Thomas Schmid und Sebastian Kurz - einst innige Freunde, neuerdings Todfeinde.
©APA/HANS PUNZEinst eine Seilschaft, jetzt Todfeinde: Im Glaubwürdigkeits-Duell zwischen Thomas Schmid und Sebastian Kurz dürfte ein Richter das letzte Wort haben. Der Bundespräsident sucht nun die Notbremse in der innenpolitischen Schlammschlacht “Jeder gegen jeden” zu ziehen.
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In der Bruno-Kreisky-Gasse haben sich zwei Polizei-Einsatz-Fahrzeuge postiert. Vier Exekutiv-Beamte in Uniform und ein gutes Dutzend in Zivil erregten diesen Mittwoch kurz vor Mittag am Platz zwischen Bundeskanzleramt und Innen- und Außenministerium zudem Aufsehen.
Am Tag zuvor hatte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) mit einem 454 Seiten starken Aussage-Protokoll von Thomas Schmid nicht nur den türkisen Teil der Republik erschüttert.
Das außerordentliche Polizeiaufgebot diente freilich nicht dem besonderen Schutz der Regierungszentrale vor aufgebrachten Bürgern. Die Beamten in Uniform und Zivil probten für einen gemeinsamen Auftritt mit ihrem aktuellen Chef. Denn auf der Ministerrats-Tagesordnung stand der legistische Startschuss für den digitalen Führerschein.
Der Ressortchef wollte die Innovation nach der Ministerratssitzung auch TV-gerecht inszenieren. Die Polizei-Beamten führten flankiert von Gerhard Karner an diesem strahlenden Herbsttag in der Bruno-Kreisky-Gasse vor, was sie davor noch geprobt hatten: Eine polizeiliche Anhaltung samt Kontrolle des Führerscheins erstmals live und ausschließlich am Handy.
Nehammer macht auf Business as usual
Das Journalisten-Aufgebot im Kanzleramt war an diesem Mittwoch am Wiener Ballhausplatz ungewöhnlich hoch. Das besondere Interesse der Medienleute galt freilich weder dem digitalen Führerschein, der als einziges Thema im Pressefoyer nach der Ministerratssitzung offeriert wurde, noch dem anschließenden Hintergrundgespräch zu dem Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Jugend-Staatssekretärin Claudia Plakolm in Sachen Wehr- und Zivildienst geladen hatten.
Medien und die politisch (noch) interessierte Öffentlichkeit waren an den Reaktionen der Regierung auf die Rundumschläge des einst mächtigen Strippenziehers im Finanzministerium, Thomas Schmid, gegen Sebastian Kurz & Co interessiert. Die eigentliche Ministerratssitzung ging diesmal in nicht einmal 20 Minuten routiniert über die Bühne.
Die fraktionellen Vorbesprechungen, an denen nicht nur die Regierungsmitglieder, sondern auch die Klubobleute, in der ÖVP zudem der Nationalratspräsident, teilnehmen, nahm diesmal mehr als die doppelte Zeit in Anspruch. Erhellend oder gar wegweisend war der Output der ÖVP-Beratungen nicht.
Dürftige Defensive von Wöginger & Co
ÖVP-Klubchef August Wöginger, selber im Visier der Schmid-Aussagen in Sachen Korruption und Postenschacher, schickte gemeinsam mit dem neuen ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker am Nachmittag eine gemeinsame Sprachregelung aus, die im Kern auch schon die Botschaft einer Presseaussendung von Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer war:
“Derzeit herrscht viel Aufregung um die bekanntgewordenen Aussagen von Thomas Schmid. Dazu ist festzuhalten: Die Vorwürfe, die Thomas Schmid in seinen Aussagen tätigt, sind lange bekannt und betreffen die Vergangenheit. Seine Sicht hat er gegenüber der Staatsanwaltschaft zu Protokoll gegeben. Ob die von Thomas Schmid in Absicht auf Straffreiheit getätigten Vorwürfe stimmen oder nicht, wird von der Staatsanwaltschaft zu ermitteln sein. Die Justiz soll nun die Ermittlungen führen, Bundeskanzler Nehammer und die Bundesregierung haben das Land durch die Krisen zu führen! Ich hoffe, dass diese Vorwürfe vollumfänglich und rasch geprüft werden, um dann tatsächlich beurteilen zu können, was wirklich geschehen ist, wer was wusste und wer mit seiner Aussage Recht hat. Sollte sich herausstellen, dass die Vorwürfe stimmen, dann ist das nicht in Ordnung!
