Gastkommentar von Rechtsanwalt Martin Schiefer: Der EU-Rechnungshof ortet mangelnden Wettbewerb bei öffentlichen Vergaben. Doch ohne den notwendigen Kontext können auch Tatsachen die Realität ordentlich verzerren.
Der EU-Rechnungshof ortet in einer kürzlich veröffentlichten Prüfung einen mangelnden Wettbewerb bei öffentlichen Vergaben (siehe Artikel: EU-Rechnungshof kritisiert Vergabe öffentlicher Aufträge) Verfahren mit nur einem Bieter und Direktvergaben würden um sich greifen und Österreich sei bei „vergaberechtlichen Unsitten“ wie diesen wieder einmal an vorderster Front mit dabei. Doch ohne den notwendigen Kontext können auch Tatsachen die Realität ordentlich verzerren. Der Reihe nach ...
Kosten-Nutzen-Rechnung
33 Prozent der öffentlichen Aufträge werden in Österreich, laut Bericht des EU-Rechnungshofs, über Direktvergaben vergeben. Ein Anteil, der auf den ersten Blick in der Tat groß erscheint.
Eine genauere Betrachtung, welche Vergaben in welchen Volumina betroffen sind, ist für eine Einordnung dieser Zahl allerdings notwendig: Bis zu einem Schwellenwert von 100.000 Euro sind Direktvergaben ein völlig legales Prozedere. Vergaberecht gilt ab dem 1-Cent-Auftrag! Es ist also klar, dass viele Aufträge mit kleinem Volumen direkt vergeben werden müssen. Der Aufwand, diese Aufträge öffentlich auszuschreiben, stünde meist in keinem Verhältnis zur Auftragssumme – weder für den Auftraggeber noch für den Auftragnehmer.
Darüber hinaus schließt eine Direktvergabe, anders als oft suggeriert wird, das Einholen von Vergleichsangeboten nicht aus – ganz im Gegenteil. In der Praxis beobachte ich, dass auch in diesen Fällen indirekte Vergaberichtlinien von Auftraggebern gewissenhaft eingehalten werden.
In Anbetracht dessen, dass die EU-Schwellenwerte seit Jahrzehnten mehr oder weniger unverändert geblieben sind, stellt sich eher die Frage, ob die Schwellenwerte für EU-weite Ausschreibungen noch zeitgemäß sind. Zumindest eine Indexanpassung ist in diesem Bereich längst überfällig.
Der Bieter sagt an
Ein weiterer vom EU-Rechnungshof kritisierter Punkt ist die Zunahme an öffentlichen Ausschreibungen, bei denen nur ein Unternehmen anbietet. Die Ursache dahinter ist allerdings weniger zwielichtig als gedacht: Auch der öffentliche Sektor spürt den Fachkräftemangel der Wirtschaft. Der Wind hat sich gedreht und wir befinden uns schon lange nicht mehr auf einem Auftraggeber-, sondern vielmehr auf einem Bietermarkt. Sprich: Der potenzielle Auftragnehmer sagt an und der findet nicht zuletzt aufgrund des noch immer zu häufig forcierten Billigstbieterprinzips oft attraktivere Aufträge in der Privatwirtschaft.
In Kombination mit dem Aufwand, der hinter der Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung steckt, ist das fatal. Denn in einem Aspekt stimme ich dem Prüfbericht des EU-Rechnungshofs vollinhaltlich zu: Die aktuell praktizierte Vergabebürokratie killt den Wettbewerb. Die überzogene Nachweisführung ist nicht mehr zeitgemäß. Vergabeprozesse müssen schlanker werden – und auch KMU-freundlicher. Beispielsweise, indem übergeordneten Zielen in Ausschreibungen höhere Priorität eingeräumt wird. Das beste und nicht das billigste Angebot muss den Zuschlag erhalten. Ausschreibende Stellen und Vergabe-Juristinnen und -Juristen dürfen hier gerne ihr Mindset überdenken.
Kritik kritisch hinterfragen
Entgegen ihrem Ruf ist die Vergabepraxis also vorbildlicher, als der EU-Prüfbericht Glauben schenken lässt. Auch die Aussage, dass seit 2011 im österreichischen Vergabewesen quasi Stillstand herrsche, ist mehr Schwarzmalerei als Tatsache. Durch die Digitalisierung haben Vergabeprozesse in Sachen Compliance und Transparenz einen ordentlichen Schub bekommen.
Und auch was die inhaltliche Ausrichtung von Ausschreibungen anbelangt, gibt es Grund zur Zuversicht: Weltweite Herausforderungen wie der Klimawandel und die Energiekrise werden auch in der öffentlichen Vergabe – auf kurz oder lang – ein Umdenken bewirken. Mit dem Ergebnis, dass Faktoren wie ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit zukünftig viel stärker ins Gewicht fallen werden. In Lebens- und Kreislaufzyklusmodellen zu denken, ist im Vergabewesen schließlich schon jetzt das Gebot der Stunde.
Innovation und Transformation werden den reinen Verwaltungsakt ablösen. Ob auch die Prüfkriterien des EU-Rechnungshofs da mitziehen werden, bleibt allerdings abzuwarten.