für ihre Betriebe und den Standort gründet, erschließt sich weniger. Was die FPÖ im Wahlkampffinale noch schnell als „Wirtschaftsprogramm“ verkaufte, ist nur eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen. Und die vage angedeutete KöSt.-Senkung, die so verlockend klingt, kommt angesichts der Budgetlage in den nächsten Jahren garantiert nicht. Parteichef Kickl hat einige politische Stärken, Wirtschaftspolitik zählt sicher nicht dazu.
Auch wenn diesmal nicht wenige Selbstständige, Gewerbetreibende bis hin zu Großindustriellen FPÖ gewählt haben: Deren Anteil an der blauen Wählerschaft ist trotzdem überschaubar. Die Machtbasis der FPÖ liegt bei der gewachsenen Gruppe, die Angst vor sozialem bzw. wirtschaftlichem Abstieg hat und – trotz zuletzt europaweit einzigartiger Reallohnerhöhungen – überzeugt ist, dass sie immer ärmer wird. Viele dieser Menschen verlangen nach Alimentierung durch den Staat. Und Kickl muss und wird liefern. Alles andere ist sehr schwer vorstellbar.
Alles, nur nicht bürgerlich
Dass sich das dann mit den Interessen jener deckt, die sich um den Standort sorgen, darf bezweifelt werden. Für die dringend gebotene Budgetsanierung würde Kickl bei den Migranten ansetzen, kann aber als „Volkskanzler“ keine Maßnahmen zulassen, die von echten Österreichern als wohlerworben betrachtete Rechte beschneiden. Womit das Scheitern der Sanierung programmiert wäre.
Manche Wirtschaftsbosse schwadronieren von bürgerlicher Reformpartnerschaft zwischen Blauen und ÖVP. Aber die FPÖ ist alles, nur nicht bürgerlich. Weder im klassischen Sinn, da sie die größte Arbeiterpartei im Land ist. Noch hinsichtlich der landläufigen Verwendung des Begriffs, der zwar schwammig ist, aber definitiv keinen antiliberalen, autoritären Populismus umfasst. Kickls Angriffe gegen „das System“ richten sich nicht zufällig gegen seit jeher von „Bürgerlichen“ getragene Institutionen – ähnlich wie bei der AfD in Deutschland, wo niemand auf die Idee kommt, sie als bürgerlich zu bezeichnen. Die Wahlergebnisse der FPÖ stellen sich in den meisten Sprengeln umgekehrt proportional zu jenen der bürgerlich-liberalen Neos dar.
Jenseits begrifflicher Haarspalterei betrifft das auch die zu erwartenden politischen Schwerpunkte. Von Investitionen in Bildung etwa, die Unternehmer als entscheidend für die wirtschaftliche Zukunft erachten, war von der FPÖ nie was zu hören. Aus ihrer letzten Regierungsbeteiligung sind einzig die parteipolitisch motivierten Bildungsdirektionen geblieben, die nichts bringen außer mehr Bürokratie (ähnlich wie die Sozialversicherungsreform).
Paradebeispiel Ungarn
Die Ablehnung von Freihandelsabkommen und einer vertiefenden Integration Europas konterkariert die Bedürfnisse eines Exportlandes.
Herbert Kickl spielt gerne auf die Misserfolge der Ampelkoalition in Deutschland an. Was einen Blick auf seinen erklärten Bruder im Geiste nahelegt: Ungarn unter Viktor Orbán könnte wirtschaftlich kaum schlechter dastehen. Die Inflation bis zu 25 Prozent im Jahr 2023 bescherte den Ungarn die höchsten Reallohnverluste aller OECD-Länder. Die Industrieproduktion sinkt stark. Das Budgetdefizit ist mit 4,5 Prozent prognostiziert. Die FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst, die unsere Nationalratspräsidentin werden könnte, hat ihren Antrag auf die ungarische Staatsbürgerschaft ruhend gestellt.
Ökonomen sehen Ungarn als Paradebeispiel dafür, welchen Schaden autoritäre Politiker verursachen, wenn sie ihr Regieren nur am Machterhalt ausrichten. Auch Kickl hat längst bewiesen, dass er für Machtgewinn in jede Schublade greift – ohne Rücksicht auf wirtschafts- und finanzpolitische Verluste.
Die FPÖ kann anderen sehr gut die Schuld für ökonomische Krisen in die Schuhe schieben. Die bisherige Regierung hat darauf falsch reagiert, indem sie glaubte, die Probleme mit dem Ausschütten eines prallen Füllhorns zudecken zu können. Schafft es Kickl ins Kanzleramt und muss selbst Verantwortung tragen, wird er sich noch schwerer tun, genau das nicht zu machen, weil er zu viele nur aus der Luft gegriffene Erwartungen geweckt hat.
Bei den zwei letzten Versuchen – 2000 und 2017 – hat die FPÖ die Verantwortung schnell wieder abgegeben.
Dieser Leitartikel ist zunächst im trend.PREMIUM vom 11. Oktober 2024 erschienen.