Die gesetzlichen Regelungen für die Höhe des Schmerzensgeldes sind schwammig. So zahlt derjenige, der einen anderen am Körper verletzt, laut Gesetz neben Heilungskosten und Verdienstentgang „auf Verlangen ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzensgeld“.
trend.at hat D.A.S. Partneranwalt Johannes Wolf zum Thema Schmerzensgeld befragt:
Wolf:Schmerzensgeldzusprüche bei verhältnismäßig leichten Verletzungen wie etwa Zerrungen der Halswirbelsäule wie das typische „Peitschenschlagsyndrom“ bei Auffahrunfällen, wie Hämatome oder kleinere Knochenbrüche fallen meist in einer Höhe aus, die grundsätzlich als gerecht und angemessen eingestuft werden. Anders sieht es bei schweren und schwersten Verletzungen aus.
Sind die im Schnitt zugesprochenen Summen bei schweren und schwersten Verletzungen, verbunden mit schweren dauerhaften Einschränkungen, nicht in der Lage, einen Ausgleich für das erlittene Leid zu schaffen?Wolf:Als Maßstab für die Höhe des Schmerzensgeldes gilt laut einem Urteil „ein Geldbedarf, der gerechtfertigt erscheint, um den Verletzten in die Lage zu versetzen, sich als Ausgleich für die Leiden und statt der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen“. Das bedeutet, er soll eine Art Genugtuung für die erlittenen Schmerzen erhalten, womit er diesen vielleicht vergessen bzw. lindern kann.Diesem hohen Anspruch wird die Judikatur gerade bei schwersten Verletzungen nicht einmal annähernd gerecht. Zwar ist eine Tendenz festzustellen, dass besonders schwere und langwierige Verletzungen etwas höher als früher entschädigt werden. Die bisher zugesprochenen Entschädigungen in derartigen Fällen aber als angemessen zu bezeichnen, wäre heillos übertrieben. Vor allem bei jungen Menschen mit schwerer lebenslanger Beeinträchtigung nach Verletzungen, müsste das, der höheren Lebenserwartung angemessen, zu deutlich höheren Schmerzensgeldzusprüchen führen.
Warum sind Gerichte bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes bei Verletzten, die beispielsweise lebenslang beeinträchtigt sind, so hart?Wolf: Es wird immer wieder gefordert, dem Ausufern von Schmerzensgeldzusprüchen entgegenzutreten In Sachverständigengutachten steht häufig, dass sich auch Schwerstverletzte, etwa bei Verlust von Körperteilen, an einen derartigen Endzustand gewöhnen würden. Aus solchen Überlegungen heraus werden, nach dem angenommenen Erreichen eines derartigen Zustandes, keine weiteren Ansprüche mehr bemessen. Dabei wird von Gutachtern eine Einschätzung lediglich aus einer Außensicht gegeben. Das Leid wird dabei allerdings nicht adäquat berücksichtigt.
Wie kommt es zu dieser Ihrer Ansicht nach falschen Einschätzung über das Leiden?Wolf: Versetzt man sich in die Situation eines Betroffenen, also etwa eines Menschen, der in einem aktiven Alter vom Verlust eines Körperteiles betroffen ist, ist es unmöglich, dass die in der Praxis zugesprochenen Beträge einen angemessenen Ausgleich darstellen. Man muss sich nur vorstellen, welchen gewaltigen Einfluss etwa der Verlust eines Körperteiles auf die Lebensqualität hätte. Welche Vielzahl von Tätigkeiten, die einem große Freude bereitet haben, entweder gar nicht mehr oder nur unter deutlich erschwerten Voraussetzungen verrichtet werden können. Darüber hinaus bringt alles was man tut, etwa nach einer Amputation eines Körperteile, eine deutlich erhöhte Ermüdung mit sich, schon wegen der erschwerten Mobilität.
Wie könnten Gerichte die finanzielle Bemessung schwerster Beeinträchtigungen besser beurteilen?Wolf: Gutachter, die selbst mit körperlichen Leiden bzw. Verletzungsfolgen leben, könnte in der täglichen Gerichtspraxis Abhilfe schaffen. Diese sind aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit besser in der Lage, realitätsnah die vielfältigen Beeinträchtigungen durch derartige Verletzungen zu beurteilen. Dieser bessere Zugang als Entscheidungsgrundlage wäre sicher ein geeignetes Mittel, die Qualität und Treffsicherheit von Gerichtsentscheidungen in derartigen Fällen signifikant zu erhöhen.
