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Hemmt Strafrecht die Investitionen?

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Der WIRTSCHAFTSKRIMINALITÄTSREPORT 2024 der Anwaltskanzlei petsche pollak dokumentiert Unbehagen in Bezug auf die Ermittlungspraxis und die immer komplexere Legistik. Ein Problem auch für den Standort.

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Ende des Jahres 2023 entschied der Verfassungsgerichtshof (VfGH), dass die bisher praktizierte Beschlagnahme und Auswertung von Handys ohne richterlichen Beschluss die Privatsphäre und die Datenschutz-Interessen der Betroffenen verletze. Ein Jahr hat der Gesetzgeber nun Zeit, die Regelung zu reparieren. Ansonsten tritt sie am 1. Jänner 2025 außer Kraft.

Manager und Strafverteidiger kritisierten in den letzten Jahren immer lauter, dass besonders die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in glamourösen Fällen Unmengen von Smartphone-Daten ausliest, die über den Akt dann oft an die Öffentlichkeit gelangen. Sie werten das VfGH-Erkenntnis als Schritt in die richtige Richtung. Auch die auf Wirtschaftsstrafverfahren spezialisierte Anwaltskanzlei petsche pollak sieht das so.

Simone Petsche und Andreas Pollak veröffentlichen dieser Tage ihren "Wirtschaftskriminalitätsreport 2024", der nun in seiner zweiten Ausgabe vorliegt. Darin geht es um die Wahrnehmung der Unternehmen in Bezug auf das Wirtschaftsstrafrecht, die Ermittlungspraxis, die lange Verfahrensdauer oder die immer komplexeren, teils praxisfremden Regelwerke. Das Linzer Market-Institut hat dazu auch eine Umfrage unter 186 heimischen Topführungskräften durchgeführt. Zudem fanden sogenannte Sounding Boards mit Manager:innen statt, um das Bild abzurunden.

Imageschäden

Gravierendes hat sich zum Vorjahr nicht verändert. Immer noch teilen fast 50 Prozent der Unternehmensverantwortlichen ganz oder eher die Aussage, Kraft ihrer Funktion fast mit einem Bein im Kriminal zu stehen. Kritisiert wird auch die zu rasche Aufnahme von Ermittlungen, die dann wieder eingestellt werden müssen. Nur eine von 20 von der WKStA beschuldigten Personen wird letztlich tatsächlich verurteilt - trotzdem bleiben Unternehmen und Manager auf enormen Kosten und einem nicht selten irreparablen Imageschaden sitzen.

Peter Krammer, Vorstand des Baukonzerns Swietelsky AG, sagt: "Oft werden Vorwürfe vorgebracht, die sich in Luft auflösen - aber die Betroffenen sind trotzdem beschädigt. Ein sachgerechtes Vorgehen ist kein Problem, aber nicht immer ist strafrechtliche Verfolgung sehr sachlich."

Dass die Strafverfolgungsbehörden zu oft auf Nebengeleise fokussieren, glaubt Clemens Niedrist, Generalsekretär der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien: "Es ginge darum, das wirklich Wichtige anzuklagen und sich nicht auf Nebenstränge zu konzentrieren, die zu viele Ressourcen erfordern."

David Pfarrhofer, der Chef des Market-Instituts, resümiert: "Unsere Erhebungen bestätigen das schon im letzten Jahr dokumentierte Unbehagen mit der Praxis des Wirtschaftsstrafrechts."

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Dass ein funktionierendes Wirtschaftsstrafrecht wichtig ist, bleibt in heimischen Wirtschaftskreisen so gut wie unwidersprochen. 94 Prozent sind dieser Ansicht. Niemand will die "freie Wildbahn". Auch erklären fast 60 Prozent, die Behörden würden "eher schon" mit Augenmaß agieren.

