Michael Wagenhofer ist seit 2005 Geschäftsführer und Sprecher der ORS Group, die damals aus der ORF-Sendetechnik hervorging. Der Jurist verantwortete die Umgestaltung der ORS zum marktorientierten Dienstleistungsunternehmen mit den Geschäftsbereichen Terrestrik, Satellit und Content via IP sowie die Einführung des digitalen Antennenfernsehens. 2013 erfolgte mit simpliTV der Einstieg ins B2C-Geschäft.
©ORF/Thomas RamstorferMichael Wagenhofer, Geschäftsführer des Broadcast-Spezialisten ORS, über die Zukunft des terrestrischen Rundfunks, Technologierevolutionen wie 5G Broadcast, neue Streamingservices und die große Bedeutung der Rundfunkfrequenzen.
TREND: Die letzten Jahre brachten viele Herausforderungen. Wie ist es heuer bei der ORS Group gelaufen?
Michael Wagenhofer: Grundsätzlich sehr gut. Die zentrale Herausforderung war neben der Integration unserer neuen polnischen Unternehmensbeteiligung vor allem der Strompreis, dessen Auswirkungen stark zu spüren waren.
Der Rundfunk gilt ja an sich als sehr energieeffizient. Das ist er auch, besonders im Vergleich zum Streaming, das laut Studien bis zu neunmal mehr Energie als Terrestrik verbraucht. Trotzdem benötigt unsere Senderinfrastruktur in Österreich mit 430 Sendern einiges an Strom. Wir haben die Energiekrise dazu genutzt, um unseren Stromverbrauch durch vorgezogene Investitionen und effizientere Technologien deutlich zu reduzieren. Er ist um fast ein Viertel gesunken. Das hilft uns auch langfristig. Wir investieren zudem stark in Photovoltaik wie gerade am Sender Lichtenberg bei Linz.
Die Terrestrik und auch das Satellitenfernsehen geraten durch das Streaming unter Druck. Deshalb entwickeln wir auch selbst Streamingangebote. In unserer neuen Strategie „Horizon 2030“ geht es um die Transformation zu einer IP-basierten Distribution. Wichtig für die Weiterentwicklung der ORS Group ist auch die Beteiligung am polnischen Softwareunternehmen Insys Video Technologies, einem Spezialisten im Onlinevideo-Distributionsbereich (OVD).
Was wird im Streamingbereich schon geboten? Wir bieten Streamingdienste und Mediatheken für prominente Kunden wie das Österreichische Parlament, den Deutschen Fußball-Bund oder Fußballclubs wie Benfica Lissabon an. Bislang ging es unseren Kunden primär um möglichst viel Reichweite für ihre Inhalte auf gut etablierten Distributionswegen. Nun treten wir immer mehr als eine Wegbereiterin für neue digitale Ökosysteme auf, die nur im Netzwerk mit internationalen Partnern etabliert werden können.
Die ORS Group überträgt mit ihrer Sendeinfrastruktur nun seit zwei Jahrzehnten TV- und Radioinhalte in die österreichischen Haushalte. Wie sehen Sie die Zukunft des klassischen Rundfunks; wohin will sich die ORS entwickeln? Die große Frage ist, welche Rolle der lineare Videokonsum künftig spielen wird. Wir sind überzeugt, dass das Live-Erlebnis etwa bei Sportveranstaltungen, Konzerten und Nachrichteninhalten sehr wichtig ist. Aber auch die großen Live-Premieren von Filmen sind sehr gefragt. Deshalb nähern sich nun auch die On-Demand-Anbieter schrittweise mit wöchentlich zur Hauptsendezeit programmierten Premieren immer mehr dem Live-TV-Erlebnis an. Die zweite Frage ist, wie dieses lineare Signal in die Haushalte kommt. Klassisch erfolgt das über Satelliten, Kabel und Terrestrik. Das wird auch weit bis in die 2030er Jahre noch so sein. Erst dann ist der Umstieg auf eine IP-basierte Übertragung zu erwarten.