Wie häufig wird hohes Schmerzensgeld zuerkannt?Wolf: Selten, vielfach orientieren sich die Gerichte an der Untergrenze. Das, obwohl die Tagessätze von 100, 200 und 300 Euro bereits vor 20 Jahren festgelegt wurden und der Kaufkraftverlust seither nicht berücksichtigt wurde. Im Vergleich zu damals sind Entschädigte heute vielfach erheblich schlechter gestellt als jene, die ihre Ansprüche beispielsweise vor 20 Jahren geltend gemacht haben.
Warum werden Schmerzen nach Tagessätzen berechnet? Gibt es noch ein anderes Bemessungssystem?Wolf: Das „Tagessatz-System“ wird in der täglichen Praxis am häufigsten angewandt. Es bietet Richtern, also medizinischen Laien, eine taugliche Berechnungsgrundlage für ihre Urteile. Wenn auch der Oberste Gerichtshof stets wiederholt, dass Schmerzensgeldansprüche nicht in festen Tagessätzen, sondern anhand von Globalsumme zu bewerten sind. Demnach soll die Verletzung in ihrer Gesamtheit bemessen werden.
Was ist in eine Gesamtbetrachtung für Schmerzensgeld einzubeziehen?Wolf: Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sollen sämtliche Schmerzempfindungen in einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden. Dazu zählen sowohl die Schwere der Verletzung und das Ausmaß physischer Folgen auf den Gesundheitszustand als auch die Berücksichtigung der damit verbundenen seelischen Belastungen. Bei dieser sogenannten Globalbemessung sind damit die nach dem üblichen Verlauf zu erwartenden körperlichen und seelischen Schmerzen in ihrer Gesamtheit zu beurteilen und einzubeziehen.
Wann muss jemand für psychische Störungen Schmerzensgeld zahlen?Wolf: Der Schädiger muss für die von ihm verschuldeten psychischen Beeinträchtigungen einstehen, wenn aus ärztlicher Sicht eine Behandlung der psychischen Störung geboten ist. Dies gilt vor allem, wenn damit zu rechnen ist, dass die Folgen nicht von selbst abklingen bzw. dass ohne ärztliche Behandlung eine dauernde gesundheitliche Schädigung zurückbleiben würde.
Sind Entschädigungen für psychische Störungen in Folge von Verletzungen gerecht?Wolf: Es ist zumindest dann ungerecht, wenn Gerichte seelisches Schmerzensgeld für Verletzte ablehnen, wenn diese eine entsprechende ärztliche Behandlung nicht in Anspruch nehmen. Wenn Menschen nach einem derartigen Ereignis zu keinem Arzt gehen und auch keine Medikamente zur Behandlung seelischer Schmerzen einnehmen, sondern die Verarbeitung ihrer Erlebnisse in der Familie und bei Freunden vorziehen, bedeutet das schließlich nicht, dass sie nicht leiden. Die Verweigerung, Schmerzensgeld in diesem Fall zu zahlen, ist nicht sachgerecht. Immerhin muss es Sache jedes Einzelnen sein, selbst zu entscheiden, auf welche Art und Weise er traumatisierende Erlebnisse verarbeitet.
Wie hoch war das bisher höchste zugesprochene Schmerzensgeld in Österreich?Wolf: Das höchste bisher in Österreich zugesprochene Schmerzensgeld betrug, soweit ersichtlich, 375.000 Euro. Das gab es für einen Verletzten, der nach einem Unfall vollständig auf den Rollstuhl angewiesen ist. Ein derartiger finanzieller Zuspruch war aber ein Ausreißer nach oben.
Wie wird festgestellt, wie hoch die Ansprüche sind?Wolf: Das machen in aller Regel medizinische Gutachter. Diese erstellen Gutachten nachdem sie die Verletzten untersucht und in die Behandlungsunterlagen Einsicht genommen haben. Der Grad der Schmerzen wird darauf basierend nach starken, mittelstarken und leichten Schmerzzuständen eingeteilt. Diese sogenannten Schmerzperioden werden dann in Geld umgerechnet. Die Schmerzen werden pro Tag bemessen. Für durchgehend leichte, mittelstarke beziehungsweise starke Schmerzen gibt es pro Tag Geld von je 100 Euro bis 140 Euro, 200 Euro bis 280 Euro und 300 Euro bis 420 Euro.
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