Das heißt aber auf der anderen Seite nicht, dass rundum Zufriedenheit herrscht. Immerhin ein Viertel drückt die Angst aus, zu schnell kriminalisiert zu werden. Die Handhabung der geltenden Rechtsprechung empfinden 19 Prozent als zu streng. Und jeder vierte Befragte glaubt, dass das heimische Wirtschaftsstrafrecht im europäischen Vergleich hierzulande "eher strenger" gehandhabt wird.

All das kann sich sogar negativ auf die Attraktivität des Standortes und die Investitionsfreude von Unternehmen auswirken. Gut 30 Prozent konstatieren zumindest manchmal einen Einfluss auf Investitionsentscheidungen. "Strafrecht soll dazu führen, dass Fair Play herrscht. Wenn es dazu führt, dass mehr Ressourcen in Verwaltung und Compliance statt in unternehmerisches Handeln investiert werden, haben wir ein Problem", befürchtet Anwältin Simone Petsche (siehe Interview).

Unternehmerischer Mut werde kleiner, "wenn das Risiko des Scheiterns in Richtung strafrechtlicher Risiken erweitert wird", ergänzt Kanzleipartner Andreas Pollak. "Für die Standortpolitik ist das gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten hoch relevant", meint Umfrage-Leiter Pfarrhofer.

Überlastung

Als besonders belastendes Problem werden nach wie vor die oft Jahre dauernden Verfahren empfunden, die Ressourcen in Unternehmen binden, Kosten verursachen und von Imageschäden begleitet sind. Dass die Strafverfolgungsbehörden überlastet sind, wird zugestanden. Der Personalmangel bei den Behörden ist evident. Bei der WKStA etwa sind die 45 vorgesehenen Planstellen für Staatsanwälte und Oberstaatsanwälte kaum ausreichend. "Die österreichische Justiz ist seit mehr als zehn Jahren mit einer zunehmenden Anzahl besonders umfangreicher Wirtschaftsstrafsachen mit vermehrten internationalen Verflechtungen konfrontiert", heißt es dazu in einem Revisionsbericht des Justizministeriums. Eine trend-Anfrage zum Thema ließ Justizministerin Alma Zadić allerdings unbeantwortet.

Eine Bremse in Sachen Geschwindigkeit sind die vielen Amtshilfe-Ansuchen an ausländische Behörden, die in Extremfällen Jahre in Anspruch nehmen können. In einem Cyber-Trading-Betrugsverfahren musste zum Beispiel 2022 in zehn Staaten nachgeforscht werden, um einem Geflecht von mehr als 70 Briefkastenfirmen nachzugehen.

"Weniger wird es nicht", heißt es dazu seitens der WKStA. 2022 fielen dort 1.084 neue Verfahren an. 62 Prozent betrafen Wirtschaftsstrafsachen und 17 Prozent Korruptionsfälle. Neu ermittelt wurde gegen 2.291 bekannte Beschuldigte. Für das gerade abgelaufene Jahr wurden noch keine Zahlen bekannt gegeben.

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Die Überlastung ist eine Sache. Die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass die Wahrnehmung vorherrscht, es werde oft langsam und ineffizient agiert. Würde man weniger Ermittlungsverfahren einleiten und die Zahl der Beschuldigten reduzieren, wären mehr Ressourcen für die verbliebenen Fälle einsetzbar, gibt Anwalt Pollak zu bedenken - mit Hinweis auf die sehr hohe Einstellungsquote. Man müsse die Praxis der Strafverfolgung überdenken.

Tendenziell wird die Auslegung der Gesetze härter. Oft bringt schon ein eher unbedeutender Anfangsverdacht den Stein ins Rollen. Auch in der Business-Community glaubt jede zweite Person, dass zu viele Ermittlungen begonnen und zu viele Kleinigkeiten überprüft werden.

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Wirtschaftsferne

Das könnte auch mit einer gewissen Wirtschaftsferne zu tun haben, die den Ermittlungsbehörden regelmäßig unterstellt wird. "Über uns in der Wirtschaft urteilen oft Personen, die von Unternehmertum und Risiko wenig Ahnung haben", klagt etwa Hanno Soravia, einer der Gesellschafter der Soravia Group, "das ist auch ein Thema der Ausbildung von Staatsanwälten."