Fest steht: Für die politische Arbeit von Bundeskanzler Karl Nehammer und der Volkspartei sind Transparenz, Klarheit und Aufklärung die Grundlage. Dem entsprechend hat die Bundesregierung schon mehrere Reformschritte – wie etwa das neue Parteiengesetz oder die Vorlage des Medientransparenzgesetzes – in die Wege geleitet.”
Die dürftige Defensiv-Botschaft ging denn auch im Schlagzeilen-Gewitter der letzten Tage weitgehend unter. Der Kanzler selber mied bis zur Abreise zum EU-Gipfel nach Brüssel alle TV-Kameras und Mikrophone.
Kurz Entlastungs-Offensive im Nobelhotel
Der entzauberte türkise “Wonderboy”, Sebastian Kurz, bewies noch am Tag des Ministerrat, bei dem krampfhaft weiter auf Regierungsroutine gemacht wurde, einmal mehr, dass bei ihm zwar politisch der Lack ab ist. Dass er aber nach wie vor keine Scheu hat, sich nach allen Regeln der Kunst zu inszenieren.
Sebastian Kurz lud Journalisten teils einzeln und in kleinen Gruppen zu sogenannten Hintergrundgesprächen in ein Extrazimmer im Wiener Ringstraßen-Hotel Le Méridien. Er präsentierte den Medienleuten das Transkript eines Mitschnitts eines Telefonats mit Thomas Schmid zehn Tage nach seinem Rücktritt als Kanzler im Oktober des Vorjahrs.
Im Zentrum stand jene These, mit der die WKStA ihre Hausdurchsuchung im Kanzleramt begründete: Der Kanzler und sein Umfeld stehen im Verdacht der Inseraten-Korruption – sprich sie hätten sich mit Steuergeld günstige Meinungsumfragen und Berichterstattung erkauft. "Sebastian Kurz ist die zentrale Person", proklamierte die WKStA in ihrer Anordnung zu den Hausdurchsuchungen am 8. Oktober des Vorjahrs, "sämtliche Tathandlungen wurden primär in seinem Interesse begangen."
Diese WKStA-Verdachtslage löste auch das grüne Ultimatum an die Türkisen aus: Entweder tauscht die ÖVP Kurz gegen einen anderen schwarzen Kanzler aus, oder die Grünen suchen sich neue Koalitionspartner – Rot, Pink und Blau standen schon Gewehr bei Fuß.
Thomas Schmid hat diesen Verdacht der WKStA nun in seiner diese Woche publizierten Aussage als Faktum genannt. Für Kurz ist mehr denn je Feuer am Dach: Im Falle einer Anklage und Verurteilung drohen Sebastian Kurz - angesichts eines maximalen Strafrahmens von zehn Jahren – nachhaltige Justiz-Zores.
Der 36jährige gefallene Jung-Star spielte am Mittwoch in der ehemaligen Champagner-Bar des Le Méridien eine Karte aus, die bisher im Tresor seines Anwalts Werner Suppan lag: Das Transkript eines Telefonats mit Thomas Schmid zehn Tage nach seinem Rücktritt als Regierungschef.
Kurz sucht in dem ohne Wissen von Schmid mitgeschnittenen Telefonat in freundlichen Plauderton – offenbar vorab rechtlich gebrieft – diesen sehr präzise auf die juristisch entscheidenden Fragen festzunageln: Habe er je Schmid ausdrücklich angewiesen in Sachen Inseratenvergabe und Meinungsumfragen kriminelle Handlungen zu setzen? Er könne sich beim besten Willen nicht an so etwas erinnern. Juristisch formuliert: Kommt Kurz in den Augen seines damaligen Intimus Schmid als “Bestimmungstäter” in der Inseraten-Affäre in Frage?
In dem Telefonat ist seitens Schmid in keinem Satz davon die Rede. Diese Darstellung unterscheidet sich, aus welchen Gründen auch immer, total von der, die sich bald ein Jahr danach in den WKStA-Aussage-Protokollen von Thomas Schmid findet.