Welche Rolle übernimmt dann das Antennenfernsehen? Antennenfernsehen wird ebenfalls eine Transformation von DVB zu IP durchmachen. Da lautet das Schlagwort 5G Broadcast. Das ist ein IP-basierter Standard, der genau diese Brücke von der DVB-Welt in die IP-Welt ermöglicht. Damit kann Livestreaming direkt von einem der Rundfunksender auf ein Handy übertragen werden – ohne Mobilfunknetz.
Im Bereich Radio soll nächstes Jahr ebenfalls einiges passieren. Mittlerweile ist das digitale Radio DAB+ seit rund fünf Jahren mit einer bundesweiten Bedeckung und einer regionalen Coverage in Wien in Betrieb. Mit nächstem Jahr kommen eine weitere bundesweite und eine regionale Bedeckung in ganz Österreich. Das bedeutet mehr als eine Verdoppelung der Kapazitäten für das Radio. Neu ist, dass Radioanbieter regional bis zu sechs Programme anbieten dürfen. Bisher waren nur zwei Programme erlaubt. Das heißt, dass viel neuer Content und regionalisierte Werbung kommen werden.
Für großes Aufsehen haben die ersten großen Feldversuche mit der neuen Übertragungstechnologie 5G Broadcast bei Großevents wie MotoGP gesorgt. Welche Vorteile bringt hier die Terrestrik? Hier geht es schon um echte Use-Cases. Bei der MotoGP in Spielberg ging es darum, die User mittels Übertragung aufs Handy so nah und spektakulär wie möglich ans Realgeschehen zu bringen. Es besteht ja nicht immer eine gute Sicht auf den Ring oder die Videowalls. Während klassisches Livestreaming bis zu 40 Sekunden Zeitverzögerung hat, sind es bei 5G Broadcast unter eine Sekunde.
Getestet wurde auch das Hin-und-Herwechseln zwischen den Netzen. Da ging es darum, zu sehen, wie das 5G-Broadcast-Signal mit dem Broadband-Signal interagiert. Beim Wechsel etwa in ein WLAN-Netz soll die Videoübertragung natürlich durchgängig weiter funktionieren. Für dieses „Seamless Switching“ haben wir unsere eigene, bereits ausgezeichnete Software Nakolos entwickelt. Ein anderer Use-Case wurde beim Donauinselfest getestet. Da ging es besonders um die Masse. Es konnte trotz überlasteter Mobilfunknetze etwa auch das Geschehen auf einer anderen Bühne am Handy verfolgt werden.
Wann wird 5G-Broadcast durchstarten? Gibt es schon die passenden mobilen Endgeräte am Markt? Es gibt schon erste Testgeräte. Und wenn die Debatte bei der Weltfunkkonferenz über die künftige Nutzung des für den Rundfunk und für Kulturveranstalter wichtigen UHF-Rundfunkbands hoffentlich positiv ausgeht, dann wird sich durch die langfristige Investitionssicherheit bereits 2024 einiges am Markt bewegen. 2025 sollte es jedenfalls marktfähige 5G-Broadcast-Endgeräte geben. Bei den großen Sportereignissen im nächsten Jahr, etwa den Olympischen Sommerspielen in Paris, wird 5G-Broadcast von unseren französischen Kollegen in den verschiedensten Sportstätten bereits genutzt werden.
Und was ist bei der Fußballeuropameisterschaft im Deutschland geplant? Da haben wir eine Allianz von mehreren europäischen Rundfunkveranstaltern gebildet, um gemeinschaftlich die Technologie zu nutzen und die Dienste bald ausrollen zu können.
Wie beurteilen Sie die Diskussion über die künftige Nutzung des UHF-Rundfunkbands? Im Frequenzspektrum gilt die Regel „use it or lose it“. Nachdem die Transformation in Richtung IP absehbar ist, wollen die Regulatoren naturgemäß wissen, wie die Terrestrik das Frequenzband künftig nutzen wird. Da ist 5G Broadcast ein wichtiges Argument. Ich bin daher sehr optimistisch, dass die primäre Nutzung für den Rundfunk bis 2040 bestehen bleibt.