Ähnliches erkennt der Wiener Anwalt Elias Schönborn, der sich als Wirtschaftsstrafrechtsexperte soeben mit der Kanzlei es.law selbstständig gemacht hat: "Der Gesetzgeber ist da eher auf der zu lästigen Seite unterwegs und berücksichtigt zu wenig den Blickwinkel der Unternehmen."

Dazu kommt, dass in Causae, die sich dafür eigenen, in der Öffentlichkeit für politische Zwecke genutzt zu werden, in den Parteien ein Interesse besteht, sie möglichst lange am Kochen zu halten. Laut Umfrage nimmt jeder zweite heimische Unternehmer und Geschäftsführer politische Motivationen in Ermittlungsverfahren wahr.

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"Das Misstrauen in das politische System ist hoch. Die Politik tendiert in den Augen der Betriebe dazu, auf Verfahren in die eine oder andere Richtung Einfluss zu nehmen", formuliert Pfarrhofer. Das gelte übrigens auch für das Hauptverfahren im Falle einer tatsächlichen Anklage.

Lawine am Anrollen

Ein Themenfeld, das ab diesem Jahr noch stärker in den Fokus rückt, sind die ESG-Regelungen der EU ("Environmental, Social and Governance"). Sie erhöhen die Komplexität der Regeln nochmals enorm. Derweil gelten sie nur für Großunternehmen. Der Anwendungskreis wird aber schrittweise nach unten erweitert, und die Vorschriften werden immer strenger. Dadurch ist eine Lawine an zusätzlichen Verfahren im Anrollen.

Manager und Unternehmen könnten noch schneller am Pranger stehen. So haften Betriebe und über die Verbandshaftung auch verantwortliche Personen auf Basis des Lieferkettengesetzes für ausländischer Lieferanten. Ermittlungen auf Basis des Umweltstrafrechts werden ebenfalls rasch zunehmen. Die Gefahr von Imageschäden steigt. Negative Auswirkungen auf den Standort befürchtet man auch in diesem Zusammenhang.

"Bei Umwelthaftungsthemen herrscht weniger die Angst vor einer möglichen Verurteilung als vielmehr vor der öffentlichen Vorverurteilung, wenn ein Thema medial hochgespielt wird", sagt etwa Katja Tauscher, Senior Vice President Legal bei der OMV. "Europa muss mit Blick auf Lieferkettengesetz und Regulatorik aufpassen, dass es nicht in Schönheit stirbt", warnt Raiffeisen-Manager Niedrist.

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Ein anderer österreichischer Manager argumentiert, dass Compliance durch die ausufernde Komplexität der Vorschriften dermaßen überfrachtet wird, "dass sie nicht mehr effektiv ist". Der Punkt werde kommen, an dem Leute sagen: "Ich gehe in keinen Aufsichtsrat mehr."

Während es sich Großkonzerne noch leisten können, mit eigenen Rechtsabteilungen und Beratern der Anforderung Herr zu werden, ist die Expertise für kleinere Unternehmen in den meisten Fällen nur eingeschränkt verfügbar, weil zu teuer. "Ihnen fehlen schlicht die Ressourcen, die notwendig wären", sagt Pollak. Und Anwalt Schönborn weist darauf hin, "dass ihnen oft nicht nur der Wissensstand fehlt, sondern auch das Bewusstsein für die Problematik".

Bei der künftigen Handy-Beschlagnahme nach richterlichem Beschluss läuft es übrigens auf eine österreichische Lösung hinaus. Wie zu hören ist, dürfte nach der Neuregelung die Begründungspflicht für die richterliche Genehmigung entfallen. Richter könnten so einfach den Text aus dem staatsanwaltlichen Ansuchen übernehmen. Nur wenn ein Richter die Beschlagnahme ablehnt, muss er das ausführlich begründen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Der Artikel ist aus trend.PREMIUM vom 19. Jänner 2024.
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