ÖVP spricht Schmid jede Glaubwürdigkeit ab
Immer mehr ÖVP-Leute bezichtigen im Windschatten des Kurz-Konterschlags den ÖVP-Schatten-Finanzminister, bei dem viele jahrelang für kleine und große Vorteile intervenierten, nun öffentlich der Lüge. Coram publico ist damit ein Schaukampf zweier politischer Freunde eröffnet, die zu Todfeinden mutierten.
Thomas Schmid, der sich als langjähriger Laufbursche in den Vorzimmern der Macht, unter Wert geschlagen fühlte, tat einst alles, um beim damaligen ÖVP-Hoffnungsträger Sebastian Kurz in der Gunst zu steigen. Der jugendliche Polit-Star wiederum nutzte die willfährige Bereitschaft des zehn Jahre Älteren, auch fragwürdige Wege nach oben zu gehen, wo immer er es brauchen konnte.
Die Causa Schmid vs. Kurz & Kurz vs. Schmid wird so noch für Monate, wenn nicht Jahre für Schlagzeilen sorgen. Im Falle einer Anklage gegen Kurz wird es, falls weiterhin keine Sach-Beweise vorliegen, am Richter liegen, welchem der beiden er mehr glaubt.
Fall Grasser lässt grüßen
Justiz-Kenner vergleichen die Causa daher immer öfter mit dem Fall Grasser – nicht des vorgeworfenen Delikts wegen (Kurz wird von der WKStA keine persönliche Bereicherung vorgeworfen) – sondern wegen der möglicherweise drohenden Länge des Verfahrens.
Ob das da ein Omen ist, dass Sebastian Kurz Journalisten jüngst in jenem Hotel zu umgarnen suchte, in dem zu diesem Zweck auch einst Karl Heinz Grasser ein- und aus ging?
Der gefallene blaue oder später schwarze Jung-Star wohnte damals noch in einem prachtvollen Penthouse um die Ecke des Le Méridien. Sebastian Kurz soll seit kurzem ein Büro am Wiener Schubertring unterhalten, reist aber nach wie vor aus Wien-Meidling in die Wiener Innenstadt an.
Message Control in eigener Sache entglitten
Auch wenn er mit dem Tonband-Transkript für ein, zwei Tage die Schlagzeilen für sich gewann. Die Message Control ist dem türkisen Ex-Kanzler in eigener Sache wenige Tage nach den medialen Festspielen um seine selbstverliebte Auto-Biographie aber längst wieder entglitten.
Inzwischen tobt nach den monatelangen Debatten um die Chats von Thomas Schmid nun ein innenpolitischer Dauerkampf rund um seine Aussage von der WKStA – nicht nur in der ÖVP, sondern auch zwischen Regierung und Opposition. Selbst innerhalb der Opposition gibt es Zoff ob des Endes des ÖVP-Korruptions-Ausschusses, weil die Neos gegen dessen Verlängerung sind.
VdB will von Nehammer & Co "Garantien" gegen "lähmendes Gift" Korruption
Alexander Van der Bellen sucht nun in dieser Schlammschlacht die Notbremse zu ziehen. Er verlangt von der Regierung, nicht allein weiter auf die Justiz zu verweisen und auf Business as usual zu machen, sondern Konzepte und “Garantien” gegen das “lähmende Gift” Korruption. Und vom Parlament konstruktive politische Lösungen statt Schlammschlachten.
Der wieder gewählte Bundespräsident spricht mit einem Satz wohl der Mehrheit der Bürger jenseits aller Parteipräferenzen aus der Seele: "Demokratie kann nur funktionieren, wenn die Menschen darauf vertrauen, dass die von ihnen gewählten Personen integer sind", so Van der Bellen. Er habe daher Verständnis, wenn sich viele nun mit Grauen abwenden. Er selber habe sich gedacht: "Das kann doch alles nicht wahr sein".
"In Österreich werden wir Korruption niemals akzeptieren", so Van der Bellen: "Österreichs Bevölkerung braucht glaubwürdige Garantien, dass die dokumentierten Umstände nicht so bleiben.”